# taz.de -- Jorge González über seine Biografie: „Den Glam hart erarbeitet�… | |
> Jorge González ist bei „Germany's Next Topmodel“ der ewige Spaßvogel. | |
> Seine Autobiografie erzählt eine komplexere Geschichte: von Traurigkeit | |
> und Kampf. | |
Bild: Markenzeichen High Heels: Jorge González. | |
sonntaz: Herr González, heute haben Sie keine High Heels an. | |
Jorge González: Ich trage sie meist im Job. Aber ich liebe Schuhe, ich | |
liebe Design. Schon als kleines Kind haben mich Schuhe fasziniert – vor | |
allem Frauenschuhe. Und je höher der Absatz, desto besser. | |
Sind Sie nie gefallen? | |
Doch, aber wichtig ist es, wieder aufzustehen. Mir geht es nicht nur um | |
High Heels, sondern um Körperhaltung, eine innere Haltung. Man setzt sich | |
in Szene und signalisiert ganz selbstbewusst: „Ich bin so.“ Ganz ohne | |
Komplexe. Jeder sollte seinen Glam finden. | |
Seinen Glam? | |
Es gibt Frauen, die kommen zu mir und sagen, Jorge, meine Hüfte ist so | |
breit. Dann sage ich, ist doch toll, zeig deine Hüfte. | |
Man kennt Sie ja als Catwalktrainer aus der Fernsehshow „Germanys next | |
Topmodel.“ In Ihrem gerade erschienenen Buch zeigen Sie aber eine ganz | |
andere Seite von sich. | |
Ich wollte genau dieses Klischee brechen. Der immer gut gelaunte | |
Catwalktrainer Jorge auf High Heels mit der ganz tollen deutschen | |
Aussprache, die ich habe. Das ist nur eine Seite von mir. Ich habe mehr zu | |
erzählen: eine traurige, gefährliche, emotionale, bewegte Geschichte. Ich | |
habe mir meine innere Freiheit, meinen Glam hart erkämpft. Ich passe in | |
keine Schublade. | |
Siebzehn Jahre lang haben Sie ihre Homosexualität in ihrem Heimatland Kuba | |
verheimlicht. Wie sind Sie mit dieser Situation umgegangen? | |
Ich konnte nicht sagen: "Hallo ich bin anders, wer hilft mir?" Es herrschte | |
ein Klima des absoluten Machismo. Ich hab mich gar nicht erst getraut, | |
meine Homosexualität zu zeigen. Also habe ich mich vorbereitet. Viele, die | |
aus Kuba rauswollten, sind übers Meer nach Miami geflüchtet und dabei | |
gestorben, das wollte ich nicht. Eine andere Möglichkeit war, als Student | |
in die sozialistischen Länder Europas zu gehen. Um das tun zu können, | |
musste man aber in der Schule einer der Besten sein. Also habe ich | |
angefangen zu lernen. Das war mein Plan. | |
Für ein Kind in diesem Alter klingt das ungewöhnlich. | |
Das stimmt. Aus meiner Familie kommt bestimmt irgendwer aus Deutschland, | |
das Land hat mir auch sofort gefallen, dieser Fleiß, diese Disziplin. Aber | |
im Ernst: Mir wurde das Gefühl gegeben, dass ich nicht gut bin, wie ich | |
bin, weil ich anders bin. Deshalb wollte ich immer besser sein als die | |
anderen. | |
Haben Sie das geschafft? | |
Ich kam mit elf Jahren auf ein Eliteinternat von Fidel Castro in Santa | |
Clara, wir mussten immer um 6 Uhr aufstehen, und wir mussten in | |
Gummistiefeln in der Landwirtschaft arbeiten, bei 40 Grad Hitze, | |
Kartoffelernte, Mais, alles. Wenn man gut war, hatte man seine Arbeit um 10 | |
Uhr erledigt, dann konnte man duschen, wenn es Wasser gab, dann gab es | |
Essen, und um eins ging der Unterricht los bis in den späten Abend. Egal | |
wie müde wir von der Arbeit waren, wir mussten in jeder Prüfung mindestens | |
85 von 100 Punkten schaffen, sonst war man sofort raus. | |
Gummistiefel tragen Sie heute vermutlich nicht mehr? | |
Doch, aber mit Absätzen. | |
Dann wollten Sie studieren. Wie haben Sie sich denn für Ihr Fach | |
entschieden? | |
Ich habe eine Liste bekommen. Auf der linken Seite standen die | |
Studienfächer, auf der rechten Seite die Studienorte. Ich habe die linke | |
Seite zugehalten und die Tschechoslowakei gesucht. Ich hatte eine Tante, | |
die hat ihr Dorf in Kuba nie verlassen, aber sie war eine wandelnde | |
Enzyklopädie. Sie war so belesen und ein großer Fan von Kafka. Und wenn sie | |
mir von Prag erzählt hat, von der schönen Brücke und den Gassen, dann | |
konnte ich diese Stadt vor mir sehen. Dann hab ich mir die Fächer | |
angeschaut und bin auf Nuklearökologie gestoßen. Ein Fach, das darauf | |
spezialisiert ist, die Auswirkungen radioaktiver Strahlung in unserem | |
Ökosystem zu untersuchen. Ich liebe Biologie, Natur, Chemie, Physik. Prima | |
dachte ich, das passt zu mir. | |
So haben Sie sich für ihren Studienort entschieden? | |
Ja, Kafka, ich komme! Obwohl ich gar nicht in Prag studiert habe. Dort bin | |
ich angekommen, studiert habe ich aber in Bratislava. | |
War die Tschechoslowakei so schön, wie Sie sich das vorgestellt hatten? | |
Noch schöner. Ich hab das kommunistische Prag erlebt, das Prag in der | |
Veränderung und das Prag danach. Das Prag in der Veränderung, das war | |
einzigartig, das war wie das Paris der 30er Jahre, wie man es aus den | |
Filmen kennt. Die Menschen waren so frei, so hungrig auf Neues. Ich habe | |
dort meine innere Freiheit gefunden. Ich konnte so sein, wie ich bin. Es | |
gab Diskotheken für Homosexuelle, eine kleine Szene. Meine Oma hat mir | |
immer gesagt, wenn dich jemand nicht mag, dann geh einfach weiter, du wirst | |
jemanden finden, der dich so mag, wie du bist, die Welt ist groß. Ich war | |
angekommen. | |
Und dann sollten Sie wieder gehen. | |
1989 fiel der Eiserne Vorhang. Aus Kuba kam an uns Studenten sofort die | |
Ansage: Das sind jetzt eure Feinde. Die kubanische Regierung hatte | |
angekündigt, alle kubanischen Studenten nach und nach wieder zurückzuholen. | |
Das wollte ich natürlich nicht. Ich hatte die Möglichkeit, einen Werbespot | |
für die rote Dose, also für Coca-Cola, zu drehen. Der Spot kam aber früher | |
raus als geplant - als das bekannt wurde, wollte die Regierung mich nicht | |
mehr mein Diplom machen lassen und mich sofort zurückholen. Mithilfe von | |
Freunden habe ich das erste politische Asyl der neuen Regierung bekommen. | |
Das kam dann in die Presse, und es gab heftige Gegenreaktionen von Kubanern | |
in der Tschechoslowakei. Drei Monate bin ich untergetaucht. Ich war ab | |
diesem Zeitpunkt ein Konterrevolutionär, dabei habe ich nichts Politisches | |
gemacht. | |
Ihre ganze Familie war in Kuba. Sind Sie je wieder zurückgegangen? | |
Acht Jahre durfte ich nicht einreisen. Meine Familie wusste nicht, ob ich | |
lebe oder nicht. Seit 1997 durfte ich dann wieder einreisen, zunächst mit | |
einem Visum. | |
Sie haben als Kind unter Normen gelitten. Dass Sie sich nun ausgerechnet in | |
einer Welt bewegen, in der es ein stark normiertes Schönheitsbild gibt: ein | |
Widerspruch? | |
Ich hatte früher auch Komplexe, wegen meiner dicken Lippen. Ich bin immer | |
krampfhaft so rumgelaufen mit eingezogenen Lippen und habe kaum Luft | |
bekommen. Diesen Widerspruch gibt es irgendwie. Aber ich nehme das als | |
meinen Job und mir macht das auch Spaß. Ich genieße diese Glamourwelt, das | |
ist eine Facette von mir. Glücklich bin ich aber auch, wenn ich zu Hause | |
bin, mit den Menschen, die ich liebe, und mir einen schönen Film anschaue. | |
Können Sie Menschen nach ihrem Gang einschätzen? | |
Ich brauche ungefähr zwölf Sekunden. Dafür schaue ich einem Menschen zuerst | |
in die Augen, dann auf die Haltung. | |
Was ist Angela Merkel für eine Frau? | |
Sie ist eine starke Frau, diszipliniert, ehrgeizig, und sie hat ja auch | |
eine kleine Revolution geschafft, als erste Bundeskanzlerin. | |
Das sieht man an der Haltung? | |
An ihren Blicken, an ihrer Form, pamm, pamm, pamm, sie ist da, immer ganz | |
eckig. | |
Jorge González: „Hola Chicas! Auf dem Laufsteg meines Lebens“. Heyne | |
Verlag, 256 Seiten, 10 Euro | |
Diese und andere Geschichten lesen Sie in der [1][sonntaz vom 30./31. März | |
2013]. Am Kiosk, [2][eKiosk] oder gleich im [3][Wochenendabo]. Diesmal mit | |
einem Schwerpunkt zum Thema Vogelgesang. | |
31 Mar 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://bit.ly/gcsTy1 | |
[2] http://bit.ly/ILRE6W | |
[3] http://bit.ly/LYGGQ8 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
Jasmin Kalarickal | |
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