# taz.de -- Gedenken in Polen: Im Smolensker Verschwörungsnebel | |
> 2010 kamen Präsident Lech Kaczynski und weitere 95 Polen bei einem | |
> Flugzeugabsturz in Russland ums Leben. Viele rätseln immer noch über die | |
> Ursache. | |
Bild: Warschau: Gedenken an die Opfer des Flugzeugabsturzes vor drei Jahren in … | |
WARSCHAU taz | Vor dem Präsidentenpalast in Warschau hält ein rund | |
70jähriger Pole ein Flugzeugmodell in die Luft, in das sich eine russische | |
Rakete gebohrt hat. „Ich bin hierher gekommen, um an die ermordete Elite | |
meines geliebten Vaterlandes Polen zu erinnern“, sagt der Mann in die | |
Kameras. | |
Ein jüngerer Mann neben ihm schwenkt eine große rotweiße Fahne: „Die | |
Katastrophe mit den vielen Toten war schon schlimm“, sagt er. „Aber die | |
Lügen der Regierung danach noch viel mehr. Ich habe das Vertrauen zu | |
unseren Politikern verloren.“ | |
Je länger die Flugzeugkatastrophe von Smolenk zurückliegt, bei der am 10. | |
April 2010 Polens damaliger Präsident Lech Kaczynski, seine Frau und | |
weitere 94 Polen ums Leben kamen, desto unklarer wird für viele Polen die | |
Unfallursache. | |
Drei Jahre nach dem Absturz der Maschine bei dichtem Nebel fragen sich 52 | |
Prozent der Polen, ob wirklich die schlechten Sichtverhältnisse und | |
gravierende Pilotenfehler zum Tod von Passagieren und Besatzung führten. | |
Dies hatten unabhängig voneinander eine russische und eine polnische | |
Untersuchungskommission festgestellt. Laut einer aktuellen Umfrage des | |
öffentlichen Fernsehens TVP meinen über die Hälfte der Polen, dass „die | |
wichtigsten Fragen zum Unfallhergang bis heute nicht beantwortet“ seien. | |
## „Katyn – Smolensk“ | |
Drei Tage lang sollen die Gedenkfeiern in diesem Jahr dauern. Besonders | |
aktiv zeigt sich dabei die rechtsnationale Szene Polens rund um die Partei | |
Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski. Der Zwillingsbruder | |
des Jura-Professors und Ex-Präsidenten Lech Kaczynski schürt seit Jahren | |
Verschwörungstheorien und gibt der aktuellen Regierung Polens Mitschuld am | |
Tod der Polen in Russland. | |
Der Verweis auf das Massaker von Katyn, bei dem kurz nach Kriegsbeginn und | |
auf Befehl des sowjetischen Geheimdienstes tausende von polnischen | |
Reserveoffizieren und Soldaten erschossen wurden, darf dabei nie fehlen. | |
Die Parallele ergibt sich dann fast von selbst: damals hätten „die Russen“ | |
die polnische Elite mit Schüssen in den Hinterkopf erledigt, diesmal hätten | |
sie das Flugzeug mit Polens Präsidenten an Bord durch eine Explosion in der | |
Luft zum Absturz gebracht. | |
Die Protest-Demonstrationen vor der russischen Botschaft in Warschau sind | |
daher ein zentrales Element der Gedenkfeiern. Die Polizei riegelte die | |
Botschaft bereits am Dienstag mit Metallbarrieren ab. Da sie nicht im | |
Zentrum Warschaus liegt, kamen zur ersten Demonstration nur rund 100 bis | |
200 Demonstranten mit ihren handgemalten Schildern: „Wir fordern die | |
Wahrheit!“ Oder „Katyn – Smolensk“. | |
## Brandreden gegen Russland | |
Am Mittwoch, dem eigentlichen Gedenktag, okkupierte die PiS nicht nur die | |
Krakauer Vorstadtstraße vor dem Präsidentenpalast, sondern dominierte auch | |
im Fernsehen: die Verschwörungs-Parolen eines leidenschaftlichen Mythomanen | |
wurden live übertragen, ebenso wie die Kranzniederlegung Jaroslaw | |
Kaczynskis und seine Brandreden gegen Russland und die aktuelle polnische | |
Regierung. | |
Auf riesigen Leinwänden zeigte die PiS und die ihr nahestehende | |
nationalistische Zeitung Gazeta Polska Filme über die „wahren“ | |
Unfallursachen, über den Helden-Präsidenten, der sein Leben für Polen | |
gegeben habe, über die große Trauer der Polen vor drei Jahren und heute. | |
Obwohl niemand eine „Blockade“ der aus ganz Polen erwarteten Demonstranten | |
angekündigt hatte, gaben sich Aktivisten der rechten Szene siegesgewiss. Es | |
werde nicht gelingen, die 100.000 in Warschau erwarteten Demonstranten | |
aufzuhalten. | |
Nach dem Tod seines Bruder hatte eigentlich Jaroslaw Kaczynski, der | |
Parteichef von „Recht und Gerechtigkeit“, in den Präsidentenpalast in | |
Warschau einziehen wollen. Doch er verlor die Wahlen gegen den | |
Liberalkonservativen Bronislaw Komorowski. So gehört nun auch Polens | |
Präsident zum rechten Pantheon der angeblichen Landesverräter, die allesamt | |
„Blut an den Händen“ hätten. | |
Auch Polens katholische Kirche hat im Verschwörungsnebel von Smolensk die | |
Orientierung verloren. Seit Tagen bitten Priester in ihren Predigten Gott | |
um Aufklärung der Flugzeugkatastrophe. Mit seiner Hilfe werde die Wahrheit | |
ans Licht kommen, versprechen sie den Gläubigen. An den offiziellen | |
Gedenkfeiern der Regierung auf dem Friedhof und in der Warschauer | |
Kathedrale nahmen die PiS-Anhänger demonstrativ nicht teil. | |
Premier Donald Tusk zog es vor, am Morgen des 10. Aprils den Opfern der | |
Flugzeugkatastrophe auf dem Militärfriedhof Warschaus seine Ehre zu | |
erweisen und dann zu einem Staatsbesuch nach Nigeria zu fliegen. Die sich | |
durch Polens Hauptstadt ziehenden Hass-Paraden kann er sich auch in Afrika | |
im Fernsehen angucken. | |
10 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
Gabriele Lesser | |
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