# taz.de -- Verführen nach Anleitung: Die Abschleppspezialisten | |
> Sie können jede haben: Auf einer Konferenz in Aachen beraten 300 | |
> Verführungskünstler, wie sie sich und ihre Technik optimieren können, | |
> fremde Frauen ins Bett zu bekommen. | |
Bild: Heute abend schon was vor? | |
Die zwei Experten sind sich einig. "Ich habe ja nicht nur Sex mit dem | |
Körper der Frau, sondern auch mit der Persönlichkeit der Frau", sagt Skull. | |
Alexandru nickt und ergänzt: "Mit der Seele." Skull wiederholt: "Mit der | |
Seele." Das Wort gleitet über die Lippen und breitet sich im Saal aus. Tief | |
in ihre Konferenzstühle versunken sitzen Skull und Alexandru auf der Bühne, | |
die Beine weit ausgestreckt. Skull schickt dem großen Wort eine Erklärung | |
hinterher. Ein flüchtiger One-Night-Stand bringe dich nun einmal nicht dem | |
Wesen einer Frau näher. "Harem ist darum das Beste, was man machen kann. Du | |
erweiterst deine sozialen Kompetenzen." | |
In einem fensterlosen Konferenzsaal in Aachen folgen knapp 300 junge Männer | |
aus der ganzen Republik, viele Studenten und Schüler, den Ausführungen der | |
Abschleppspezialisten. Eines müsse man verstehen, erklärt Tagungsleiter | |
Skull: "Frauen sind sexuelle Wesen." Er stützt den Ellenbogen auf die | |
Armlehne und schwingt den Zeigefinger in der Luft. "Frauen sind generell | |
offen für mehrere Beziehungen." Warum soll man ihnen das verbieten? "Die | |
Frauen zu zwingen, wie sie sich verhalten sollen, hat sehr viel Leid über | |
unsere Gesellschaft gebracht." | |
Skull heißt eigentlich David Roth, studiert Medizin in Köln und leitet die | |
Academy of Social Arts, die mit ihren Kursen jeden zu einem Mann mit | |
Optionen zu machen verspricht. "Pick-up" nennt sich dieses zum Lebensstil | |
erhobene und methodisch perfektionierte Anbaggern. Minutiös optimieren die | |
Abschleppkünstler ihre Techniken, protokollieren in Internettagebüchern | |
ihre Eroberungen und organisieren sich in lokalen Gruppen. Die Ausweitung | |
der Kampfzone kommt mit einem eigenen Jargon daher: "Streetgame" heißt das | |
Ansprechen auf der Straße, "Clubgame" das im Club. "HB" steht für | |
"Hotbabe", eine Nummer gibt den Attraktivitätsgrad an. Ein "Kiss Close", | |
ein Kuss, ist respektabel. Ein "Fuck Close" mit einem HB 10 ist wohl ein | |
höheres Level. Oft gilt es dabei, zuvor die "LMR", die "Last Minute | |
Resistance" der Frau, geschickt zu überwinden. Man erwartet fast, dass als | |
Nächstes jemand erklärt, man müsse nur noch Steuerung und A drücken. | |
Pascal Levin alias Xatrix hat das schwarze Haar nach hinten gekämmt, trägt | |
eine modische Strickweste und spricht gediegen. Der Psychologiestudent | |
referiert über die Ansprechangst. Was ist los mit uns? Pascal geht langsam | |
auf und ab, mit der Fernbedienung für die Power-Point-Präsentation in der | |
Hand. Er sagt: Unsere Mannwerdung ist nicht abgeschlossen. Er sagt: Unsere | |
schlechten Erfahrungen mit Frauen blockieren uns. Aus dem Publikum kommt | |
eine Zwischenfrage: "Stellst du die Folien ins Netz?" | |
Punkt für Punkt erscheinen die Probleme auf der Leinwand. "Die Erziehung | |
ist heute größtenteils weiblich begleitet", sagt Pascal. "Um Ziele zu | |
erreichen, braucht ihr aber positive männliche Aggression." Er bittet einen | |
Freiwilligen nach vorne. | |
Energie von den Ahnen | |
"Wie heißt du?", fragt Pascal. "Michael." Er bittet Michael, die Augen zu | |
schließen, und beginnt mit einer Art Meditation. "Stell dir vor, der Kreis, | |
in dem du stehst, steht für die ganze männliche Energie deiner Ahnenreihe", | |
sagt Pascal. "Nimm dir so viel Energie, wie du magst." In Hüfthöhe macht | |
Michael eine Pumpbewegung mit der linken Hand. Schließlich ballt er die | |
Hände zu Fäusten und nickt. Michael ist bereit. Pascal führt ihn ein paar | |
Schritte vor, in die Vergangenheit hinein. "Letzten Freitag wollte ich eine | |
kissclosen." Michael stockt. "Und?", fragt Pascal mit seiner warmen, | |
verständnisvollen Stimme. "Was ist passiert?" - "Abgeblockt." | |
Er bittet Michael, sich die Situation noch einmal vorzustellen und sie mit | |
einer guten Erinnerung zu überschreiben. "Ich steh vor ihr, ich pack sie. | |
Sie fängt an zu schreien." Michael lächelt. Einige im Publikum nicken. | |
Den meisten ist die Angst vertraut, übrig zu bleiben. In der Pause zwischen | |
den Vorträgen berichtet einer, wie seine heimliche Liebe es vor seinen | |
Augen mit einem anderen machte. Ein anderer Tagungsteilnehmer bezeichnet | |
"Pick-up" als seine allerletzte Chance. Man möchte es kaum glauben, | |
schließlich wirken die meisten eher wie nette Jungen aus gutem Hause und | |
nicht wie hoffnungslose Fälle. Konferenzbesucher Philipp, 19 Jahre, | |
verschmitztes Gesicht, räsoniert. Er formt Zeigefinger und Daumen zu einem | |
Kreis, um den Punkt hervorzuheben. Der Wehrdienstleistende spricht von der | |
Emanzipation, der sexuellen Befreiung der Frau. "Ich glaube, dabei ist | |
Folgendes passiert", sagt er. "Die Männerwelt wurde gesplittet. 50 Prozent | |
waren jetzt die Traummänner. Die anderen 50 Prozent sind durchs Gitter | |
gefallen." Er lässt den Blick nachdenklich durch den Saal schweifen. "Viele | |
hier haben sehr frustrierende Jahre hinter sich." | |
Vor einem knappen Jahr hat Philipp ein Intensivtraining besucht. Der Coach | |
hat den Jungs auf der Kölner Schildergasse vorgemacht, wie man Frauen | |
stoppt und in ein Gespräch verwickelt. Dann waren die Teilnehmer an der | |
Reihe. Meistens ging es schief, erinnert sich Philipp, aber einmal klappte | |
es. Es waren Zwillinge, die er in der Fußgängerzone stoppte. "Hi, ihr seid | |
doch sicher aus Köln. Wir wollen heute Abend weggehen, könnt ihr nicht was | |
empfehlen?" Am Ende haben sie Philipp ihre Telefonnummer gegeben, obwohl | |
der Coach längst danebenstand und sich Notizen machte. | |
Männer müssen führen | |
Eines hat er dabei gelernt, sagt Philipp: dass Männer führen müssen. "Mich | |
nett unterhalten, aber nicht aufzudrängen", sagt Philipp, "diesen | |
Anfängerfehler habe ich danach nicht mehr gemacht." Gut 600 Euro hat der | |
zweitägige Kurs damals gekostet. Drei Wochen später hatte Philipp eine | |
Freundin, seine erste. Oliver Walton alias Groom schmatzt zwischen seinen | |
Sätzen so laut ins Mikro, dass man Absicht unterstellen könnte. Das Thema: | |
"Wie man den ,Lay' durch perfektes Küssen einleiten kann." | |
"Lay" ist auch ein Terminus technicus und steht für Beischlaf. Grooms | |
Vortrag richtet sich an die Fortgeschrittenen im Game. "Ich rate davon ab, | |
auf dem Weg vom Date nach Hause zu küssen. Warum?" - "Weil sie an die | |
Folgen denkt", ruft jemand. "Genau", sagt Groom. "Sie will ja eigentlich, | |
aber sie will nicht daran erinnert werden." Er hebt eine Augenbraue und | |
schmatzt. "Psychologie der Frau." Groom stemmt die Hand in die Hüfte, die | |
Armbanduhr glitzert im Scheinwerferlicht. "Ihr könnt mit Küssen | |
konditionieren. Das ist wie mit der Glocke und dem Futter. Pawlow. Kennt | |
ihr doch, oder?" Er blickt umher. "Wenn die Frau Probleme bei der | |
Eskalation zeigt, hört ihr einfach mit dem Küssen auf." Einer im Publikum | |
greift eilig nach Papier und Kugelschreiber und nuschelt beim Notieren: | |
"Ja, geil." | |
Ein paar "Tools" sind sicher hilfreich, findet Tagungsbesucher Philipp. | |
Aber man überdreht schnell. In den Vorträgen klingt oft die Sorge durch, | |
mit der Ansprechangst auch alle anderen Empfindungen zu verlieren und vor | |
lauter neurolinguistischer Programmierung zum Roboter zu mutieren. Viele | |
hier berichten davon, wie schnell sich zwischen den kühlen Fachbegriffen | |
Depression auftut, die innere Leere nach den ersten Erfolgen im "Game". Auf | |
den Gängen wird diskutiert, wie man diesen so genannten "Downstate" wieder | |
wegkriegt. 21 Uhr. Nach elf Stunden Konferenz riecht die Luft verbraucht, | |
Brötchentüten und leere Kaffeebecher haben sich unter den Stühlen | |
gesammelt. Der Stargast hinkt auf die Bühne, eigens angereist aus Kroatien. | |
Im Bürgerkrieg auf dem Balkan wurde Danijel Nesse alias Badboy schwer | |
verwundet. Und stark gemacht, wie er immer betont. International hat er | |
angeblich mit hunderten Frauen geschlafen, darunter auch Models. | |
Ein Guru aus Kroatien | |
Der Guru trägt eine schwarze Baskenmütze auf dem kahlgeschorenen Kopf und | |
eine braune Lederjacke. Die rechte Hand hat er beim Sprechen tief in der | |
Hosentasche vergraben. Mit der linken unterstreicht er in umso größeren | |
Gesten die schneidenden Sätze. Er erklärt, wie man im Handy Telefonnummern | |
verwaltet. Eindeutig verschlagworten: fuck body, future-ex-girlfriend, | |
marriage material, etc. Fickbeziehung, künftige Ex, Material für die Ehe, | |
etc. Er gibt Instruktionen fürs Date. Erst Café, dann Kino, dann Sex. Sex | |
immer erst beim zweiten Treffen. Alles andere ist unprofessionell. | |
Zwei Männer im Publikum erinnern sich an das Referat zum selben Thema. "Was | |
der da sagt", raunt der eine dem anderen zu, "widerspricht ja genau dem von | |
heute Mittag." Als Badboy seine Vision ausspricht, wird es ruhig im Saal. | |
"We are all connected with one energy", sagt Badboy. Eine Energie verbindet | |
alle Menschen. Man muss sie nur verstehen, eine Technik entwickeln, sie | |
beherrschen. Vielleicht, meint Badboy, wisse er schon bald, wie man Frauen | |
rumkriegt, ohne überhaupt ein Wort zu sprechen. "Pure energy." Er hebt den | |
Finger, die andere Hand vergraben in der Hosentasche. "Thats the future of | |
pick-up." | |
Der Applaus will nicht enden. | |
1 Dec 2008 | |
## AUTOREN | |
Bernd Kramer | |
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