# taz.de -- Kolumne Politik von unten: Ideologisches Knutschverbot | |
> Wie das Wirrwarr privaten Politisierens linke WGs ausleiern kann. Bis | |
> Küssen in der Küche verboten wird. | |
Bild: Wie hältst du es mit Israel? Und wie mit dem Knutschen in der Küche? Ei… | |
Das Private ist politisch. Den Spruch kennen wir alle, und er wirkt auf | |
mich schon ganz gut ausgeleiert. Ganz, gut und ausgeleiert. Lassen wir uns | |
das auf der Zunge zergehen. | |
In einer meiner privat-politischen WGs schauten wir uns zu allem | |
Kuddelmuddel, den dieses private Politisieren bei uns ergab, auch noch neue | |
MitbewohnerInnen an. Kurz zuvor war der Streit der Antideutschen gegen die | |
AntiimperialistInnen durch unsere Räume gezogen, die ideologischen | |
Nervenkostüme lagen blank. Dazu noch eine kleine Antisexismusdebatte - und | |
schon waren jetzt einige Zimmer frei. | |
So saßen wir am Tisch. Mit Tee oder auch Kaffee, mit Milch oder ohne | |
(frisch/bio/Tetrapak). Uns gings ums Ganze, ums Gute. Das hatte uns | |
ausgeleiert. | |
Doch wir hatten einen Plan, mit dem wir uns vor weiteren Konflikten | |
schützen wollten. Ich werde noch heute, fast zwei Jahre später, auf diesen | |
Plan angesprochen. Gossip der Berliner linken Szene. Nach Tee und Kaffee | |
schauten wir in die Runde: "Wer soll diesmal? Du? Ich?" Und wir fragten die | |
Bewerberinnen die zwei Fragen, von denen alles abhing. | |
Räuspern. Was hältst du vom Existenzrecht Israels? Atemzug. Es ging um ein | |
WG-Zimmer. Klick, klick machte es in den Köpfen. Wer schon tief in der | |
Szene drin war, wusste, worum es geht. Sofort. Hier leben also | |
Antideutsche. | |
Wurde der Test bestanden, kam die nächste Frage, die sich eiligst auf | |
Partys verbreitete: Wir haben ein Knutschverbot in der Küche. Geht das für | |
dich klar? Die Bewerbungsgespräche wurden zu einem privat-politischen | |
Parteibuch, genährt aus Tränen und Schreien der vergangenen Monate. | |
Liegt diese Wohnung in einem freien Land, in dem knutschen kann, wer wen wo | |
will? Oder sind die Grenzen die Summe aller Bedürnisse, auch der | |
empfindlichsten? Am Ende des Streits stand eine Abstimmung im WG-Plenum. | |
Sieben zu eins für Knutschverbot. | |
## Ein großer Ideologie-Klops zwischen uns | |
Verletzungen werden am besten mit Ideologien verschleiert. Dann gehts ums | |
Ganze. Um das Gute. Oder zumindest gegen das Schlechte. Aber wenn wir mit | |
solch riesigen Begriffen um uns werfen, ist es nicht nur eine wirksame | |
Verteidigung, es ist auch eine wirksame Erstickung. | |
Beschimpf ich dich als SexistIn, stehen wir erst mal da, einen großen | |
Ideologie-Klops zwischen uns. Und "Das hab ich nicht sexistisch gemeint" | |
können wir alle sagen. Bist. Du. Trotzdem. Dabei verblasst alles | |
Persönliche und es zählt vor allem die Ideologie, das "Richtige". Und es | |
leiert uns aus. | |
In fast jeder linken Wohnungsanzeige steht mittlerweile, man sei nicht | |
dogmatisch. Doch wenn alle dogmatisch-undogmatisch werden, ist auch schon | |
alles egal. Und "das Politische" beginnt zu greifen. Der Postmarxist | |
Ernesto Laclau beschreibt "das Politische" als Moment, in dem rational | |
nicht entscheidbare Konflikte durch Machtverhältnisse gelöst werden. Sieben | |
zu eins am WG-Tisch. | |
26 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Jean Peters | |
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