# taz.de -- Geldgeber: „Eine enge Verzahnung“ | |
> Je klammer die Kommunen sind, desto wichtiger werden Stiftungen wie die | |
> des Lübecker Kaufmanns Emil Possehl. Die finanziert immer mehr | |
> öffentliche Aufgaben. | |
Bild: Mit Geldern der Possehl- Stiftung schön gemacht: die Lübecker Schlözer… | |
taz: Frau Menken, eines der Prinzipien von Emil Possehl war: Wir machen | |
keine Geldgeschenke, sondern stellen Bedingungen. Wie hart waren die? | |
Renate Menken: Emil Possehl, der ja nicht nur Unternehmer, sondern auch | |
Senator war, hat in der Tat oft harte Bedingungen gestellt. Als er der | |
Stadt zum Beispiel das Grundstück des Theaters schenkte, das geschlossen | |
werden sollte, hat er gesagt: Ich tue das nur, wenn das Theater im Zentrum | |
der Stadt bleibt. Außerdem hat er der Stadt ein zeitliches Ultimatum | |
gestellt. | |
Wie verfahren Sie heute? | |
Wir halten uns streng an Emil Possehls erste Satzung, die wir allerdings | |
inzwischen den Veränderungen im Stiftungsrecht angepasst haben. Aber auch | |
wir packen gelegentlich „Päckchen“. Vor über zehn Jahren haben wir zum | |
Beispiel alle Dampfheizungen in den Schulen saniert. Im Gegenzug haben wir | |
gefordert, dass die Stadt für die gleiche Menge Geldes das | |
Berufsschulsystem neu ordnet. Sie mussten zusammengeführt und teilweise | |
umgebaut werden. | |
Possehl hat auch gesagt, dass die Stiftung keine öffentlichen Aufgaben | |
finanzieren soll. | |
Zu Lebzeiten Emil Possehls waren diese öffentlichen Aufgaben nicht so | |
komplex wie heute. Und ich möchte ergänzen: Die Possehl-Stiftung erhält | |
jedes Jahr bis zu 700 Anträge von den unterschiedlichsten Antragstellern. | |
Die öffentliche Hand ist nur einer davon. Dennoch treibt uns diese Frage in | |
jeder Stiftungsvorstandssitzung um. Wir sagen dann zum Beispiel: Die | |
Instandhaltung der Gebäude ist eigentlich Sache des Schulträgers. Aber dann | |
wägen wir ab: Wie weit können wir es aushalten, dass uns die Schulen unter | |
den Händen zerbröseln? | |
Sie überschreiten die Grenze zur öffentlichen Aufgabe also ganz bewusst. | |
Das war nicht immer so. | |
Nein. Ich erkläre diese Entwicklung gern mit dem Cappuccino-System. Der | |
Kaffee kommt aus Steuermitteln. Wir als Stiftungen finanzieren den | |
Milchschaum obendrauf. So war es ursprünglich gedacht. Inzwischen geraten | |
wir immer mehr in den Kaffee-Bereich. Aber ich finde das in Ordnung, denn | |
die Summen, die wir jährlich ausgeben können, geben uns die Möglichkeit, | |
mehr zu tun, als bloß die Dekoration zu zahlen. Wir sind auch moralisch | |
verpflichtet, nicht nur Nebenbereiche zu finanzieren. | |
Ermuntern Sie damit nicht die Politik, sich aus der Verantwortung zu | |
stehlen? | |
Natürlich besteht immer die Gefahr, dass sie es sich bequem macht. Aber | |
wenn wir so etwas vermuten, sagen wir zum Beispiel: Wenn wir das | |
übernehmen, entlasten wir euch im Haushalt um die Summe X. Zeigt uns für | |
diese Summe die Konsolidierung. | |
Einfordern können Sie das nicht. | |
Nein. Wir möchten in diesen wichtigen Belangen natürlich mit Verwaltung und | |
Politik zusammenarbeiten. Und in der langjährigen Stiftungsgeschichte ist | |
eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gewachsen. Da hat es stets eine enge | |
Verzahnung zwischen Politik, Verwaltung und Stiftung gegeben. Denn alle | |
wissen: Beide Seiten können nicht ohne einander. | |
Inwiefern? | |
Die Stadt braucht uns, um bestimmte Dinge umsetzen zu können. Und wir | |
brauchen die Stadt: Einerseits, weil wir aufgrund der Satzung verpflichtet | |
sind, all unser Geld für Lübeck auszugeben. Andererseits brauchen wir oft | |
Hintergrundinformationen, um gut entscheiden zu können. Wenn eine Schule | |
eine neue Ausstattung beantragt, müssen wir wissen, ob die Stadt zum | |
Beispiel plant, diese Schule in zwei Jahren zu schließen. Dann hätte es ja | |
keinen Sinn, dort zu fördern. | |
Hat Ihre Stiftung ein Förder-Machtmonopol? | |
Das Wort „Macht“ finde ich problematisch. Es stimmt natürlich, dass wir | |
durch die hohen Summen ein großes Gestaltungsvolumen haben. Trotzdem müssen | |
wir das ja einigermaßen gleichmäßig auf unsere fünf Stiftungszwecke | |
verteilen. | |
Aber Sie können den Ton angeben. | |
So empfinde ich es nicht. Die Gefahr ist vielmehr, dass wir die Politik zu | |
Phantasielosigkeit und Bequemlichkeit erziehen. Trotzdem mag ich diese | |
Frontenbildung nicht. Ich möchte lieber von gemeinsamer Verantwortung | |
sprechen. | |
Setzen Sie die auch um? | |
Ja. Ein spektakuläres Beispiel ist der 2008 aufgelegte Lübecker | |
Bildungsfonds. Das ist eine längerfristig verabredete Kooperation, die – | |
anders als im sonstigen Stiftungsgebahren – nicht an wechselnde | |
Einzelprojekte gebunden ist. | |
Wie kam es dazu? | |
Basierend auf dem Armutsbericht von 2006 waren sich alle in Lübeck einig | |
darüber, dass wir sofort etwas für die Kinder in den Kitas und Schulen tun | |
müssen, die nicht am Mittagessen teilnehmen können, weil die Eltern es | |
nicht zahlen können. Die nicht auf Klassenreisen mitfahren und nicht an den | |
Nachmittagsangeboten teilnehmen. Die Kommune und sieben Stiftungen haben | |
sich zusammengeschlossen und ein sehr besonderes Paket aufgelegt. Es | |
besteht darin, dass die Schulen eigene Konten bekommen – quasi ein Budget, | |
um autonom zu entscheiden, welches Kind gefördert wird. | |
Funktioniert das? | |
Ja. Inzwischen werden in Lübeck auf diese Art fast 6.000 Kinder jährlich | |
unterstützt. Ohne aufwendige Anspruchs-Prüfungsverfahren wie im Bildungs- | |
und Teilhabepaket des Bundes werden die Kinder und Jugendlichen schnell und | |
unbürokratisch gefördert. Die Hansestadt Lübeck prüft, ob die Schulen | |
Ausgaben vom Jobcenter, das das Bildungs-und Teilhabepaket verwaltet, | |
erstattet bekommen. Den Rest finanzieren sieben Lübecker Stiftungen und die | |
Kommune. Die Kinder merken davon nichts, und die Eltern müssen nicht zum | |
Amt, sondern können Hilfe in der Kita oder Schule vor Ort bekommen. So | |
etwas hat bislang keine andere Kommune. | |
Hat sich Ihre Förderpolitik gewandelt? | |
Ja, denn die Bedingungen haben sich geändert: Die Stadt ist hoch | |
verschuldet und muss sogar Pflichtaufgaben vernachlässigen. Wir sehen uns | |
nicht mehr als Gegengewicht zur Kommune, sondern als Partner. Dieses | |
Umdenken ist auch in anderen Städten im Gange. Das ist ja die große | |
aktuelle Frage für die Stiftungen: Wollen wir Nebengewächs sein, oder | |
bringen wir uns in kommunale Dinge ein? Und was die Possehl-Stiftung | |
betrifft: Wir sind sehr stark. Dennoch meine ich, dass uns eine gewisse | |
Demut gut tut. Demut in der Unterordnung unter das gemeinsame Ziel. | |
27 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
Petra Schellen | |
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Lübeck | |
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