# taz.de -- Politischer Aschermittwoch CDU Demmin: Merkels nüchterner Zauber | |
> Die Rührung ist echt: In der mecklenburgischen Stadt Demmin gelten für | |
> die Kanzlerin andere Regeln als überall sonst in der Politik. | |
Bild: Und immer den Blick aufs Wichtigste gerichtet: Angela Merkel. | |
DEMMIN taz | Keiner kommt näher ran als Egon Spychalski. Der Rentner mit | |
der Gerhart-Hauptmann-Mähne wird an den Bodyguards vorbeigehen, ihnen | |
zunicken wie alten Bekannten, die CDU-Granden werden ihn anstarren, und | |
dann wird er Angela Merkel die zerfurchte Hand reichen. Sie wird lächeln, | |
und sie werden wirken wie zwei, die sich viel zu selten sehen, aber eines | |
Herzens sind. So läuft es immer am Politischen Aschermittwoch der CDU in | |
Demmin. Seit 18 Jahren. Und Egon Spychalski ist immer dabei. | |
Als würde er mit Ungläubigen rechnen, greift er in die Brusttasche, legt | |
ein Foto auf den Tisch und schweigt siegessicher. Tatsächlich, auf dem Bild | |
drückt Egon Spychalski der Bundeskanzlerin die Hand – kein Gedränge, kein | |
Schnappschuss, ein Familienfoto, er strahlt, sie lächelt, Egon und Angela | |
irgendwo in Vorpommern. Die kleine Ikone liegt neben dem Matjesbrötchen, in | |
das der 74-Jährige immer wieder beißt, und dessen Zwiebelduft mit jedem | |
lobenden Wort tiefer in den Saal vordringt. | |
Nein, er sei kein CDU-Funktionär, 1993 ist er, der ehemalige Ingenieur vom | |
VEB Erdöl-Erdgas Grimmen, in die CDU eingetreten. Auch an diesem Tag hat er | |
sich aus dem 20 Kilometer entfernten Grimmen aufgemacht. | |
Spychalski schreibt Merkel zu Weihnachten und zum Geburtstag Briefe auf | |
Bütten und überreicht ihr Jahr für Jahr seinen besten Honig. „Honig | |
schmieren Ihnen viele ums Maul, dieser aber kommt von Herzen!“, habe er ihr | |
gesagt. Zeitungen haben das Bekenntnis gedruckt. Spychalski, Vorsitzender | |
der Imkervereinigung Grimmen, strahlt vor Rührung. „Der Honig ist ja auch | |
gut für ihre Gesundheit.“ | |
## „Rosamunde“ und Pils | |
Nach einer Weile schiebt er das Foto vorsichtig in die Brusttasche zurück. | |
Entstanden sei die Aufnahme vor drei Wochen auf dem Regionalparteitag in | |
Stralsund, auf dem Merkel zum siebten Mal in Folge als Direktkandidatin der | |
Vorpommern-CDU für den Bundestag nominiert wurde, erstmals mit 100 Prozent | |
– ein echtes DDR-Ergebnis. Aber, Spychalski hebt mahnend den Finger, heute | |
muss man sich so ein Ergebnis hart erarbeiten. Überhaupt, Merkel ist ein | |
Glücksfall. „Sie hat für 80 Millionen Menschen eine hohe Verantwortung.“ | |
Wer, außer ihr, könne das Land regieren? Er schaut sich um. Etwa die | |
Sozialdemokraten? | |
„Sie hat’s nicht einfach mit dem Euro und der Stabilität und wie und wo und | |
was!“ Als könnte Reden allein schon die Bürde auf Merkels Schultern | |
verringern, findet Spychalski kein Ende mehr. Die Menschen strömen durch | |
den Eingang, die Barther Blasmusik bläst „Rosamunde“, der Pilsnergeruch, | |
die Hitze der Scheinwerfer, der Menschendunst steigen auf zur Decke, wo die | |
Flaggen noch hängen wie tot, Mecklenburg-Vorpommern, Deutschland, Europa. | |
Das alles scheint Spychalski nicht mehr zu sehen. Der Mann ist vor Rührung | |
fast blind – sein Herz quillt über. | |
Spychalski kommt auf George Bush zu sprechen. „I love you!“, habe er dem | |
US-Präsidenten zugerufen, als der 2006 nach Vorpommern kam. „Thank you!“, | |
habe dieser gestammelt. „Dann war ich außer Kontrolle!“ Umgehend hat ihn | |
die Security überwältigt. Wer hat ihn rausgehauen? Spychalski strahlt. | |
Merkel. Natürlich. „Die Wärme, das Menschliche!“ Sie sei ganz anders als … | |
die Bildschirme weismachen wollten. Das Brötchen ist verdaut, bald wird die | |
Kanzlerin erscheinen. Plötzlich wacht Spychalski auf, macht einen langen | |
Hals und verschwindet im Gedränge. | |
## Ein Foto mit Merkel wäre gewiss der halbe Sieg | |
Thomas Diener hätte auch gern ein Foto. Diener ist | |
CDU-Fraktionsvorsitzender im Kreistag der Mecklenburgischen Seenplatte und | |
will im April Bürgermeister in seinem Dorf werden. Ein Foto mit Merkel wäre | |
gewiss der halbe Sieg. Diener, Chef eines Landwirtschaftsbetriebes, hat | |
eine Fotografin mitgebracht und wartet am Halleneingang. | |
„Wenn das so weiter geht bis Morgen früh, ja früh, steh’n wir im Alkohol | |
bis an die Knie!“ Mecklenburg-Vorpommern ist als Land der Säufer | |
verschrien. „Zeit für deutliche Worte“ verspricht das Motto des Abends. | |
Aber so? Möglicherweise ist das nur eine Reminiszenz an das vergangene | |
Jahr, als Angela Merkel das Bier literweise über den Rücken lief. Einem | |
Kellner passierte das Malheur. Der junge Mann gibt heute noch Interviews. | |
Engagiert hat ihn die Chefin der Halle aber nicht mehr. Schließlich will | |
Demmin, die 11.000-Einwohner-Stadt an der Peene, dieses Fest noch lange | |
behalten. | |
Ein mächtiger Strick, eine richtige Trosse, wird am Eingang gespannt, als | |
würden gleich Bullen reingetrieben. Es kommen keine Stiere. Die Blasmusiker | |
spielt einen Tusch, Angela Merkel, von Männern umringt, kommt herein, | |
strahlt, winkt und läuft, vom Strick geleitet, auf die Bühne zu. Thomas | |
Diener hat nicht den Hauch einer Chance. | |
Diener, Hände in den Taschen, geht zum Tisch unter einem CDU-Sonnenschirm. | |
Parteifreund Edgar Kliewe kommt heran. Der stellvertretende | |
Kreistagspräsident verrät, dass er ab und an in den Hühnerstall gehe, um | |
abzuschalten. Die Geflügelzucht ist sein Ausgleich zur Kommunalpolitik und | |
den endlosen Fahrten zu Kreistagen und Sitzungen. Plötzlich applaudiert er. | |
„Wenn man so eine Heimat hat wie Mecklenburg-Vorpommern, dann bleibt man | |
mit beiden Beinen auf dem Boden!“ Sollte es irgendwo noch Eis gegeben | |
haben, ist es beim ersten Satz Angela Merkels gebrochen. Was folgt, sind | |
Versatzstücke: Ein arbeitsreiches Jahr liegt vor uns, es ist viel passiert, | |
ohne CDU keine Autobahn, wir stehen im Wettbewerb, ich werde nicht | |
nachlassen, wir brauchen Lohnuntergrenzen, Restrukturierung der Banken, | |
Steuerparadiese, Finanztransaktionssteuer. 27 Minuten wird Merkel so reden. | |
## Köpfe kraulen vor Glück | |
Ein älterer Herr, an seine Frau gelehnt, hört mit geschlossenen Augen zu. | |
Die Substanz der Ansprache reicht kaum für die Zusammenfassung, die später | |
in der „Tagesschau“ zu sehen sein wird. Doch hier ist es der Höhepunkt. | |
Manche rufen „Jawoll!“, andere recken die Köpfe, viele aber sitzen an den | |
Tischen und reden, als ginge sie das alles nichts an. Auch Diener und | |
Kliewe klatschen nur manchmal. Das alles wirkt wie automatisch, fast | |
lustlos. Doch das täuscht. | |
Ein Geheimnis verbindet die Menschen mit Angela Merkel. Emotionen, | |
Inszenierung, Pracht – alles, was auf der ganzen Welt sonst zur Politik | |
dazugehört, hier ist es außer Kraft. Sie könnten die Heizung abdrehen, das | |
Bier verdünnen, einen Trecker laufen lassen oder ganz in eine | |
Bushaltestelle umziehen. Die Menschen würden unbeeindruckt hinterherlaufen. | |
Die Innigkeit würde nicht leiden. Angela Merkel ist so, die Leute sind so. | |
Es ist wie ein nüchterner Zauber. | |
Diese verborgene Rührung ist echt. Hier muss keiner etwas imitieren. | |
Karriere macht hier eh nur Vincent Kokert. Der 34-Jährige ist | |
Fraktionsvorsitzender im Schweriner Landtag und selbst Grüne prophezeien | |
ihm eine große Zukunft. Angela Merkel hat ihn längst unter ihre Obhut | |
genommen, Kokert weicht ihr nicht von der Seite. Jetzt, wo sie redet, geht | |
er durch die Reihen, herzt Parteifreunde und krault viele Köpfe vor Glück. | |
## Beim "Mecklenburger Land" singt es aus tausend Kehlen | |
So etwas wie offene Erregung ist erst ganz am Schluss zu spüren. Zuerst | |
brummeln sie das Pommernlied, doch beim „Mecklenburger Land“ singt es aus | |
tausend Kehlen und die blecherne Halle vibriert. Manche sind sogar | |
ergriffen. Kornelia Böttcher, Mitarbeiterin der CDU-Geschäftsstelle in | |
Demmin, strahlt erlöst. Auf ihr lastete ein großer Teil der Vorbereitungen. | |
Jetzt ist der Aschermittwoch für dieses Jahr gelaufen. Im nächsten Jahr | |
werde es wieder so sein – Blasmusik, Conferencier und natürlich Frau | |
Merkel. | |
Kornelia Böttcher legt Wert darauf, dass das hier der Politische | |
Aschermittwoch der Bundes-CDU ist. Die Parteizentrale in Berlin sei mit | |
Demmin sehr zufrieden, erzählt sie. Experimente sind selten. Im vorigen | |
Jahr gab es eine „DDR-Rockröhre“, das Publikum war gespalten. Blasmusik | |
komme besser an. „Wir sind ja keine Disko“, schaltet sich Thomas Diener | |
ein. Er will sich noch mit ein paar Größen ablichten, mit ehemaligen, | |
gegenwärtigen und künftigen Ministern, schon verschwindet er im Gedränge. | |
Egon Spychalski taucht daraus auf. Wieder öffnet er seine Jacke. „Da, sehen | |
Sie!“ Angela Merkels Autogramm zieht sich über das Foto. An sie ranzukommen | |
war kein Problem. „Alles vorzüglich gelaufen“, resümiert er, niemand sei | |
aus der Reihe gefallen. „Gehört sich auch nicht.“ Einer Taschenreliquie | |
gleich steckt er das Bild zurück. Seine Frau, die das besondere Verhältnis | |
zwischen ihrem Mann und der Kanzlerin wohl auch nicht ganz begreift, wird | |
jedenfalls zufrieden sein. | |
## Am Schluss stehen die Bänke leer, die Tischdecken liegen akkurat | |
Auf der Bühne wischt sich Herbert Hochgrefe den Schweiß von der Stirn. Ja, | |
irgendeinen bayrischen Marsch haben sie gespielt, sagt der Chef der | |
Blasmusikanten. „Ein Medley“, sagt er entschuldigend. Wie der Marsch genau | |
heißt, wisse er nicht. Solche Details interessieren Hochgrefe nicht | |
sonderlich. | |
Kurz vor acht gibt er den letzten Einsatz. „Muss i denn zum Städtele | |
hinaus“ – der klassische Rausschmeißer. Was heißt Rausschmeißer? Die üb… | |
tausend Besucher sind fort, Angela Merkel speist mit Gästen nebenan im | |
Hotel, die Bänke stehen leer, viele Papiertischdecken liegen so akkurat, | |
als hätte niemand dort gesessen. | |
Einzig die Garderobe wirkt etwas gerupft. Bügel liegen am Boden, einer ist | |
zerbrochen, und von der Bühne tönt eine Trompete. Als hätten sie ein | |
Bändchen zu verschenken, haben die Musiker die Fanfare aus „Lilly Marleen“ | |
in das Abschiedslied geflochten. | |
14 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Thomas Gerlach | |
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