# taz.de -- Bauwagen im Winter: Wo die Ofenrohre rauchen | |
> Seit mehr als 20 Jahren gibt es den Lüneburger Wagenplatz „Gut | |
> Wienebüttel“. Doch wie sieht das Leben im Bauwagen im Winter aus? | |
Bild: Jenseits der Konsumgesellschaft: Bauwagenplatz in Lüneburg. | |
LÜNEBURG taz | Am Stadtrand von Lüneburg, nahe einer Landstraße, stehen 18 | |
Wagen und eine Menge Krimskrams zwischen alten Laubbäumen und Tannen. | |
Spielzeugtrecker, Tische, Bänke wirken verwaist auf dem matschigen | |
Waldboden. Kein Mensch zu sehen. Aber hinter den Fenstern brennt Licht, und | |
aus Ofenrohren quillt dicker Rauch. | |
Seit über 20 Jahren steht der Wagenplatz Gut Wienebüttel an diesem Ort. Die | |
derzeit 15 Erwachsenen und vier Kinder wohnen größtenteils auf dem | |
Grundstück eines benachbarten Therapiezentrums, dessen Leitung die | |
Wagenburg duldet. Von den anderen Nachbarn, dem Kulturforum Lüneburg, kommt | |
der Strom. Telefon und Internet gibt es ebenfalls. | |
Ramona Schultz, Sozialpädagogin im Mutterschutz, wohnt seit sechs Jahren | |
hier, in einem hellen Wagen mit doppelt verglasten Fenstern, Holzboden und | |
weißen Wänden. Gerade hat sie den Allesbrenner mit Feuerholz gefüttert. | |
Dass sie hier herzog, lag an dem „romantischen Wunsch“ vom Leben im Wald, | |
sagt sie. „Ich wollte naturnah und nicht alleine wohnen.“ | |
Auf dem Wagenplatz fand Schultz Nachbarschaft, Gemeinschaft, Freundschaft. | |
Inzwischen fühlt sie sich auf Gut Wienebüttel so wohl, dass sie anbaut – | |
auf einem zweiten Fahrgestell. Die junge Mutter zeigt auf das künftige | |
spartanische Elternschlafzimmer: ein Hochbett. Darunter liegt das | |
„Kinderzimmer“ für die einjährige Karla und gegenüber der Eingangstür i… | |
Platz für die Küchenzeile. Für eine Familie sei ein Wagen auf Dauer zu eng, | |
sagt Schultz. „Man braucht auch Rückzugsräume.“ | |
Arne Wegener nickt. Er kommt aus Aurich und lebt mittlerweile seit neun | |
Jahren auf dem Platz, so lange wie kein anderer. Mit seiner Freundin und | |
der gemeinsamen Tochter teilt er sich ebenfalls zwei Wagen. Gerade hat ein | |
Freund, der weggezogen ist, der Familie seinen Bauwagen geschenkt. Diesen | |
will der gelernte Zimmermann und Heilerziehungspfleger zum Kinderwohnwagen | |
ausbauen. Die dreieinhalbjährige Leevke freut sich jetzt schon. | |
## Liebe auf den ersten Blick | |
Wegener rutschte über die linke Szene in die Wagenburg. „Ich wusste gar | |
nicht, dass es so was gibt. Als ich das erste Mal herkam, war es Liebe auf | |
den ersten Blick.“ Auf Gut Wienebüttel fand er die ersehnte alternative | |
Wohnform jenseits der „Konsum- und Leistungsgesellschaft“. | |
Studenten, Pädagogen und Handwerker wohnen auf Gut Wienebüttel, sie sind | |
zwischen Mitte 20 und Ende 50. Wegen der geringen Wohnkosten – jeder | |
Bewohner zahlt monatlich 30 Euro für Strom und Nebenkosten in die | |
Wagenburgkasse – reichen Teilzeitstellen oder unregelmäßige Jobs, um über | |
die Runden zu kommen. So gewinnen die Wagenburgbewohner Zeit für sich, ihre | |
Partner, Familien. Sie werkeln an den Wagen, probieren sich als Gärtner aus | |
und leben die Wagenplatz-Gemeinschaft, von der hier alle reden. | |
Auf Gut Wienebüttel hilft man sich gegenseitig und übernimmt Aufgaben wie | |
Hühner füttern. „Pflichttermine“ sind das monatliche Plenum oder das | |
Sonntagskochen im Gemeinschaftswagen mit anschließendem „Tatort“-Gucken. | |
Jeder muss Holz hacken und sollte bei anstehenden Projekten mitmachen. | |
Jüngst standen die Errichtung einer zweiten Komposttoilette an sowie eines | |
Badehauses mit Sauna. Seitdem können die Wienebütteler auch im Winter auf | |
dem Platz duschen und müssen nicht mehr ausweichen ins Fitnessstudio, ins | |
Schwimmbad oder in die Wohnungen von Freunden und Verwandten. | |
## Eiskalte Klobrille | |
Natürlich musste sich jeder an die eiskalte Klobrille auf der | |
hochsitzartigen und zugigen Bio-Toilette gewöhnen. Ebenso ans | |
Wasserschleppen, ans tägliche Heizen, an das einfache komfortfreie Leben. | |
„Der Alltag ist zwar aufwändiger, aber dafür viel unmittelbarer“, meint | |
Annika Drews-Shambroom. Die 24-Jährige hat Umweltwissenschaften studiert | |
und lebt wie fast alle Bewohner ökologisch bewusst. Sie kauft | |
ausschließlich im Bioladen, verfeuert nur Holz, verbraucht wenig Wasser und | |
produziert kaum Müll. | |
Schon als Teenager träumte Drews-Shambroom vom Leben im Wohnwagen. Vor drei | |
Jahren im Winter kam sie nach Wienebüttel und wohnte zunächst acht Monate | |
in dem fünf Quadratmeter kleinen blauen Gästewagen, bis sie einen eigenen | |
Wagen gefunden hatte. | |
Der Wagenplatz versteht sich als offener Ort. Zu den Nachbarn im | |
Kulturforum und im Therapiezentrum halten die Bewohner Kontakt, neugierige | |
Spaziergänger werden spontan übers Gelände geführt. Und jedes Jahr lädt der | |
Wagenplatz zum Tanz in den Mai und zum Sommerfest. | |
## Waschmaschine auf dem Wunschzettel | |
Auch mit ihren ein bis vierjährigen Kindern wollen die Wagenburgler | |
bleiben. Müssen aber teilweise neu überlegen. So haben sie das Badehaus | |
extra kindgerecht gebaut. Und die Anschaffung der ersten Waschmaschine | |
steht mittlerweile ganz weit oben auf dem Wunschzettel. | |
Eine dauerhafte Rückkehr in eine Wohnung können sich die Wagenburgbewohner | |
nicht vorstellen. „In einer Wohnung fühle ich mich jedes Mal eingeengt“, | |
sagt Ramona Schultz. Platzsenior Wegener sieht noch einen anderen Aspekt: | |
„Wenn ich ein Fenster einbauen will, dann mach’ ich das und muss keinen | |
Vermieter fragen.“ | |
Dass das im Sommer mehr Spaß macht als im Winter, ist klar. | |
27 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Thomas Joerdens | |
## TAGS | |
Bauwagen | |
Miete | |
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