# taz.de -- Location Scout: Der Herr der Orte | |
> Von „Good Bye Lenin!“ bis „Resident Evil“ – Raidar Huber hat die | |
> passenden Berliner Drehorte dafür gefunden. Unsere Autorin war mit ihm | |
> unterwegs. | |
Bild: Szene aus Good Bye Lenin: Wo finden sich heute noch Orte, die wie DDR aus… | |
Dort, wo die Schönhauser Allee auf die Eberswalder Straße trifft und die | |
U-Bahn über die Hochtrasse rattert, will sich Raidar Huber mit uns treffen. | |
Huber, 52, sucht im Auftrag von Filmproduktionen nach Drehorten in Berlin | |
und hat den Treffpunkt klug gewählt. Denn die Schönhauser Allee ist ein | |
Klassiker unter den Locations – und Huber ein Klassiker unter den | |
Locationscouts. Für Filme wie „Good Bye, Lenin!“, „Resident Evil“ und … | |
Vermessung der Welt“ fand er im Gewirr der Stadt geeignete Wohnungen, | |
Straßen und Plätze. | |
Der studierte Maler macht den Job seit Ende der 1980er Jahre und ist damit | |
ein Scout der ersten Stunde. Zuvor war die Suche nach Locations hierzulande | |
nicht als eigener Beruf etabliert und wurde von Szenenbildnern oder | |
Zuarbeitern übernommen. Nun steht Huber, der Herr der Orte, an der | |
Schönhauser Allee und guckt einer Plastiktüte beim Vorbeisegeln zu. Er | |
selbst könnte als Figur aus einem Detektivfilm durchgehen, mit dem | |
bodenlangen Mantel und seinen hellen Augen, die sich zu Schlitzen verengen, | |
wenn er Zigarettenrauch auspustet. „Hier zu drehen hat Tradition“, sagt | |
Huber und zeigt auf die Viadukte. Erstaunlich oft sind es Geschichten über | |
Außenseiter und Zweifler, die an diesem Ort erzählt werden. | |
Im Defa-Klassiker „Berlin, Ecke Schönhauser“ von 1957 lassen Halbstarke | |
unter der Hochbahntrasse mit Mutproben die Zeit verstreichen. 1997 schaut | |
ein völlig verpeilter Jürgen Vogel auf die vorbeiziehende Bahn, um sich von | |
seinem Job im Schlachthaus zu erholen und von besseren Zeiten zu träumen | |
(„Das Leben ist eine Baustelle“). Ein wehmütiger Blick auf die Stadt, den | |
man 2012 bei „Oh Boy“ wiederfindet, dem bis dato letzten Spielfilm, der um | |
die Schönhauser Allee herum entstand. Auch darin übt sich der gebrochene | |
Held in der hohen Kunst des Bahnstarrens, die Augenlider schwer von zu viel | |
Leben mit zu wenig Geld. | |
## Friedrichstraße als Label | |
Wir lassen den Prenzlauer Berg hinter uns und fahren in eine Gegend, die | |
laut Locationscout Huber als Kulisse für ein modernes Berlin im Aufbruch | |
herhält: Die Friedrichstraße mit ihren vielen Glasfassaden ist bei Fernseh- | |
und Werbefilmproduktionen sehr beliebt, wenn sie nicht gerade aufgerissen | |
wird. Auch Tom Tykwers „The International“ wurde hier gedreht. „Diese | |
Straße samt S-Bahnhof ist ein Label“, sagt Huber. Und sie sei als Drehort | |
äußerst praktisch: „Man kann dank der beleuchteten Fassaden nachts | |
hervorragend filmen, etwa vor dem Quartier 206.“ Das würde der Produktion | |
Beleuchtungskosten sparen. Auch lebten im oberen Straßenabschnitt mit den | |
Kaufhäusern und Bürogebäuden kaum Menschen. „Niemand kann sich beklagen, | |
dass wir ihn beim schlafen stören“, sagt Huber, der beim Scouting all diese | |
Aspekte mitdenkt. Mit Vorliebe ist er im Westen der Stadt tätig – dort | |
seien die Anwohner entspannter. | |
Mitte und Charlottenburg-Wilmersdorf sind die Bezirke, in denen nach | |
Angaben der Verkehrslenkung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung am | |
häufigsten Dreharbeiten stattfinden. Jeder, der im öffentlichen Raum drehen | |
möchte, muss bei der Verkehrslenkung eine Genehmigung beantragen. Im | |
vergangenen Jahr hat sie rund 2.500 davon ausgestellt. Die Anzahl der | |
Drehtage dürfte jedoch ungleich viel höher liegen, weil eine Genehmigung | |
bis zu zwei Jahren gelten kann. Hinzu kommen die Drehs, die auf privatem | |
Gelände, etwa in Wohnungen stattfinden. | |
„Der große Ansturm der Filmteams auf Berlin begann Mitte der 1990er Jahre“, | |
sagt Huber. Nach dem Abzug der Alliierten standen Villen und Kasernen leer, | |
gleichzeitig entstanden in einem Ballett der Krähne zahlreiche Neubauten. | |
„Es gab Platz in Hülle und Fülle, von Altbau bis Hightech“, erinnert sich | |
Huber an die seligen Arbeitsbedingungen vergangener Tage. | |
Heute sieht die Lage freilich anders aus. Bestimmte Filme kann man in der | |
Stadt heute nicht mehr machen, weil die Originalschauplätze für historische | |
Stoffe rar werden – für Geschichten etwa, die im Berlin der 1980er Jahre | |
spielen. „Kaputte Hinterhöfe und Fassaden voller Einschusslöcher sucht man | |
hier mittlerweile vergebens“, sagt Huber. Um dieses graue Berlin zu | |
erzählen, wird nun zum Beispiel nach Halle an der Saale ausgewichen. „Oder | |
in die Filmstudios nach Babelsberg.“ | |
Denn dort steht die sogenannte „Berliner Straße“, ein künstlicher | |
Straßenzug mit täuschend echten Hausfassaden im Stil des frühen 20. | |
Jahrhunderts. 1998 gab die Straße ihr unsaniertes Debut in „Sonnenallee“, | |
vor drei Jahren sah man ihre ostigen Höfe in der Verfilmung von „Boxhagener | |
Platz“. Zwischendurch wurde sie für Roman Polanskis „Der Pianst“ ins | |
Warschauer Ghetto umgebaut, auch Quentin Tarantino drehte dort für | |
„Inglourious Basterds“. | |
Wie Berlin selbst ist die „Berliner Straße“ ein sich im Dauerwandel | |
befindendes Provisorium. Ende des Jahres läuft der Pachtvertrag für das | |
Grundstück aus, auf dem sie steht. Dann muss sie Platz machen für die | |
Einfamilienhäuser, die der Eigentümer dort vorgesehen hat. „Eine fast schon | |
filmreife Wendung“, findet Huber. | |
2 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Joanna Itzek | |
## TAGS | |
Film | |
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