# taz.de -- Abschied in Altenbeken: Nie mehr erhaben warten | |
> Die Bahnhofsgaststätte von Altenbeken schließt. Hier wurde Gestern zu | |
> Heute und Sofort zu Nachher. Die Deutsche Bahn hat diesen Ort nie | |
> verstanden. | |
Bild: Nicht bloß eine Brücke: das Altenbekener Viadukt. Einst Schlussstein de… | |
Oh nein, nicht dieses Opfer auch noch! Kann der Kapitalismus denn nichts | |
ungeschoren lassen? Die Bahnhofsgaststätte | |
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CA&ved=0CAsQ_AUoAg:Altenbeken] macht zu. Das ist nicht gerecht. Jedenfalls | |
ist es nicht richtig. | |
Altenbeken liegt in Ostwestfalen bei Paderborn. Die Bahnhofsgaststätte | |
Altenbeken ist ein Ort, wo dem Warten auf den Zug kulturpflegerische | |
Bedeutung zukommt. Man wartet dort nicht gequält, sondern erhaben. | |
Nach Altenbeken zum Bahnhof fährt man nicht, um sofort in die S-Bahn nach | |
Hannover zu steigen. Zum Altenbekener Bahnhof fährt man früh genug, um in | |
der Bahnhofsgaststätte zu erleben, wie wunderbar gut erhalten das Mobiliar | |
– teils aus Vorkriegszeiten – ist, wie genau die Uhr an der Wand noch | |
funktioniert, wie tadellos der Faltenwurf der ausgeblichenen Tischdecken | |
ist, auf die der Wirt das kleine Silbertablett mit Papierspitze und | |
Kännchen Kaffee stellt. | |
Man muss wissen, dass allein in der Art, wie die Sonne ihren schlierigen | |
Weg durch die Fenster bahnt, Reise-, Warte- und Eisenbahngeschichte | |
sinnlich wird. Nie hat Gastwirt Ingo Klüter versucht, einen „Kult“ um die | |
Stätte zu machen. Nur wenn man sie fragt, bestätigen Klüter, 45 Jahre alt, | |
und seine Schwester Anke, dass sie die Einrichtung von ihrem Vater, dessen | |
Vater auch schon Bahnhofsgaststättenwirt war, unverändert übernommen haben | |
## Einst ein Eisenbahnknotenpunkt | |
Im Postkartenständer wellen sich die Ansichtspostkarten vom Altenbekener | |
Viadukt, an der Wand hängt auch ein Gemälde von 1900 mit dieser | |
Eisenbahnbrücke. Der Viadukt wie die Bahnhofsgaststätte legen Zeugnis davon | |
ab, was es heißt, ein Eisenbahnknotenpunkt zu sein. | |
Es war ein großer Augenblick, als Mitte des 19. Jahrhunderts das Tal der | |
Beke durch den Viadukt, mit 482 Metern die längste Kalksandsteinbrücke | |
Europas, überspannt wurde. Endlich konnte die Eisenbahn von Warburg nach | |
Paderborn und von dort weiter nach Hamm fahren. König Friedrich Wilhelm IV. | |
eröffnete den Viadukt am 21. Juli 1853 mit den Worten: „Ich habe geglaubt, | |
eine goldene Brücke vorzufinden, weil so schrecklich viele Taler verbraucht | |
worden sind!“ | |
Die Brücke hatte – Dauerregen weichte Baugrund und -material auf – in der | |
Tat etwas länger gebraucht und war teuer geworden. Doch benötigte Friedrich | |
Wilhelm IV. für sein Königreich Preußen dringend eine neue | |
Ost-West-Verbindung. | |
Altenbekener erkennen in den mächtigen Bögen ihres Viadukts den | |
Schlussstein der europäischen Achse Paris–Moskau. Noch heute schaut man vom | |
Bahnsteig herab auf eine zufriedene Ortschaft, in der beinahe jedes Jahr | |
etwas los ist: Das Fest „Vivat Viadukt“ findet seit 2003 in allen ungeraden | |
Jahren statt. | |
## Die alten Strecken wurden nie wiederbelebt | |
All dies weiß nicht jeder, der etwa aus dem Bielefelder Regionalexpress | |
„Der Leineweber“ steigt. Zugegeben: Die großen Linien nach Kassel, nach | |
Bebra und aus Bremen, sie werden nicht mehr bedient. Die Chance, ab 1990 | |
die deutsche Teilung auch dadurch zu heilen, dass Altenbeken wieder | |
aufgewertet und die alten Strecken wiederbelebt werden, wurde nie genutzt. | |
Seit Ende 2010 hält in Altenbeken zwar der ICE nach Dresden, einmal am Tag, | |
um fünf Uhr morgens – doch dann isst noch niemand in der Bahnhofsgaststätte | |
den selbst gebackenen Bienenstich. | |
Klüters Köchin, weit über 75 Jahre alt, wird nun nicht mehr gebraucht. Die | |
Bahn lenkt den Umsteigeverkehr inzwischen über Paderborn, dessen | |
Bahnhofsgastronomie keine müde Silbe wert ist. Umsteigen, warten und | |
konsumieren sollen Bahnreisende nur noch an Bahnhöfen, die von | |
Ketten-Kiosken und Backindustrie-Filialen gepachtet sind. | |
Altenbekens Bahnhofsgaststätte war ein Ort, ein klein wenig abgehängt vom | |
Weltgeschehen, aber eben darum inmitten der Bahngeschichte. Dort wurde | |
Gestern zu Heute und Sofort zu Nachher. Abgehängt vom Umsteigegeschehen hat | |
solch ein Ort keine Chance mehr. | |
Klüters wollen über die Bahn nichts Böses sagen. Der Bahnhofsmanager in | |
Bielefeld hat ihre Miete ja mehrfach reduziert. Doch um rund 200 Euro am | |
Tag ist der Umsatz in den vergangenen fünf Jahren eingebrochen. Am 31. Mai | |
machen sie zu. | |
27 May 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://maps.google.de/maps?q=altenbeken&oe=utf-8&rls=org.mozilla | |
## AUTOREN | |
Ulrike Winkelmann | |
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