# taz.de -- Nahrung beeinflusst Evolution: Der Mensch ist, was er isst | |
> Die Nahrung hat auf vielfältige Weise den Menschen verändert. Feuer bei | |
> der Zubereitung des Essens könnte die soziale Evolution erheblich | |
> vorangetrieben haben. | |
Bild: Die Beherrschung des Feuers war ein einschneidender Schritt in der Evolut… | |
MÜNCHEN taz | Nicht schlecht staunte ein internationales Forscherteam, als | |
es vor einigen Monaten am Eingang der südafrikanischen | |
[1][Wonderwerk-Höhle] die bisher ältesten Hinweise auf Feuerstellen fand. | |
Sie werden auf rund eine Million Jahre datiert. Vorher ging man davon aus, | |
dass die Vorfahren des Menschen frühestens vor knapp 790.000 Jahren das | |
Feuer nutzten, so legt es eine israelische Fundstätte nahe. | |
Unter anderen Indizien sichteten die Forscher in der Asche pflanzliches | |
Material und Reste von Tierknochen – genug Beweise für die Archäologen, | |
dass es sich um ein kontrolliertes Feuer und nicht etwa um einen Buschbrand | |
gehandelt hat. | |
Die Fossilien des steinzeitlichen Barbecues unterfüttern eine Theorie zur | |
Evolution des Menschen nun mit weiteren Fakten, die sogenannte | |
[2][Kochhypothese]. Der ursprünglich britische Primatologe [3][Richard | |
Wrangham von der Harvard University] lancierte sie erstmals im Jahr 1999 | |
und vertritt darin die Meinung, dass erst gekochtes Essen aus dem Affen | |
einen Menschen, genauer: den [4][Homo erectus] machte. | |
„Aus unserer Entdeckung lässt sich tatsächlich schließen, dass die | |
Vorfahren des Menschen bereits in der Zeit des Homo erectus das Feuer in | |
ihre Lebensweise integriert haben könnten“, bestätigt [5][Michael Chazan | |
von der Universität Toronto] und Mitglied des Wonderwerk-Forschungsteams. | |
Der aufrecht gehende Homo erectus gilt als Bindeglied zwischen Affe und | |
Mensch. Er besaß im Vergleich zu seinen Vorfahren ein wesentlich größeres | |
Gehirn bei verkleinertem Mund und Darm. So war die Gehirnmasse des vor rund | |
drei Millionen Jahren lebenden und auch schon aufrecht gehenden | |
Menschenaffen [6][Australopithecus afarensis] („[7][Lucy]“) rund 500 | |
Kubikzentimeter groß, ähnlich wie bei Schimpansen heute. | |
## Erfinder und Weltenbummler | |
Homo erectus, der vermutlich erstmals vor knapp zwei Millionen Jahren die | |
Bildfläche betrat, brachte es dagegen auf mehr als das Doppelte. Er erfand | |
zahlreiche Werkzeuge und war ein echter Weltenbummler, wanderte aus Afrika | |
aus und besiedelte Asien und Europa – ein intelligenter Typ. | |
Vorgänger des Homo erectus wie Lucy oder der direkte Nachfolger [8][Homo | |
habilis] kannten zwar bereits Fleisch – seit rund 2,3 Millionen Jahren | |
steht es auf dem Speiseplan der Menschen – hauptsächlich ernährten sie sich | |
jedoch noch von Blättern, Früchten und Wurzeln. Der Grund, warum auch ihr | |
Darm noch erheblich länger war und die Backenzähne flach und groß, einem | |
Mühlstein ähnlich. | |
Vielen Anthropologen wie etwa [9][Leslie Aiello] vom University College | |
London gilt Fleisch als Treibstoff für die körperlichen und in der Folge | |
soziobiologischen Veränderungen des Homo erectus. Schließlich liefern | |
Steaks, Kotelett und Co. wertvolles Eiweiß und damit auch ein Plus an | |
Energie, das für das exorbitante Gehirnwachstum unabdinglich war. | |
## Aufgebrochene Zellen | |
Wrangham glaubt dagegen, dass es nicht das rohe Fleisch war, das uns | |
smarter machte, sondern gegartes Essen im Allgemeinen. Denn der Mensch kann | |
aus diesem laut diverser Studien wesentlich mehr Kalorien beziehen als aus | |
Rohkost. Hitze verändert die Textur eines Lebensmittels, Proteine | |
denaturieren, Stärke verkleistert, Zellwände brechen auf und sonst | |
eingesperrte Nährstoffe werden für den Körper verfügbar. | |
Gekochtes, stärkereiches Wurzelgemüse oder auch gegartes Fleisch liefern | |
darum mehr Kalorien als die rohen Varianten. So hat der Harvard-Primatologe | |
gemeinsam mit seiner Kollegin Rachel Carmody vergangenes Jahr in einer viel | |
beachteten Studie aufgedeckt, dass Mäuse unter einer Rohkostdiät Gewicht | |
verlieren. Erhielten sie die gleiche Menge als gekochtes Futter, konnten | |
sie ihr Gewicht halten. Sogar Menschenaffen bevorzugen Gekochtes und lassen | |
Rohkost links liegen. | |
Verfechter der Rohkosttheorie behaupteten jedoch immer wieder, dass es | |
Völker – etwa die Inuit – gäbe, die sich ausschließlich mit Ungegartem | |
begnügten, ja dass der Mensch die meiste Zeit seines Daseins von Rohem | |
lebte, Rohkost daher die natürlichste und gesündeste Ernährungsweise sei. | |
## Nebenwirkungen der Rohkost | |
Laut Wrangham gibt es jedoch sogar bei den Inuit jeden Abend eine warme | |
Mahlzeit. Und aktuelle Rohkoststudien zeigen, dass 50 Prozent der Frauen | |
keine Menstruation mehr haben. „Es ist nicht möglich, dass unsere Vorfahren | |
so genügend Nachkommen zeugten, um zu überleben“, meint Wrangham. Die | |
Nutzung des Feuers hatte auch den Vorteil, dass gefährliche | |
Krankheitserreger abgetötet wurden und Nahrung haltbar gemacht werden | |
konnte. | |
Die meisten Evolutionsbiologen haben der Nahrungszubereitung wenig | |
Wichtigkeit beigemessen, man ging dagegen davon aus, dass der Mensch auch | |
ohne Kochtopf geworden wäre, was er heute ist. Wranghams Theorie war darum | |
provokant und galt vielen als zu wenig fundiert. | |
[10][Pat Shipman, Anthropologin an der Penn State University], warf ihm | |
beispielsweise vor, dass viel mehr und auch noch ältere fossile Lagerfeuer | |
gefunden werden müssten, wenn sie so gebräuchlich waren. Allerdings sind | |
solche Überreste extrem schwer auszumachen. | |
## Umstrittene Thesen | |
Shipman bleibt auch nach den neuen Erkenntnissen aus Südafrika skeptisch: | |
„Eine Fundstätte mehr überzeugt mich nicht.“ Unumstritten ist, dass | |
Lagerfeuer unabhängig vom Zeitpunkt ihrer ersten Nutzung außer einer | |
effizienteren Nahrungszubereitung auch soziale Veränderungen mit sich | |
brachten. | |
Sie dienten als Wärme- und Lichtquelle und boten auch einen Schutz gegen | |
Raubtiere – das war wichtig für Homo erectus, der anders als seine | |
Vorgänger nicht mehr auf Bäumen schlief. Letztlich konnte auch die | |
Herstellung von Werkzeugen im Feuer verfeinert werden. | |
Wrangham und die Kochhypothese gehen jedoch noch weiter: An der Feuerstelle | |
sei es schließlich zu mehr Geselligkeit gekommen, wodurch auch die | |
Entwicklung der Sprache gefördert worden sein könnte. Dass mit der | |
Entstehung des Homo erectus eine Verkleinerung des Gebisses einherging, was | |
mehr und mehr zu einer nuancierteren Sprache führte, spricht dafür. „Unser | |
Menschsein, unsere Kultur und Zivilisation begann erst mit der Zubereitung | |
warmer Mahlzeiten über offenem Feuer“, ist der Harvard-Wissenschaftler | |
überzeugt. | |
## In Gruppen leben | |
Andere Evolutionsbiologen glauben dagegen, dass die Fähigkeit des Homo | |
erectus, in Gruppen zu leben, die Gehirnmasse wachsen ließ und die | |
Sprachentwicklung stimulierte. | |
Den Zuwachs an Intelligenz durch kalorienreichere Kost hätte die Frau | |
jedoch mit einer Unterordnung bezahlen müssen, meint Wrangham: Sie sammelte | |
Wurzelgemüse und Feuerholz, war für die Bewahrung der Glut zuständig und | |
kochte regelmäßig, im Gegenzug dafür bot der Mann ihr und den Kindern | |
Schutz und beschaffte Büffel- und Antilopensteaks. | |
„Kochen kreierte ein neues System der männlichen Superiorität“, meint | |
Wrangham. „Das ist kein schönes Bild.“ Es könnte allerdings erklären, wa… | |
sich veraltete Rollenklischees auch in modernen Gesellschaften so | |
hartnäckig halten. | |
14 Apr 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Wonderwerk-H%C3%B6hle | |
[2] http://missinghumanmanual.com/?p=58 | |
[3] http://www.heb.fas.harvard.edu/ | |
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Homo_erectus | |
[5] http://anthropology.utoronto.ca/people/faculty-1/faculty-profiles/michael-c… | |
[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Australopithecus_afarensis | |
[7] http://de.wikipedia.org/wiki/Lucy | |
[8] http://de.wikipedia.org/wiki/Homo_habilis | |
[9] http://www.wennergren.org/about/leslie-c-aiello | |
[10] http://www.anthro.psu.edu/faculty_staff/shipman.shtml | |
## AUTOREN | |
Kathrin Burger | |
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