| # taz.de -- Gesundheitssystem in China: 25 Euro waren zu viel | |
| > 7 Jahre lang hat eine Familie in China ihren Sohn mit einem selbst | |
| > gebastelten Atemgerät am Leben gehalten. Der Fall ist symptomatisch fürs | |
| > Gesundheitssystem. | |
| Bild: Krankenhäuser und Ärzte beziehen ihre Einnahmen überwiegend aus dem Ve… | |
| PEKING taz | 18 Mal in der Minute, 25.920 Mal am Tag, immer abwechselnd, | |
| und das seit sieben Jahren – ohne Unterlass haben Wang Lanqin und ihr Mann | |
| Fu Minzu mit einem improvisiertem Blasebalg immer wieder Luft in die Lunge | |
| ihres Sohnes gepumpt. Das Atmen fiel dem 30-Jährigen auf diese Weise | |
| schwer, aber immerhin bekam er Luft. Ein professionelles Atemgerät für | |
| 100.000 Yuan (rund 11.800 Euro) konnte sich die Familie nicht leisten. | |
| Sterben sollte ihr Sohn aber auch nicht. | |
| Im Alter von 23 Jahren erlitt Fu Xuepeng einen schweren Motorradunfall. Das | |
| war 2006. Seitdem ist er vom Hals abwärts gelähmt. Der Autofahrer, der den | |
| jungen Mann damals angefahren hatte, zahlte zwar Schadenersatz, umgerechnet | |
| rund 35.000 Euro. Doch die erste Behandlung kostete mehr als das Vierfache | |
| dessen. | |
| Den Eltern teilten die Ärzte mit, ihr Sohn werde für den Rest seines Lebens | |
| nicht mehr aufstehen können. Jede weitere Woche im Krankenhaus hätte | |
| weitere 1.000 Euro verschlungen. Dieses Geld hat das Ehepaar Fu nicht. Sie | |
| leben in einem Dorf im ländlichen Teil der Provinz Zhejiang. Ihr Auskommen | |
| bestritten sie bis dahin über Landwirtschaft. Also holten sie ihren Sohn | |
| nach Hause. | |
| Beide Elternteile gaben ihre Arbeit auf – um zu pumpen. Von 100 Euro | |
| Sozialhilfe lebt die Familie seitdem. Ein Verwandter baute ihnen ein | |
| elektrisch betriebenes Atemgerät. Die Maschine war laut und stinkt, aber | |
| sie funktionierte. Doch dann kam die Stromrechnung: 25 Euro im Monat. | |
| ## Wut statt Betroffenheit | |
| Um Geld zu sparen, lief das Gerät fortan nur noch nachts. Tagsüber pumpen | |
| Vater und Mutter weiter mit der Hand. 18 Mal die Minute, sagt Vater Fu, 15 | |
| Stunden am Tag. Ihre Hände haben sich schon verformt. Sechs dieser | |
| Gummipumpen haben sie in den sieben Jahren abgenutzt. Und mit jeder neuen | |
| Pumpe stand die Familie aufs Neue vor dem finanziellen Ruin. | |
| Vor ein paar Tagen ging diese Geschichte durch die chinesischen Medien – | |
| und berührt seitdem das ganze Land. Die Behörden haben finanzielle und | |
| medizinische Hilfe zugesagt. Zahlreiche Spenden erreichten die verarmte | |
| Familie. Eine Firma in Peking will ihr ein modernes Beatmungsgerät zur | |
| Verfügung stellen. Doch der Fall hat nicht nur Betroffenheit ausgelöst, | |
| sondern auch Wut. | |
| „Wie kann es sein, dass es mehr als ein halbes Jahrzehnt dauert, bis diese | |
| Familie Hilfe erhält“, empört sich ein Blogger auf Sina Weibo, dem | |
| chinesischen Gegenstück zu Twitter. „Wie sieht es mit anderen tragischen | |
| Fällen aus, über die in den Medien nicht berichtet wird“, fragt ein | |
| anderer. | |
| Tatsächlich wirft das Schicksal der Familie Fu ein schlechtes Licht auf das | |
| Gesundheitssystem in China. In den Städten ist seit einigen Jahren eine | |
| Grundversorgung wieder im Aufbau, nachdem die Liberalisierung des | |
| Gesundheitssystems vor 20 Jahren viele Menschen aus der Versorgung | |
| ausschloss. | |
| ## Bestechung für Hilfe | |
| Doch nach wie vor beziehen Krankenhäuser und Ärzte ihre Einnahmen | |
| überwiegend aus dem Verkauf von Medikamenten. Das macht medizinische | |
| Behandlung häufig sehr teuer. Zugleich reichen diese Einnahmen nicht. Ohne | |
| Hongbao (rote Tüten mit Geld) – also Bestechung – behandeln viele Ärzte | |
| ihre Patienten nicht. | |
| Auf dem Land sind die Menschen häufig komplett von einer Versorgung | |
| abgeschnitten. Oft fehlen Ärzte und Krankenhäuser. Zugleich sind die | |
| Menschen auf dem Land sehr viel ärmer. Sie müssen im Krankheitsfall nicht | |
| nur weite Wege auf sich nehmen, sondern oft auch Haus und Hof verkaufen, um | |
| kostspielige Behandlungen bezahlen zu können. So wie Familie Fu. | |
| „Ich weiß nicht, ob ich in diesem Leben noch mal die Gelegenheit haben | |
| werde, mich bei meinen Eltern zu revanchieren“, wird der | |
| querschnittsgelähmte Fu Xuepeng in Zeitungen zitiert. Ans Aufgeben hätten | |
| seine Eltern nie gedacht. „Nicht eine Sekunde lang“, sagt Vater Fu. | |
| „Niemals würden Eltern ihr Kind aufgeben, solange es auch nur eine | |
| Überlebenschance gibt.“ | |
| 10 Feb 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Felix Lee | |
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