# taz.de -- Zugunglück in Schweden: Wie die Putzfrau zur Zugdiebin wurde | |
> Eine Schwedin wurde schwer verletzt, als der Zug, den sie putzte, | |
> fahrerlos in ein Haus raste. Nun beschwert sie sich in einem Interview | |
> über die Vorurteile der Medien. | |
Bild: Noch ungeklärt: Warum fuhr der Zug eigentlich los? | |
STOCKHOLM taz | „Es sitzt noch ein Glassplitter in meiner Stirn. Der soll | |
nächste Woche entfernt werden“, berichtet Sara, deren genaue Identität nach | |
wie vor nicht bekannt ist. Sie wird in schwedischen Medien nur mit Vornamen | |
genannt. Erstmals hat die 22-jährige Schwedin, die Mitte Januar allein an | |
Bord eines führerlosen „Geisterzuges“ war, der mit 80 Stundenkilometern | |
nächtens in ein Wohnhaus in Stockholm raste, in einem Interview von ihrer | |
unfreiwilligen Fahrt berichtet. | |
Es sind nur Erinnerungsfetzen, die Sara von diesen drei Minuten hat. Erst | |
habe sie sich nichts gedacht, als der Zug plötzlich losfuhr. Es passiere | |
öfter während des Reinemachens, dass Züge unangekündigt rangiert würden. | |
„Doch dann dachte ich: Das geht irgendwie zu schnell.“ Sie habe überlegt, | |
rauszuspringen. Dann habe sie vergeblich versucht, in der Fahrerkabine den | |
Zündschlüssel umzudrehen. „Da dachte ich an Frida Kahlo und dass ich auf | |
die Haltestangen aufpassen muss. Sie hat ja bei einem Busunfall so eine | |
Stange in ihr Becken bekommen und konnte dann keine Kinder mehr kriegen.“ | |
Sara kauerte sich hinter der Führerkabine auf den Boden. Das rettete ihr | |
wohl das Leben. Während die rechte Front des Zuges beim Aufprall zerstört | |
wurde, überlebte sie auf der linken Seite, eingeklemmt zwischen Wand und | |
einem Sitz: Rippen und Schlüsselbein gebrochen, Herzbeutel und Lunge | |
punktiert, Becken- und Kieferbruch, Nervenschäden an den Beinen, ein Ohr | |
fast abgerissen. | |
Dass der Bahnbetreiber Arriva, eine Deutsche Bahn-Tochter, sie sofort des | |
Zugdiebstahls bezichtigte, erfuhr Sara erst, nachdem Arriva sich dafür | |
entschuldigt hatte. „Ich möchte deshalb nicht verbittert sein“, sagt sie: | |
„Lächerlich haben sich ja nur die gemacht.“ | |
## „In Mittelschweden geboren und aufgewachsen“ | |
Doch auf ihr Verhältnis zu Journalisten, die die „Zugdiebin“-Version | |
unkritisch verbreiteten, wirkte sich das aus. Sie gab nur der Zeitung | |
Sekotidningen der Dienstleistungsgewerkschaft Seko ein Interview: „Das hat | |
auch mit Dankbarkeit gegenüber meiner Gewerkschaft zu tun, die hinter mir | |
stand.“ Sie wollte auch gegen Gerüchte vorgehen, die im Internet | |
kursierten: Putzfrau, also Ausländerin, vermutlich Muslimin, womöglich | |
Terroristin, wohl eine „Illegale“. | |
„Um es diesen verdammten Rassisten zu geben, könnt ihr gern schreiben, dass | |
Sara in Hälsingland [Mittelschweden] geboren und aufgewachsen ist“, erklärt | |
die blonde Frau. Arriva werden schwere Verstöße gegen | |
Sicherheitsvorschriften vorgeworfen. | |
5 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
Reinhard Wolff | |
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