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# taz.de -- Heimattheater: „Das Regionale ist en vogue“
> Der Autor und Regisseur Peter Schanz verarbeitet die Geschichten regional
> verwurzelter Prominenter wie der Sex-Unternehmerin Beate Uhse oder der
> Nazi-Größe Adolf Eichmann zu Theaterstücken, die unmittelbar mit der
> jeweiligen Stadt zu tun haben. Die Nachfrage nach den Stücken ist hoch
Bild: Greift Regionales auf, das sonst keiner fürs Theater nutzt: Autor und Re…
Theater als Heimatbühne neu zu definieren und zu praktizieren – „das finde
ich heutzutage angemessen.“ Freundlich ironisches Lächeln entspannt Peter
Schanz’ Gesicht. Also das, was davon sichtbar ist hinterm Märchenonkelbart,
den er seit Studientagen wuchern lässt und nur zweimal im Jahr pflegerisch
dezent kürzt.
Jetzt aber schweigt der Theatermann erst mal kauzig. Weiß, dass Reaktionen
kommen. Sich die Miene des Gegenübers häufig verkrampft beim Stichwort
„Heimat“: ein verpönter Begriff, umweht vom Atem des Revanchismus. Schanz
hält dagegen. „Richtig, Heimattheater ist eigentlich so etwas Bah-Mäßiges,
igittigitt, Laientheater, sehr bieder oder erzkonservativ. Aber das muss ja
nicht sein. So wie meine Freunde von der Jazzkantine einen Volksliederabend
herausgebracht haben, um dieses Liedgut nicht den Rechten zu überlassen,
möchte ich Regionales aufgreifen, das sonst keiner fürs Theater nutzt.“
Als Freiberufler gelang ihm der Durchbruch vor drei Jahren: 56 ausverkaufte
Vorstellungen habe seine „Meta, Norddeich“ erlebt, sagt er stolz. Mit dem
Rockmusical über eine in Ostfriesland kultisch verehrte Musikkneipe gelang
der Landesbühne aus Wilhelmshaven eine triumphale Tournee durch den
Nordosten Niedersachsens.
„Meta, Norddeich“ war eine Initialzündung für Schanz’ Idee einer
Identifikation fördernden „regionalen Dramaturgie“. Das Interesse der
Zuschauer, auf die eigene Scholle zu blicken, erklärt sich Schanz „als
Gegenbewegung zur Orientierungslosigkeit in der Globalisierung“. In diesem
Sinne sei das „Regionale durchaus en vogue“.
Theater kuscheln da inzwischen gern mit? „Offiziell zumindest“, sagt der
freundliche Überzeugungstäter: „Die Stadttheaterleute sind ja Vagabunden,
um vor Ort für sich einzunehmen, haben sie diesen wohlfeilen Schnack,
Theater für die Stadt machen zu wollen, was sie aber nicht machen, die
Spielpläne sind ja großenteils austauschbar. Ich will dagegen Stoffe,
Themen, Inhalte, Figuren auf die Bühne bringen, die unmittelbar mit der
Stadt zu tun haben. Es ist doch so spannend, sich damit
auseinanderzusetzen, was dort, wo ich lebe, war und ist – verbunden mit all
den Woher-komme-ich-Fragen.“
In den 90er-Jahren hat er am Staatstheater Braunschweig seine Konzepte
spartenübergreifend realisiert. Schanz ließ das „Braunschweiger
Telefonbuch“ aufführen, vergab einen Stückauftrag an Hartmud El Kurdi für
„Boomtown Braunschweig“, eine Büro-Ballade in 3 Akten und 2 Ordnern, und
verfasste selbst „Der Afrikaner“ nach dem Roman „Abu Telfan“ von Wilhelm
Raabe, der fast 40 Jahre in Braunschweig gelebt hatte. Besonders stolz ist
der „Schabernacker“ Schanz auf seine Moritat „Mensch Agnes“, das Portr�…
einer Braunschweiger Straßenmusikantin, die als Epileptikerin eines der
ersten Euthanasie-Opfer der Nazis war.
Inzwischen hat es sich ausgebraunschweigert: Schanz hängte das
öffentlich-rechtliche Theater an den Nagel, suchte Heimat anderswo,
umschipperte mit einem Containerschiff die Welt, kam als Fotokünstler
zurück. Er hatte jeden Tag ein einziges Foto geschossen: Immer zur selben
Tageszeit die Wasseroberfläche und nichts als die Wasserfläche abgelichtet.
„87 Tage Blau“ nennt sich die Fotomeditation aus mal grünlichen, mal
graustichigen, mal azur schimmernden Variationen in Meerblau. Sie hingen in
Galerien, wurden gedruckt.
Schanz pilgerte heimatforschend auch an der ehemaligen deutsch-deutschen
Grenze entlang, so entstand sein Ich-bin-dann-mal-weg-Buch. Für Mare machte
er Reportagen, ebenso für den NDR und die taz. Aber die Infektion mit der
Theaterbegeisterung ist unheilbar.
2013 hetzt er von Uraufführung zu Uraufführung. Und er schreibt immer
weiter. Seine Werke sind in ihrer Bezogenheit auf den Uraufführungsort
reich an Anspielungen und nicht explizit ausformulierten Bezügen, die
Ortsfremde erst mal nicht verstehen. „Ich nehme so in Kauf, dass meine
Stücke nirgendwo nachgespielt werden. Was als Freiberufler, der
erfolgsabhängig arbeitet, ja schon schwierig, aber eben Folge meiner
Überzeugung ist: Ich mache Heimatkunde!“
Im Zentrum seines Theaters steht immer eine Identifikationsfigur. „Am
besten nicht die naheliegend mit dem Ort assoziierte, sondern eine, die was
Widersprüchliches auslöst in mir.“ Dass Schleswig-Holsteiner dank seiner
biografischen Nachkriegsshow „Beate U.“ die Flensburger
Sexshop-Unternehmerin Beate Uhse heimatlich eingemeindeten, war schon ein
unterhaltsamer Coup. Obwohl er eigentlich das Exposé eines anderen Stoffes
realisieren wollte: „Über einen Mengele aus der zweiten Reihe“, der unter
dem Namen Dr. Charles Savage noch bis in die 60er-Jahre an
Gesundheitsämtern in Schleswig-Holstein weiterpraktiziert habe. „Das war
dem Landestheater dann aber doch zu heikel“, sagt Schanz.
Mutiger war die Intendanz in Celle. Sie ließ Schanz einen Heimatabend über
die vier Jahre erarbeiten, in denen Holocaust-Cheflogistiker Adolf Eichmann
unter falschem Namen im 13 Kilometer von Celle entfernten Altensalzkoth als
Holzfäller und Hühnerzüchter lebte.
Schanz hat für die Produktion namens „Altensalzkoth“ nur Schauspieler
engagiert, die das Publikum als Celler kennt und die Celle kennen. Nicht
Gast-Mimen zwingen also die alten Geschichten auf, „die ganze
Nazi-Scheiße“, wie auf (und vor) der Bühne befürchtet wird, sondern es ist
eine gemeinsame Unternehmung im „Wir“-Tonfall.
„Ich versuche, sauber zu recherchieren – und kooperiere dabei auch mit den
Heimatforschern vor Ort. Mit Originaltexten, -aussagen und -dokumenten
suche ich ein zeitgenössisches dokumentarisches Theater.“ Schanz legt dabei
keinen Wert auf künstlerische Aneignung durch einen eigenen Sprach- und
Textkompositionsstil oder eine originäre Aufführungsästhetik. Er ist
routinierter Handwerker, seine Werke verleugnen nie den Charakter von
Auftragsarbeiten, sprechen die aufgetragenen Themen direkt an: sachlich,
ernsthaft Verständnis suchend, bemüht neutral. „Ich trage das alles
zusammen, gebe weiter, was ich finde, biete es den Zuschauern an. Jeder
kann sich dann sein Bild machen.“
Die Mischung aus Fakten, Hintergrundinformationen und O-Tönen sind ja auch
die klassischen Zutaten der Zeitungsreportage und des Radio-Features. Ist
Schanz-Theater eine szenische Reportage? „Finde ich total angemessen den
Begriff.“ Und da es in der journalistischen Behandlung historischer Stoffe
üblich ist, den Brückenschlag in die aktuellen Debatten zu wagen,
verschweigt Schanz im Schlosstheater auch nicht, dass Celle heute noch
Anziehungspunkt für Rechtsradikale ist. „Es gibt da viel Bedürfnis, den
Heimatbegriff zu überdenken, zu lernen, dass es da keine Tabus zu geben
braucht.“
Da „Wohlfühlarbeiter“ Schanz aber genauso gerne provoziert wie er
harmonisiert, ließ er auch vortragen, wie Celle auch mal ganz schlicht und
wörtlich als Heimat zu genießen ist. „Rohe Roulade“ preisen die Mimen als
Celler Spezialität - und Welfenpudding zum Dessert.
Ganz anders der Versuch, den Wilhelmshavenern ein heimisches Wohlfühlen zu
vermitteln. Die Uraufführung des Monodramas „Der OB“ ist ein hysterisch
rotierender Kabarettabend wider eine „in nordnordwestdeutschen ländlichen
Räumen liegenden real existierenden kreisfreien kleinen Großstadt“. Gemeint
ist damit das aus Wilhelmshavener Perspektive benachbarte Oldenburg.
Der wenig geliebte Nachbar wird verhohnepiepelt: sein ruhmloses
Voranmarschieren im Nationalsozialismus, bürgerlicher Snobismus,
Karnevalvereinsmeiereien, Grünkohltour-Besäufnisrituale. Als dessen „König…
satirisch abgewatscht wird vor allem „Der OB“ Gerd Schwandner.
Diese Umwegfinanzierung des Heimatgefühls funktioniert: sich durch
Abgrenzung des eigenen Heimatwertes vergewissern. Denn wenn es im
pleite-schnieken Oldenburg so lächerlich zugeht, ist Stolz möglich, im
pleite-schäbigen Wilhelmshaven zu Hause zu sein.
Und wo fühlt sich Peter Schanz daheim? „Ich bin ein Heimatloser“, sagt er.
1957 wurde er in Bamberg geboren und studierte in Würzburg, Graz und
München die Fächer Germanistik, Geschichte und Politologie. Ab 1984 reiste
er als Dramaturg und Regisseur durch die Stadttheaterrepublik. Heute wohnt
er als freier Autor in Neuwittenbek am Nord-Ostsee-Kanal.
Für Peter Schanz bedeutet Heimat „fränkisches Mittelgebirge als Landschaft,
als Geruch der Menschenschlag dort, der Geschmack von evangelischer
Bratwurst, die hat gegenüber der katholischen besonders dickes Brät. Aber
ich fühle mich jetzt auch im flachen Schleswig-Holstein – total zu Hause“.
## „Beate U.“: 25. 4., Saal Erheiterung, Meldorf; 26. 4., Theater in der
Stadthalle, Neumünster; 27. 4., Theater Flensburg „Der OB“: 6. 4., 13. 4.
und 20. 4., Rheinstr. 91, Wilhelmshaven „Altensalzkoth“: derzeit keine
Aufführungen
6 Apr 2013
## AUTOREN
Jens Fischer
## TAGS
Celle
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