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# taz.de -- Rathaus oder Wochenbett: „Wie hätten sie es denn alle gerne?“
> Nach der Geburt ihres Sohnes blieb Carola Veit, Präsidentin der
> Hamburgischen Bürgerschaft, genau sechs Tage zu Hause. Dann saß sie schon
> wieder im Büro
Bild: Carola Veit vor ihrer Wahl zur Bürgerschaftspräsidentin im Hamburger Ra…
taz: Frau Veit, Ihr Sohn ist jetzt 18 Tage alt – und seit zwölf Tagen
arbeiten Sie wieder.
Carola Veit: Ich schiebe hier zurzeit ja keine 14-Stunden-Schichten. Ich
mache wenige Termine, erledige meine Post und lese die wichtigsten Akten.
Das habe ich auch bis zum Ende der Schwangerschaft gemacht.
Wie kurz vor der Geburt waren Sie noch im Rathaus?
Tagsüber war ich noch hier und in der Nacht ist mein Sohn dann geboren.
Andere Frauen gehen in den Mutterschutz. Wie schaffen Sie das?
Das war ja meine dritte Schwangerschaft. Dass ich bis zur Geburt aktiv bin,
war bei meinen anderen beiden Kindern auch so. Das gehört für mich auch
dazu. Uns geht es gut dabei – nur deshalb mache ich es so.
Wie viel Zeit haben Sie sich beim ersten Kind gegeben?
Damals habe ich noch studiert. Da legt man die Bücher auch nicht monatelang
zur Seite, sondern vielleicht mal ein paar Wochen. Beim zweiten Kind war
ich schon Abgeordnete. Da habe ich auch kaum eine Sitzung verpasst.
Wo ist Ihr Kind jetzt?
Der Kleine ist bei mir, weil ich stille.
Also ist er die ganze Zeit mit Ihnen im Büro?
Nicht die ganze Zeit. Wenn ich hier bin, ist er dabei. Aber vieles kann ich
auch zu Hause erledigen. Das ist ein Vorteil. Ich habe ja keinen
alltäglichen Job. So etwas geht natürlich nur, wenn man einen Teil der
Arbeitszeit selbst einteilen kann.
Halten Sie Ihren Beruf für weniger anspruchsvoll als andere?
Nein, gar nicht. Aber ich muss mich nicht komplett entscheiden zwischen
Arbeit und Kind. Ich habe die Möglichkeit weiterzumachen. Es wäre für meine
Mitarbeiter und Abgeordnetenkollegen aber auch in Ordnung, wenn ich jetzt
acht Wochen nicht ins Rathaus käme.
Sie waren lange Familienpolitikerin. Damals haben Sie oft darüber
gesprochen, wie schwierig es sein kann, nach einer Babypause wieder dort
einzusteigen, wo man aufgehört hat.
Ja, das gilt für Politiker nicht weniger. Ich glaube, es gäbe schon eine
Diskussion, wie das mit meinem Mandat funktionieren soll, wenn ich jetzt
verkünden würde: Ich komme ein halbes Jahr nicht. Deswegen sind auch alle
Kolleginnen, die hier Mutter geworden sind, relativ schnell wieder zu den
Sitzungen gekommen.
Sind Sie als Politikerin ein Vorbild, was die Vereinbarkeit von Beruf und
Familie betrifft?
Ich fand diesen Begriff „Vereinbarkeit“ schon immer blöd. Denn in
Wirklichkeit wird da nichts vereinbart, es wird nur addiert. Weder Beruf
noch Familie werden weniger, wenn man beides macht. Es gilt, das so gut
zusammenzubringen, dass man beides für sich vertretbar hinkriegt. Da gibt
es kein Richtig oder Falsch.
Was sagen Sie Kritikern, die fragen: Warum leben Sie dieses Extrem vor?
Ich weiß nicht, was deren Erwartungshaltung ist. Wie hätten sie es denn
alle gerne? Für mich als Abgeordnete gilt das Mutterschutzgesetz nicht. Es
gibt nichts, worauf ich mich berufen könnte. Meine Bekannten, die
freiberuflich tätig sind, haben auch nicht sechs Wochen vor und acht Wochen
nach der Geburt alles ausgeblendet. Das ist nicht super exotisch. Bei mir
wird es nur stärker wahrgenommen.
Ist es nicht widersprüchlich, dass jemand, der sich über Jahre für
familienfreundliche Arbeitszeiten einsetzt, im eigenen Fall sagt: Weil ich
Politikerin bin, geht es nicht anders?
Ich habe nicht das Gefühl, dass ich auf etwas verzichte. Es geht mir nicht
um acht Wochen Mutterschutz, in denen ich mich auf meine Familie
konzentriere. Sondern es ist für mich jeden Tag, wie für viele arbeitende
Frauen auch, eine Herausforderung, Zeit mit der Familie zu organisieren.
Natürlich muss jeder sein Modell finden.
Ihr Mann ist Architekt.
Er ist bereit, sich auf mich einzustellen. Bei den ersten Kindern ging es
eher nach ihm und jetzt geht es auch mal nach meinen Terminen. Warum auch
nicht?
Sie sind mit 37 Jahren Bürgerschaftspräsidentin geworden und damit die
jüngste in der Geschichte Hamburgs. Und Sie sind im Arbeiterstadtteil
Billstedt aufgewachsen. Was haben Ihre Eltern gemacht?
Mein Vater war Malermeister und meine Mutter Sozialpädagogin. Kein
Akademikerhaushalt.
Sie haben eine steile Karriere hingelegt.
Ich weiß nicht. Ich habe weder einen Doktortitel noch bin ich
Uni-Professorin. Ich bin einfach nur Politikerin. Karriere klingt nach
Planung, aber Politik ist nicht planbar.
Hat es viel Selbstdisziplin erfordert, Ihr Amt zu erreichen?
Mache ich so einen ehrgeizigen Eindruck? Ich mache die Sachen so, wie sie
kommen.
Sie haben gesagt, dass Sie das Leben gerne „mit Kochen oder Backen“
gestalten würden, wenn Sie keine Juristin und Politikerin wären. Sie
kommunizieren einen Leistungsgedanken: Wenn man als Frau etwas erreichen
will, muss man sich zurücknehmen.
Ich meine damit, dass ich meinen Lebensunterhalt so verdienen würde. Wenn
man Kinder und einen Job haben will, trifft man eine Entscheidung darüber,
wie man sein Leben lebt, damit das funktioniert. Es geht nicht um Leistung,
sondern um Pragmatismus. Ich stehe nur morgens nicht mit der Espressotasse
vorm Kleiderschrank und überlege, ob ich die orange oder die rote Bluse
nehme. Sondern ich sehe zu, dass ich zwei Kinder in die Schule kriege.
Hätten Sie es leichter gehabt, wenn Sie sich gegen Kinder entschieden
hätten?
Nein, dann wäre ich ja nicht so glücklich.
Die Kinder standen Ihnen beruflich nie im Weg?
Ich habe mich das nie so gefragt. Klar kann man darüber spekulieren, ob man
vielleicht ein Semester schneller fertig gewesen wäre oder irgendwo eine
bessere Klausur geschrieben hätte, wenn man ohne Kind gelernt hätte. Mein
Sohn war drei, als ich Abgeordnete wurde. Natürlich war das nicht immer
leicht. Wenn ich abends unregelmäßig zu Hause bin, sind das schon Momente,
die mal weh tun können.
Wie wichtig ist es für unsere Gesellschaft, dass es Frauen wie Sie gibt,
die zeigen, dass eine Spitzenposition mit Kindern möglich ist?
Ich glaube, viele Frauen haben das Gefühl: So wie sie es machen, machen sie
es falsch. Ich finde, es ist ein wahnsinniger Druck, der da aufgebaut wird
– gerade auf junge Frauen. Diese Erwartungshaltung, schnell wieder
einsteigen zu müssen. Wenn alle Mütter Vollzeit arbeiten würden, weiß ich
nicht, wie viele gebackene Kuchen noch in den Schulen ankommen würden. Ich
profitiere auch von Müttern, die regelmäßig an bestimmten Tagen zu Hause
sind. Ich finde gut, dass es unterschiedliche Modelle gibt.
Die Alternative zu Ihrem Modell wäre nur auszusteigen.
Das ist die Frage, vor der alle Abgeordneten stehen. Egal, in welchem
Parlament.
Ist der Politikbetrieb zu schlecht auf Familien ausgelegt? Müsste sich
etwas verändern?
Nein, jede Abgeordnete entscheidet selbst, wie sie das Mandat ausfüllt.
Für Vollzeitpolitikerinnen sind die Arbeitsverhältnisse nicht sehr
frauenfreundlich.
Ob ich mich jetzt, wenn mein Kind schläft, auf’s Sofa setze und eine
Frauenzeitschrift durchblättere oder eine interessante
Bürgerschaftsdrucksache lese – das ist doch egal für Johann. Ob ich mal
einen Einkaufsbummel mache oder ins Rathaus gehe oder unser Patenschiff
empfange – da sehe ich keinen Unterschied.
Job ist Job.
Bei uns sind die Grenzen zwischen Job und Privatleben relativ fließend.
Eine Abgeordnetentätigkeit ist kein normaler Beruf, bei dem ich eine
Stempelkarte habe und am Ende einen Überstundenausgleich kriege. Wir sind
ständig erreichbar und würden das nicht machen, wenn es uns nicht gefallen
würde.
Die Forderung nach einem Mutterschutz für Politikerinnen würden Sie also
nicht stellen?
Vielleicht eher die nach einem politikfreien Sonntag. Warum sind da
eigentlich alle Vorbereitungstreffen für Konferenzen, die am Montag
beginnen? Mir ist auch klar: Das wird nie so durchzusetzen sein. Eine
Sechs-Tage-Woche würde nicht reichen, um diesen Politikbetrieb am Laufen zu
halten. Aber Zeit für Familie organisiert zu bekommen, ist und bleibt der
Punkt.
Dafür müsste man Regeln installieren.
Wir müssten hier in Hamburg von dem Teilzeitparlament wegkommen. Wenn man
morgens um neun Uhr anfangen würde und nicht jeden Abend Ausschüsse tagten,
wäre es anders. Aber das wäre jetzt keine Forderung, die ich erheben würde.
Es gibt auch andere Jobs, die zu blöden Tages- und Nachtzeiten stattfinden.
Dort gibt es dann Mutterschutz und Elternzeit.
Das kann man sich ja vorher überlegen. Ich habe einen Beruf, an dem meine
Kinder auch teilhaben. Die begleiten, was ich im Rathaus mache, so wie sie
jetzt ihr Geschwisterchen begleiten. Das ist auch eine Form des
Zusammenlebens, die man für sich finden muss. Wenn ich Haare schneiden
würde oder Schuhe verkaufen, wäre das alles anders. Deswegen taugt es auch
nicht als Modell. Weil es eine besondere Tätigkeit ist.
18 May 2013
## AUTOREN
Kristiana Ludwig
Kristiana Ludwig
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