# taz.de -- „Pick-Up Artists“ in Berlin: Aufreißer mit System | |
> Ansprechen, Manipulieren, Flachlegen: Die „Pick-Up Artists“ flirten | |
> systematisch. Alles nur harmlose Liebes-Künstler oder sexistische Machos? | |
Bild: Unterhalten sich grade vielleicht über „The Game“. | |
Sie sitzen auf dem Brunnen am Berliner Alexanderplatz: Die müden Einkäufer, | |
die Ruhesuchenden, die Beobachter. Genießen die ersten Sonnenstrahlen des | |
Jahres. Hier und da werden Blicke getauscht. Ein schüchterner Flirt mit den | |
Augen erhascht. Zwei junge Männer stehen im Schatten der Weltzeituhr. | |
Kokettierende Blicke reichen ihnen nicht: Sie wollen mehr. | |
Einer der beiden: Modisch gekleidet mit enger Jeans, rotem Schal und einer | |
lässigen Tasche behängt. Der andere, eher unscheinbar, mit schlichtem | |
Trenchcoat und dunkelblauer Hose. Sie sind in ein Gespräch vertieft. Nach | |
und nach stoßen immer mehr junge Männer dazu. Die Gruppe wird größer. Zwölf | |
sind es heute insgesamt, die den Alexanderplatz zum Jagdrevier erklärt | |
haben. Ziel der Begierde: Frauen. | |
Die Männer, zwischen 20 und 37 Jahren alt, sind „Pick-Up Artists“. So | |
nennen sie sich, weil sie Frauen an öffentlichen Plätzen, in Bars, in Clubs | |
ansprechen, mit Strategie. Sie machen ihnen Komplimente, verwickeln sie in | |
Gespräche, fragen nach einem zweiten Treffen, vielleicht kommt es auch zum | |
Sex. „Einfach nur Spaß haben“, ruft einer aus der Gruppe. Alles scheinbar | |
ganz harmlos. | |
## Meister der Verführung | |
In der Vorstellungsrunde wird klar: Einige sind heute zum ersten Mal dabei. | |
Andere bereits Meister der Verführung. Andreas, (Name geändert) der Mann | |
mit dem roten Schal, kommt fast jeden Samstag hier her. „Nach meiner | |
letzten Beziehung habe ich mich nur noch wie ein Schoßhündchen gefühlt“, | |
klagt der gerade mal 24-Jährige. | |
Damit, so meint er, sei es vorbei, seit er Pick-Up macht. „Ich habe nie | |
gelernt als Mann dominant aufzutreten. Pick-Up hat mir geholfen | |
selbstbewusster zu sein. Jetzt spreche ich einfach jede Frau an die mir | |
gefällt“, erzählt er. | |
Die aktuelle Sexismus-Debatte hat für ihn nicht's mit „richtigen Männern“ | |
zu tun: „Das ist höchstens ein Macho-Problem“, so Andreas. „Wenn ich eine | |
Frau mit einem schönen Dekolletee sehe, mache ich ihr ein Kompliment dafür. | |
Sie provoziert es schließlich auch“, meint er weiter. Auch dass die Frauen | |
das alles nicht so ernst nehmen sollten mit dem Sexismus findet Andreas. | |
„Flirt, Verführung. Das ist doch alles nur ein Spiel“. | |
## 50.000 Mitglieder in Deutschland | |
Spielen, das machen auch viele der rund 50.000 Mitglieder der Pick-Up-Szene | |
in Deutschland. In den Internetforen werden die richtigen Techniken fürs | |
Abschleppen diskutiert: Mann scheint nur die richtigen Knöpfe drücken zu | |
müssen, einer vorgegebenen Bedienungsanleitung zu folgen und das Ziel ist | |
erreicht. | |
In der Szene findet sich die ganze Bandbreite männlichem Verständnisses | |
über Frauen: Chauvis und verunsicherte Jünglinge, auch Frauen - sogenannte | |
Pick-Up Cats, diskutieren dort miteinander. | |
Einige der Nutzer suchen nur nach hilfreichen Tipps, Frauen anzusprechen. | |
Sie wollen selbstsicherer werden, vielleicht sogar die Frau für das Leben | |
finden. Andere hingegen orientieren sich an Neill Strauss' Buch „The Game“, | |
das 2006 zum Entstehen einer größeren Szene führte. Die | |
pseudowissenschaftlichen Annahmen auf denen die Theorien aufbauen, | |
vermitteln ein verstaubtes Rollenbild: Frauen, auf der Suche nach | |
dominanten Männern, um die Weitergabe ihrer Gene gesichert zu wissen. Es | |
geht aber auch um Manipulation, Neurolinguistische Programmierung, eine | |
psychologische Technik, die richtig angewandt Menschen in ihrem Verhalten | |
beeinflussen und lenken soll, und Konditionierung, um Frauen von einem Mann | |
abhängig zu machen. | |
## Number close | |
„Action Jungs“, ruft Marco. Die Männer schwärmen aus. Auf dem weitläufig… | |
Alexanderplatz beginnt ein Geiger zu spielen. In alle Richtungen verteilt | |
sich die Gruppe. Einige zieht es ins gegenüber liegende Einkaufscenter, | |
andere bleiben auf dem Platz. | |
Marco demonstriert, wie man es richtig macht: „Nicht von hinten, sondern | |
immer über die Schulter ansprechen“, erläutert er. Pick-Up betreibt er nur | |
noch als Coach, so sagt er. 33 Euro kostet so eine Coaching-Stunde. | |
Eine junge Frau bleibt stehen, beginnt zu lächeln, spielt mit ihren dunklen | |
Haaren. Kurze Zeit später kehrt Marco zur Gruppe zurück. Im Gepäck: die | |
Handynummer der Frau. „Number Close“ heißt das im Pick-Up-Slang, vor „Ki… | |
Close“ und „Fuck Close“. Den wird es in diesem Fall nicht geben. Marco ist | |
bereits vergeben. | |
„Hi du bist mir gerade aufgefallen. Du hast eine tolle Ausstrahlung“, hat | |
er zu der jungen Frau gesagt. Routine-Sätze wie der von Marco sollen die | |
„Approach Anxiety“ - die Angst, Frauen anzusprechen - lindern, einstudierte | |
Abläufe Sicherheit geben. | |
## Kommerzielle Anbieter für Flirtseminare | |
Eine in den Internetforen heiß diskutierte Strategie ist es auch, negative | |
Komplimente zu verteilen. So werden dort etwa Tipps ausgetauscht wie: „Sie | |
sehen aus wie eine Künstlerin. Naja, bis auf den Pullover“. Das soll die | |
Frau ab- und den Mann aufwerten. Was viele der Männer nicht wissen zu | |
scheinen: Hinter vielen Foren stecken kommerzielle Anbieter für | |
Flirtseminare. Die wollen vor allem eins: Geschäfte machen mit der | |
Unsicherheit junger Männer. | |
Sophia Marlen, eine der wenigen Frauen in der Szene hält von diesen | |
Methoden nichts. „Die Gefahr dabei ist einfach so eine Art Social Robot zu | |
werden, wenn man sich nur hinter Techniken versteckt“, meint die | |
23-Jährige. Sie arbeitet als kommerzieller Flirtcoach, will aus den Männern | |
perfekte Verführer machen. | |
Für sie geht es im Pick-Up nicht darum, „irgendwelche manipulativen | |
gemeinen Tricks zu lernen, die sonst niemand kennt“, sondern „die | |
natürlichen Dynamiken zwischen Mann und Frau zu verstehen“. Dazu gehört für | |
Sophia auch, „dass es eben biologische Unterschiede zwischen Männern und | |
Frauen gibt. Klassische Rollenbilder machen Sinn“. | |
Die aktuelle Debatte um Brüderles „Herrenwitz“ findet sie überzogen. Sie | |
meint, viele Männer seien durch die Diskussion noch verunsicherter als | |
zuvor. Für die junge Frau gibt es nur eine Lösung des Sexismus-Problems: | |
Selbstsicherheit. „Wenn der Chef einen blöden Spruch macht, dann kontere | |
ich zurück“. | |
## Psycho-Spielchen | |
„Nein“ sagen und einen guten Spruch kontern war auch für die 45-jährige | |
Yvonne (Name geändert) eigentlich selbstverständlich. Bis sie vor zwei | |
Jahren Thomas (Name geändert) kennen lernte. Dann änderte sich alles. Die | |
selbständige Geschäftsfrau ist sich heute sicher: „Das war ein Pick-Up | |
Artist“. Bei ihrem ersten Treffen war Yvonne noch begeistert von dem | |
attraktiven Mann. „Diese starke Anziehungskraft und sexuelle Energie“, | |
Yvonne fühlte sich wie gefesselt. | |
Bis die Psycho-Spielchen von Thomas begannen: „Erst überschüttete er mich | |
mit Komplimenten, dann provozierte er mich. Wertete mich ab“, erzählt die | |
Frau weiter. „Er drehte mir die Worte immer öfter im Mund um. Gab mir das | |
Gefühl dass mit mir etwas nicht stimmt“. | |
Nebenbei hatte er zwei, manchmal drei weitere Affären laufen, berichtet | |
Yvonne. Heute glaubt sie zu wissen, dass Thomas‘ Verhalten sie in die | |
emotionale Abhängigkeit treiben sollte. Alles nur ein perfides Machtspiel? | |
Zurück auf dem Alexanderplatz: Ex-„Schoßhündchen“ versucht sein Glück. … | |
hin Alter! Die war doch heiß“, motivieren ihn die anderen. Die Frau bleibt | |
zwar stehen, schaut aber nur irritiert und eilt dann weiter. „Naja, so | |
verschwende ich wenigstens keine Zeit mit Frauen, die eh nicht zu mir | |
passen“, rechtfertigt sich Andreas. | |
Frauen sind also doch nicht so einfach gestrickt wie die Pick-Up Artists | |
vermuten. Denn es gibt sie ganz offenbar nicht: Die perfekte Masche, um an | |
die Frau zu kommen. | |
12 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Celestine Hassenfratz | |
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Joachim Gauck | |
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