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# taz.de -- Kino aus Chile: Auf ein buntes Logo reduziert
> Jane Fonda sendet solidarische Grüße: In „No!“ erzählt der chilenische
> Regisseur Pablo Larraín von einem Werber, der zum Wahlkampfleiter gegen
> Pinochet wird.
Bild: Mit gefährlicher Unbekümmertheit spielt Gael García Bernal den berufsj…
„Betrachten Sie die Bilder in ihrem aktuellen sozialen Kontext“, erklärt
der Marketingstratege in Pablo Larraíns „No“ seinen Kunden. Das ist nicht
nur in der Sprache der Werbung eine unsägliche Plattitüde. Jedes Produkt,
das der Markt als neues Glücksversprechen ausgibt, ist durch seine sozialen
Bindungskräfte definiert: ein identitätsstiftendes Moment, eine gemeinsame
Erfahrung. Eine Werbekampagne, die die Codes einer solchen Wertschöpfung
nicht verinnerlicht hat, muss ihre Zielgruppe zwangsläufig verfehlen.
Nun setzt ein sozialer Kontext aber auch einen Sinn für gesellschaftliche
Zusammenhänge voraus. Ohne ein Verständnis von gesellschaftlichen Dynamiken
bleibt das Soziale ein verwaistes Rahmenwerk. Oder man sieht – wie die
Auftraggeber in „No“ – statt der plakativen Lust auf Freiheit und auf die
freien Märkte nur einen albernen Clown.
Die Bemerkung über den sozialen Kontext fällt in „No“ gleich mehrfach. Ab…
anders als ein Running Gag, der unveränderlich bleibt, erfährt der Satz bei
Larraín jedes Mal eine neue Konnotation; er klingt zunehmend zynischer.
## Verdrängte Angst prägt Larrains Figuren
Das Soziale ist in den Filmen Larraíns eine Manifestation verdrängter
Ängste. Oberflächlich betrachtet, sind alle seine Protagonisten
Einzelgänger, willenlose Beobachter historischer Umbrüche. Der
psychopathische John-Travolta-Fan in „Tony Manero“, dessen Gewalttaten
hinter den Grausamkeiten der chilenischen Militärjunta verschwinden: Das
panische Wegducken ist der Bewegungsmodus des Films. Oder der
Leichenbestatter in „Post Mortem“, der plötzlich den toten Salvatore
Allende auf seinem Tisch liegen hat.
In „No“ spielt Gael García Bernal mit gefährlicher Unbekümmertheit den
berufsjugendlichen Werber René Saavedra, der zum Abschalten allein auf
seinem Skateboard durch Santiago rollt. Auch René findet sich in einem
politischen Sturm wieder.
Mit „No“ schließt Larraín seine lose Pinochet-Trilogie mit einem
versöhnlichen Aufbruchsprojekt ab, das unter der Oberfläche allerdings
ungemein scharfkantig ist. 1988 stand Pinochet unter dem internationalen
Druck, sein Regime zu legitimieren. Nach zwei gewonnenen Wahlen meinte er,
auch für eine dritte Abstimmung sein Volk hinter sich zu haben. Er gestand
der Opposition sogar täglich fünfzehn Minuten Sendezeit im staatlichen
Fernsehen zu. Die Alternative des Referendums von 1988 lautete „Ja oder
Nein“ – für oder gegen Pinochet.
## „Chile, die Freude kommt!“
René, der gerade erfolgreich eine MTV-artige Werbekampagne für ein
Erfrischungsgetränk lanciert hat, soll den Wahlkampf der Regenbogen-Allianz
gegen Pinochet leiten. Sein Slogan, „Chile, die Freude kommt!“, findet bei
den Opfern des Pinochet-Regimes allerdings wenig Verständnis. Für den
Zynismus der Werbeagenturen, den schon Pinochet von seinen
US-amerikanischen Verbündeten importierte, sind sie noch nicht bereit.
So schwankt die überstürzte Kampagne, für die Larraín auf Archivaufnahmen
zurückgreift (unter anderem senden Jane Fonda, Richard Dreyfuss und
Christopher Reeve solidarische Grüße an das chilenische Volk), zwischen
forciertem Marktwirtschaftshedonismus und schmerzlicher
Vergangenheitsbewältigung. Die Schnittmenge aus beidem ergibt eine Farce,
die sich jedoch nie im Ton vergreift.
Das politische Coming-of-Age Renés verläuft parallel zur Dämmerung eines
neuen Chile: zum Übergang von einem repressiven, kapitalistisch
orientierten Regime zur „freien“ Marktwirtschaft. Larraín rekonstruiert
einen Aufbruch mit kleinen Spitzen. Der weitläufigen Auffassung, dass die
Opposition Pinochet im Referendum von 1988 mit seinen eigenen Waffen, den
ideologischen Werkzeugen des Westens, schlug, stellt er eine etwas andere
Lesart entgegen.
Im Presseheft nennt er die No-Kampagne „eine wichtige Etappe zur
Konsolidierung des Kapitalismus als einzig gültiges System in Chile“. Die
Multitude an politischen Ideen jedenfalls, das zeigt Larraín mit „No“,
wurde mit der Kampagne nivelliert und auf ein buntes Logo reduziert.
## Ästhetik der Archivbilder
Dieses Gleichmachen vollzieht der Film auch formal mit einer schönen
medienarchäologischen Idee nach. Larraín hat auf dem obsoleten
Umatic-Videoformat gedreht, ähnlich der Ästhetik der Archivbilder. Das
verleiht „No“ einen matschigen Grauschleier, während sich an den Konturen
die Farben des Regenbogens abzeichnen. Dass sich die Bilder von 1988 und
2013 so ähneln, ist schon etwas mehr als bloßer politischer Symbolismus.
## „No“. Regie: Pablo Larraín. Mit Gael García Bernal, Antonia Zergez.
Chile/USA/Mexico 2012; 108 Min.
7 Mar 2013
## AUTOREN
Andreas Busche
## TAGS
Kino
Film
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