# taz.de -- Debatte Weltuntergang: Apokalypse Soon | |
> Filme über den Weltuntergang sind en vogue. Wieso eigentlich? Der Spaß am | |
> Untergang ist nicht ganz so harmlos wie er daherkommt. | |
Bild: So schön kann Weltuntergang sein. | |
Gehn ma halt a bisserl unter / Mit tschin-tschin in Viererreihn / Immer | |
lustig, fesch und munter / Gar so arg kann’s ja net sein. (Jura Soyfer) | |
Wie gerne gehen wir mit einem Bierchen in der Hand vor den Fernseher, den | |
Mund voller Popcorn ins Multiplex. „The Book of Eli“, „I am Legend“, | |
„2012“, „Doomsday“, „The Road“, „28 Weeks Later“, so lauten die… | |
einiger der unzähligen Filme aus den letzten Jahren, die apokalyptischen | |
Kitzel garantieren. | |
Im Fernsehen taumeln Zombies im Wochentakt, die Serie „Walking Dead“ gehört | |
zu den erfolgreichsten der letzten Zeit, auch von der Kritik hochgelobt, | |
und die eigenen Kindern lesen sich durch eine kandierte dystopische | |
Albtraumtrilogie namens „Tribute von Panem“. Endzeitvisionen sind en vogue. | |
## Die naheliegende Erklärung | |
Wieso eigentlich? Wieso beglückt uns das mediale Aussterben unserer | |
Spezies, die Verödung des Planeten, die auf die Spitze getriebene | |
Brutalität unserer Zivilisation? Wieso entfliehen wir unserem Alltag in den | |
Weltuntergang? Eine Erklärung ist so naheliegend, dass sie sich sofort | |
aufdrängt. Die katastrophalen Entwicklungen, die in den Filmen und Büchern | |
zur finalen Explosion gelangen, sind schon im Gange, unsere Ängste gehen im | |
Kino ersatzweise in Erfüllung. | |
Die Zahl jener, die erkennen, dass es so nicht weitergeht, dass unser | |
Wirtschaftssystem destruktiv überpotent und unser politisches System | |
lähmend machtlos ist, wächst rasant – eigentlich ist das Ende des ewigen | |
Wachstums und des Katastrophenkapitalismus für jeden evident, der nicht mit | |
Verdrängung arbeitet. Für diese Vermutung spricht, dass bis in die 80er | |
Jahre des letzten Jahrhunderts ein Atomkrieg Auslöser der filmischen | |
Katastrophe war, entsprechend den damals vorherrschenden Befürchtungen. | |
Seitdem haben Klimaumwälzungen und Epidemien den atomaren Erstschlag | |
ersetzt. | |
Da der kommerzielle Erfolg von Filmen von Teenagern und jungen Erwachsenen | |
bestimmt wird und sich diese meiner zugegebenermaßen begrenzten Erfahrung | |
nach eher Sorgen um ihre persönliche als um die planetare Zukunft machen, | |
funktionieren die Dystopien und Apokalypsen doch eher als Negativ, vor dem | |
die Belastungen und Herausforderungen der eigenen Existenz verblassen. Wer | |
in Zeiten wachsender Unsicherheit lebt, wer nicht weiß, ob er in dieser | |
Gesellschaft ein würdiges Auskommen findet, ob er gar gebraucht wird, der | |
findet Trost in der grotesken Überzeichnung seiner Verunsicherung. | |
Der Horror und das Chaos auf der Leinwand oder dem Bildschirm versöhnen uns | |
mit der Dystopie light der Gegenwart. In diesem Sinne erfüllen Endzeitfilme | |
eine ähnliche Rolle wie seit Längerem schon die Obdachlosen, die den braven | |
Bürgern und Bürgerinnen täglich vor Augen führen, wie tief sie stürzen | |
könnten, wenn sie nicht aufpassen, nicht spuren, nicht schuften. Erstens | |
kann uns eh nix gschehn. Zweitens ist das Untergehn S’einzge, was der | |
kleine Mann heutzutag sich leisten kann. | |
## Tarantino, der Opportunist | |
Der Untergang ist uns nicht nur recht und billig, sondern auch Trost. So | |
weit, so erschreckend. Ebenso bedenklich ist eine weitere zeitgeistige | |
Komponente unserer apokalyptischen Gier: die Verunmenschlichung der | |
anderen. In Zeiten liberaler Gesinnung und politischer Korrektheit ist die | |
Dämonisierung und Ausrottung von Fremden in mehr oder weniger realistischen | |
Filmen kaum noch opportun (auch wenn die Ressentiments wieder anschwellen), | |
weswegen etwa Quentin Tarantino auf Nazis, Zombies und Sklavenjäger | |
zurückgreifen muss, um seine Gewaltorgien zu verwirklichen. | |
Ganz anders gestaltet es sich nach dem Untergang. Die Serie „Walking Dead“ | |
führt exemplarisch vor, wie alle humanitären Hüllen fallen (außer gegenüber | |
dem kleinen Zirkel der eingeschworenen Überlebensgemeinschaft). Zu Beginn | |
der Serie versuchen die wenigen Überlebenden vor den vielzähligen Zombies | |
zu fliehen, die Erinnerung an eine gemeinsame Menschlichkeit ist noch | |
gegenwärtig, doch im Laufe der ersten Folgen verblasst diese | |
„Sentimentalität“ und es geht danach nur noch darum, die gefährlichen, ab… | |
auch überflüssigen Scheinlebenden möglichst effizient zu vernichten. | |
Je mehr die Gruppe umzingelt wird, desto radikaler stellt sich die Frage | |
der Selbstverteidigung, bis hin zu der Überlegung, ob es gerechtfertigt | |
ist, auch (Über-)Lebende zu töten, wenn sie zu einer Gefahr für die Gruppe | |
werden. Das postapokalyptische Genre ist die Fortsetzung des Westerns mit | |
brutaleren Mitteln. | |
## Gute alte koloniale Aggression | |
So sehr fühlen wir uns als Zuschauer der Serie mit bedroht, dass wir zu | |
Komplizen eines Überlebenskampfs um Tod oder Leben werden und schließlich | |
mit Befriedigung darauf reagieren, dass den Zombies der Kopf eingeschlagen | |
wird. Irgendwann haben wir die Prämisse der Erzählung gänzlich | |
verinnerlicht. Die Unmenschlichen zwingen uns, gelegentlich Unmenschliches | |
zu tun, wie etwa einen Zombie aufzuschneiden, um herauszufinden, was er | |
neulich gegessen hat. Dieses Prinzip ist natürlich alles andere als neu, es | |
dominiert die ethische Selbstrechtfertigung aller kolonialen und imperialen | |
Aggressionen. | |
Nur wird es im apokalyptischen Film in die Zukunft gerichtet. Es herrscht | |
Knappheit vor, es ist nicht genug für alle da. Die Horden sind inzwischen | |
überall. Da wir die Wildnis nicht mehr zivilisieren können, bleibt uns nur, | |
die Nischen des vertrauten Lebens zu verteidigen. Nicht die Moral des | |
Helden ändert sich, sondern die Moral des Zuschauers, der Einsicht in die | |
Notwendigkeit gewinnt, dass die ekligen, alles bedrohenden Überflüssigen | |
massakriert werden müssen. | |
In diesem Sinn sind die Unterhaltungsfilme der Weltuntergangsindustrie | |
erstaunlich visionär. Wir sind nicht mehr weit entfernt von einer | |
Unterteilung der Erdbevölkerung in „Brutale“ und „Ewige“, wie sie der | |
Genreklassiker „Zardoz“ vornimmt. Die Brutalen leben in einer verwüsteten | |
Landschaft, gepeinigt von Krankheit und Hunger, gejagt und versklavt von | |
den „Ewigen“, die in einem von einer unsichtbaren Mauer geschützten | |
Paradies luxuriös leben. Und mit Sicherheit ganz andere Filme schauen. | |
13 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Ilija Trojanow | |
## TAGS | |
Fernsehen | |
Weltuntergang | |
Apokalypse | |
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