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# taz.de -- Neues Kinderbuch: Was für eine Vollmondnacht
> Kirsten Reinhardt hatte einen Traum von einem großen, struppigen Tier und
> machte ein Buch daraus. Es wurde eine haarige, geheimnisvolle Geschichte.
Bild: Kein Wertier, nur ein ganz normales Schaf. Und der Vollmond.
Was gäbe es für tolle Kinderbücher, wenn alle Menschen ihre bescheuerten
Träume in so wunderbare Geschichten umwandeln würden wie Kirsten Reinhardt.
Die Idee für ihr zweites Buch kam der Autorin in einer Nacht vor drei
Jahren.
Sie träumte von einem großen, struppigen Tier, das vielleicht ein Werwolf
war, aber doch eher wie ein Bär aussah oder wie Samson aus der Sesamstraße.
Das Wertier trug in seinem Fell alte Spex-Hefte und Leichenteile als
Proviant. Kirsten Reinhardt wusste noch im Traum, dass es sich bei dem
Wesen nur um die mit der alten Spex und überhaupt dem Pop verbandelten
Grether-Zwillinge handeln konnte, obwohl sie Sandra und Kerstin Grether gar
nicht persönlich kannte.
Aus diesem „maximal absurdesten Traum meines Lebens“, wie Reinhardt sagt,
entstand das Buch „Die haarige Geschichte von Olga, Henrike und dem
Austauschfranzosen“, das nun im Carlsen Verlag erschienen ist.
## Ein trauriger Käfer und eine Ratte
Es geht darin um die Zwillinge Henrike und Olga, die allein in einem
schmalen, efeubewachsenen Haus wohnen und zu große Cowboystiefel tragen.
Henrike mit der zu langen Strickjacke, „die sie von hinten aussehen ließ
wie ein trauriger Käfer“, und Olga mit den selbst geschnittenen kurzen
Haaren „wie eine Ratte, die gerade aufgestanden war“.
Die beiden bekommen in den Osterferien Besuch von einem
„Austauschfranzosen“, der ihnen Französischnachhilfe geben soll. In
Wirklichkeit haben die Zwillinge etwas anderes mit ihm vor, weshalb sie
darauf achten, dass er bis zur Vollmondnacht noch etwas zunimmt. Der
Franzose darf auf keinen Fall wissen, dass sich die beiden Schwestern immer
bei Vollmond in ein Wertier verwandeln. So wie sie einmal aus einer
einzigen Eizelle entstanden sind, werden sie regelmäßig wieder zu einer
Einheit.
Der Austauschfranzose, der Albert Xavier heißt, hat allerdings seinerseits
auch Pläne mit den Zwillingen. Sie wissen davon natürlich nichts. Er kommt
ihnen ohnehin schon seltsam genug vor mit seiner Pomade im Haar und dem
albernen Krawattenknoten. Weil seine Sprache klingt, „als hätte eine Ente
gerülpst“, nennen ihn die Schwestern „das Entenrülpserchen“.
Henrike und Olga bekommen täglich Postkarten von der Mutter, die in der
Psychiatrie sitzt und denkt, sie wäre eine berühmte Pianistin auf einem
Kreuzfahrtschiff. Ansonsten haben die beiden niemanden außer sich selbst.
Auch Albert Xavier ist in seinem französischen Internat immer etwas einsam.
Gut also, dass er bei diesen zwei seltsamen Mädchen unterkommen und ihnen
Crêpes machen kann.
Albert Xaviers Auftrag, den Mädchen heimlich ein „schreckliches Elixier“ zu
verabreichen, das sie von ihrer Wertierhaftigkeit heilt, schlägt fehl, weil
ausgerechnet Henrike diejenige ist, die in der Apotheke als Aushilfe
arbeitet und die Hauptzutat für das Elixier aus pragmatischen Gründen
weglässt. Die Vollmondnacht, auf die die Zwillinge und der Franzose so
ungeduldig warten, wird dennoch nicht zur Katastrophe.
Das Wertier, in das Olga und Henrike sich verwandeln, hat zum Glück so rein
gar nichts mit den Werwölfen aus den Bis(s)-Romanen zu tun. Kirsten
Reinhardts Wertier ist groß und zottig wie das aus ihrem Traum. Es riecht
nach Wald, Zimt und Tankstelle, schlägt Albert Xavier k. o. und füttert ihn
dann mit selbst gemachter Erdbeermarmelade; am Ende schlafen alle in der
Küche ein.
Die „haarige Geschichte“ ist ein sehr liebevoll geschriebener Roman, der
von so großen Themen wie Familie und Freundschaft handelt, dabei aber nicht
kitschig oder abgehoben wird. Alle drei Kinder sind auf ihre Art
Außenseiter, so wie eigentlich alle Figuren in dem Buch irgendwie
Außenseiter sind oder zumindest sehr skurrile Eigenschaften haben und ein
eigenwilligen Äußeres.
## Ärger mit dem Dackel im Salzmantel
Für Kirsten Reinhardt, 1977 in der Lüneburger Heide geboren, ist es das
zweite Kinderbuch. Die Geschichte von Olga und Henrike wird vielleicht
nicht ganz so viel Trubel auslösen wie das erste Buch, „Fennymores Reise
oder Wie man Dackel im Salzmantel macht“. Es gibt darin eine Tante, deren
Lieblingsgericht „Dackel im Salzmantel“ sind, das Rezept steht im Buch.
Nicht alle BibliothekarInnen und PädagogInnen konnten darin Fantasie
erkennen, sie fanden die Geschichte nur eklig.
Die Vorliebe für seltsame Essensbeschreibungen behält Kirsten Reinhardt
auch in ihrem zweiten Buch bei: Der Austauschfranzose isst jeden Morgen
wahlweise Wildschweingelee oder gepresstes Entenfleisch aus der Dose. Ob
das mehr oder weniger pervers ist als Dackel im Salzmantel, sei
dahingestellt.
Die Buchpremiere des Wertier-Romans am Donnerstag im Ballhaus Ost findet
nicht an irgendeinem Abend statt, sondern natürlich in einer Vollmondnacht.
Und welche Zwillinge bei der Party im Anschluss die Platten auflegen, ist
eigentlich auch keine Frage.
Kirsten Reinhardt: „Die haarige Geschichte von Olga, Henrike und dem
Austauschfranzosen“, Carlsen Verlag Hamburg, 2013, 240 Seiten, 12,90 Euro.
Buchpremiere am Donnerstag, 25.04.2013, 20 Uhr, im Ballhaus Ost,
Pappelallee 15, mit Konzert von Justine Electra und Party mit Sandra &
Kerstin Grether als Doctorella DJ Team.
24 Apr 2013
## AUTOREN
Margarete Stokowski
## TAGS
Kinderbuch
Französisch
Feministinnen
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