# taz.de -- Die Wahrheit: Flotte Flirtstopper | |
> Die Sexismusdebatte der letzten Wochen zeigt jetzt erste Wirkungen im | |
> Berufsleben – zumindest für junge Journalistinnen. | |
Bild: Auf der Flucht vor dem Sexismus nehmen zwei heiße Bunnys Fahrt auf. | |
„Am Anfang war es total ungewohnt, aber inzwischen hat man sich schon damit | |
arrangiert“, sagt die rothaarige Volontärin Sophie Gartenstein und deutet | |
auf den Eingang zum „WU40“-Bereich, vor dem bereits lauter junge Frauen mit | |
ihren Laptops Schlange stehen und auf Einlass warten. „Man hat ja auch | |
keine Wahl“, fügt sie hinzu, „wenn die Alternative Leserbriefressort | |
lautet.“ | |
„WU40“ ist die gängige Abkürzung für „Weiblich unter 40“ und kennzei… | |
die inzwischen überall eingerichteten Pressesonderbereiche für junge | |
Journalistinnen. Hier werden Pressekonferenzen, die nebenan im Hauptsaal | |
stattfinden, per Videoliveschaltung in einen kleinen Nebenraum übertragen. | |
Vertreter aus Politik und Wirtschaft können so ungestört im Hauptsaal vor | |
Publikum und Presseleuten reden, ohne befürchten zu müssen, Opfer einer | |
Sexismus-Attacke junger Reporterinnen zu werden. | |
Zunächst waren es nur Politiker der FDP, die sich weigerten, nach der | |
schamlosen Intrige einer Stern-Redakteurin weiterhin Kontakt mit jungen | |
Journalistinnen zu unterhalten. „Auf der Pressekonferenz geht’s ja meistens | |
los“, klagt ein bekannter CSU-Politiker, der namentlich nicht genannt | |
werden will. „Da wird von unten geblinzelt und geblitzt, dass es nur so | |
eine Art hat. Und hinterher gibt’s dann die volle Sexisten-Packung. Aber | |
nicht mit uns!“ | |
Selbst Vertreter der Grünen, die sich anfangs gegen die Sonderzonen | |
ausgesprochen hatten, halten die Regelung inzwischen für sinnvoll. Claudia | |
Roth sieht darin sogar eine „urfeministische Utopie“ verwirklicht. | |
Geschützte Bereiche für Frauen könnten helfen, den „alltäglichen Sexismus | |
zu stoppen“. „Denken Sie etwa an den Iran“, so Roth weiter. | |
Die schwarzhaarige Mona Feuerberg beurteilt das freilich anders. Am Ende | |
eines langen Gangs, vorbei an Kaffeeküche und Kopierer, sitzt die | |
27-jährige Redakteurin mit dem Harvard-Diplom in Politikwissenschaften und | |
betreut eine monatlich erscheinende Tierseite. | |
„Im Aufmacher geht’s um die Frage ’Darf Bello mit ins Bett?‘ Außerdem | |
testen wir Spielmäuse für Katzen und geben Futtertipps für Zierfische“, | |
erklärt Feuerberg, die gerade auf dem Sprung zur stellvertretenden | |
Ressortleiterin der Innenpolitik war, als die neuen Regelungen für | |
Pressevertreter wirksam wurden. | |
„Man sagte mir, ich könne meine Arbeit als Politikredakteurin nur dann | |
fortsetzen, wenn ich bereit wäre, die neuen Abstandsregeln einzuhalten: | |
keine physische Anwesenheit bei Pressekonferenzen, keine Telefonate mit | |
Politikern, keine Hintergrundgespräche ohne genderkorrekt geschultes | |
Personal. | |
Es hieß: ’Entweder Sie unterschreiben die Antisexismus-Konvention oder Ihr | |
nächster Interviewpartner ist der örtliche Hundezüchter‘.“ Dann lacht si… | |
„Sie sehen ja selbst, wie ich mich entschieden habe.“ Feuerberg hofft jetzt | |
im europäischen Ausland eine Stelle zu finden. | |
Auch in den Chefredaktionen ist man nicht unbedingt glücklich mit den neuen | |
Regelungen. Es bedeute viel zusätzlichen organisatorischen Aufwand, | |
weibliche Redaktionsmitglieder weiterhin zu beschäftigen. „Langfristig | |
setzen wir daher auf eine Mentalitätsreform der Beteiligten“, heißt es aus | |
der Chefredaktion eines großen deutschen Magazins. Bis dahin arbeitet man | |
allerdings notgedrungen mit den sogenannten Flirtstoppern zusammen. | |
Renate Gerhard ist eine von ihnen. „Als ich das Stellenangebot las ’Gesucht | |
werden kräftige Männer und Frauen mit viel Lebenserfahrung‘, habe ich mich | |
sofort beworben“, berichtet sie, „ich wollte schon immer zur Zeitung“, | |
erzählt die ehemalige Krankenpflegerin mit den starken Armen. Sie trägt | |
eine signalrote Weste mit der Aufschrift „Flirtstopper“ auf dem Rücken. Ihr | |
Job ist es, weibliche Redaktionsmitglieder zu Interviews und auf Recherchen | |
zu begleiten. | |
„Ich hab die jungen Dinger immer im Blick“, so die ehemalige Pflegerin. Bei | |
jedem Treffen fertigt sie ein Protokoll an, das genau festhält, wer wen wie | |
lange angeschaut hat. Am Ende unterzeichnen Journalistin und | |
Politikvertreter das im Pressejargon scherzhaft „Brüderle-Protokoll“ | |
genannte Papier. | |
Einem jungen Abgeordneten der SPD geht das alles zu weit. Er gründete die | |
Facebook-Gruppe „Brother! No Brüderle“ und wirbt dafür, auch mit jungen | |
Journalistinnen Kontakt aufnehmen zu dürfen. Am Revers seiner Strickjacke | |
heftet demonstrativ ein „Brother! No Brüderle“-Button. „Wir junge | |
Sozialdemokraten verstehen uns als Partner der Frauen. Anbaggern ist bei | |
uns nicht drin“, meint der Juso, der jedoch mit seinem verpickelten und | |
verschwitzten Gesicht vermutlich nicht die besten Chancen im großen | |
Flirtspiel hätte – nicht einmal bei einer Journalistin. | |
19 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Anne Kreby | |
## TAGS | |
Sexismus | |
#Aufschrei | |
Journalistin | |
Rainer Brüderle | |
Guttenberg | |
FDP | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Die Kurzwahlkanzlerin | |
Das aktuelle Wahrheit-Interview: Der EU-Internetberater Karl-Theodor von | |
und zu Guttenberg über die NSA-Affäre und Angela Merkels Handy. | |
Die Wahrheit: Sexismus in Neutrumland | |
Neues aus Neuseeland: Ihr kämpft gegen den Sexismus, ich kämpfe mit dem | |
Sexy-Frust. | |
Sexismus-Debatte: Die liberale Wagenburg | |
Die Vorwürfe gegen Rainer Brüderle bescheren der Jungs-FDP Einigkeit nach | |
innen. Aber die Partei hat ein Frauenproblem und verprellt moderne Wähler. |