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# taz.de -- Streit um Nationalpark Nordschwarzwald: Der Wald als Sparkasse
> Den Wald sich selbst überlassen – was kann man dagegen haben? Viel. Es
> geht darum, wie Menschen den Wald benutzen dürfen. Und wem er gehört.
Bild: Ein Stück Bannwald im Schwarzwald bei Kaltenbronn: Die Gegner des Parks …
BAIERSBRONN taz | Mit seinem Zeigefinger kratzt Marc Förschler feine
Holzstückchen aus einem Baumloch. „Hackspuren von einem Specht, der hier
mal was gesucht hat“, sagt er. Dann dreht er sich um, geht mit seinen
schwarzen Wanderschuhen ein paar Schritte weiter und zeigt mit dem Finger
auf eine neue Stelle. An einem toten Baumstamm sind Pilze gewachsen. „Fast
wie ein Korallenriff.“
Der Biologe vom Naturschutzzentrum Ruhestein bei Baiersbronn läuft über den
„Lotharpfad“, einen 800 Meter langen Weg entlang der Schwarzwaldhochstraße.
Nach dem Sturm „Lothar“ im Jahr 1999 wurde auf diesem kleinen Areal die
Natur sich selbst überlassen. Umgefallene Bäume blieben liegen, an einigen
Stellen wachsen heute Fichten dicht gedrängt. An anderen liegt Totholz.
Marc Förschler streicht mit seiner Hand durch sandigen Boden. Ein perfekter
Platz für Sandwespen, um Eier zu legen.
Was Förschler als Chance für die Artenvielfalt deutet, sehen andere als
Verschwendung. „Für die ist das nutzlos, das Holz liegen zu lassen. ’Damit
könnten wir einen ganzen Winter heizen’, würden die sagen.“
## Die Idee ist alt
Es ist die Grundfrage in einem Streit, der die Region Nordschwarzwald seit
zwei Jahren entzweit. Als damals Grün-Rot die Regierung in
Baden-Württemberg übernahm, setzten sie die bereits 20 Jahre alte Idee von
einem Nationalpark im Schwarzwald wieder auf die Tagesordnung. Gesucht
werden seitdem 10.000 Hektar, auf denen die Natur sich selbst überlassen
werden soll.
Letztlich nur eine Fläche von 0,7 Prozent des baden-württembergischen
Waldes. Doch egal wie klein die Fläche ist, die Einheimischen streiten über
Grundsätzliches: Wie nutzen wir unseren Wald? Wie gehen wir mit dem um, was
die Natur uns bietet? Darf und muss der Mensch regulierend eingreifen? Oder
ist es gerade wichtig, dass er sich auch mal ganz zurückzieht und nur
Zuschauer ist?
Für Dieter Zepf kaum vorstellbar. Der 78-Jährige ist Forstmann a. D. und
führte früher das Hotel Auerhahn, das nun in die Hände seines Sohnes
übergegangen ist. Es liegt abseits von Baiersbronn in Hinterlangenbach,
rundherum nur Wald. Zepf macht einen Spaziergang hinterm Hotel und guckt
von der kleinen Straße aus auf ein Holzhaus. Früher war das die
Waldarbeitsschule. „Da haben wir die praktische Arbeit gelernt“, sagt Zepf.
Seine Brillengläser haben sich von der Sonne dunkel getönt. Er trägt eine
graue Trachtenjacke mit grünem Kragen. Fast genau auf den Tag vor 50 Jahren
kam er hierher.
Gelernt hat er damals vor allem, dass sich der Mensch um den Wald kümmern
muss, um etwa zu verhindern, dass der Borkenkäfer ihn kaputtmacht. Der
Borkenkäfer– eines der großen Schreckgespenster in der Region. Die Gegner
des Nationalparks verweisen immer wieder auf den Bayerischen Wald, wo sich
der Borkenkäfer stark ausgebreitet hat. „Nur pingelige Sauberkeit kann die
Vermehrung verhindern“, sagt Zepf. „So haben wir es gelernt.“
## "Ein Vergehen an der Natur"
Und nun soll der Wald sich selbst überlassen werden? „Das ist ein Vergehen
an der Natur. Die Arbeit unserer Vorfahren wird zunichtegemacht.“ Während
er spricht, zeigt er mit seinem Finger mehrmals entschuldigend auf seinen
Hals. „Die Stimme ist noch etwas heiser von gestern Abend.“
Am Abend zuvor war Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Baiersbronn.
Ein Städtchen mit 15.000 Einwohnern im Landkreis Freudenstadt, wo sich ein
Hotel an das andere reiht. Bekannt ist es vor allem für seine
Sternegastronomie. Bei der Stadteinfahrt sind zudem große Sägewerke zu
sehen. Und ringsherum überall Wald.
Mit im Gepäck hat Kretschmann ein Gutachten, das die Regierung zum
potenziellen Nationalpark erstellen ließ. 1.200 Bürgerinnen und Bürger sind
in die Baiersbronner Schwarzwaldhalle gekommen. Einige, um sich tatsächlich
anhand fachlicher Vor- und Nachteile eine Meinung bilden zu können. Viele
aber auch, um ihre Emotionen rauszulassen. Um mit Plakaten für den
Nationalpark zu demonstrieren oder mit Trillerpfeife gegen Kretschmanns
Argumente anzugehen.
## Männer in Hozfällerhemden
Die Gutachter der Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers AG und der ökonzept
GmbH können ihre Ergebnisse relativ in Ruhe vortragen. Sie sprechen von
Möglichkeiten des Artenschutzes, von Impulsen für die Tourismusbranche,
neuen Arbeitsplätzen und der Möglichkeit, die Holzverluste der
Sägeindustrie zu kompensieren.
Sobald aber einer der Politiker das Wort ergreift, schnellt der
Geräuschpegel in die Höhe. Gäste springen auf, klatschen und heben ihre
Daumen. Eine kleine Frau schwingt ihre Hüfte nach links und rechts und hält
dabei ein grün umrandetes Lebkuchenherz hoch, Aufschrift: „Nationalpark
Schwarzwald“. Männer in Holzfällerhemden recken die Arme nach oben und
ballen ihre Fäuste. „Lügner.“ „Diktator.“ „Verräter.“ Das sind e…
Vorwürfe, die sich auch Kretschmann gefallen lassen muss.
## Kretschmann ist tapfer
„Ich schäme mich für meine Region“, sagt Jochen Rothfuß. Er ist einer der
Sprecher des Freundeskreises Nationalpark. An seiner Weste steckt eine
Anstecknadel mit einer Eule und dem regionaltypischen roten Bollenhut
darauf. „Normalerweise kann man sich über alles unterhalten“, sagt er. Doch
beim Thema Nationalpark hat der sachliche Dialog längst aufgehört. An
Rothfuß’ Haus etwa, so erzählt er, seien mittags schon Schüler
vorbeigegangen und hätten gerufen: „Scheiß Nationalpark, scheiß
Nationalpark“.
An diesem Abend tragen Jugendliche den Nordschwarzwald mit Gedicht und Sarg
symbolisch zu Grabe. Rothfuß sagt nichts. Er schüttelt den Kopf.
Kretschmann steht auf der Bühne und hört zu. „Gedichte unterliegen der
künstlerischen Freiheit und verdienen Respekt, deshalb lassen wir das so
stehen und bedanken uns dafür“, sagt er. Mit seinem souveränen Auftritt hat
er sich an diesem Abend Respekt erarbeitet. Dass er sich dem Protest
stellt, wird ihm von einigen hoch angerechnet.
Auch von Nationalparkgegner Dieter Zepf. „Was Herr Kretschmann gestern
alles ausgehalten hat …“, er winkt mit dem linken Arm ab. „Ich könnte das
nicht.“ Kritik an den Protesten will er dennoch nicht gelten lassen. „Wir
sind keine Chaoten.“ Welche Möglichkeiten hätten die Gegner sonst? „Wir
müssen uns Gehör verschaffen, und dafür müssen wir laut sein.“
## Ringsherum nur Wald
Michael Ruf sitzt in seinem Büro, spreizt die Finger und drückt sie vor
seiner Brust zusammen. „Ich muss mich nicht fremdschämen“, sagt der
parteilose Bürgermeister von Baiersbronn. Als Stadtoberhaupt betont Ruf
immer wieder, dass die pfeifenden und grölenden Nationalparkgegner nicht
der Querschnitt der Bürger sei. Er hat sich am Abend in der
Schwarzwaldhalle erstmals vorsichtig pro Nationalpark positioniert,
versucht aber die Emotionen der Gegner zu verstehen. „Wo Sie hinsehen,
sehen Sie Wald“, sagt er und blickt durch seine randlose Brille aus seinem
Bürofenster. „Der Wald war für die Menschen die Sparkasse, die
Altersabsicherung.“ In den Augen der Gegner werde dieser Wert vernichtet.
Bis zum 12. Mai will Ruf seine Bürger per Briefwahl zum Nationalpark
befragen. Er spricht von einer großen schweigenden Mitte, deren Meinung er
derzeit nicht einschätzen könne. Das Ergebnis hat Ruf schon vorab als
bindenden Auftrag seiner Bürgerschaft an ihn erklärt. Entscheiden aber
werden die Landtagsabgeordneten in Stuttgart. Es geht um Staatswald.
Marc Förschler steht auf einer Aussichtsplattform am Lotharpfad. Mit seinem
Fernglas blickt er über die bewaldeten Berge und denkt dabei weiter in die
Zukunft. „In 300, 400 Jahren“, sagt er, „würde ich mir am liebsten noch
einmal angucken, wie sich der Wald entwickelt hat.“
27 Apr 2013
## AUTOREN
Nadine Michel
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Wahlkampf
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