# taz.de -- Zwischenspiel in Oberammergau: Dieses Feuer, so heiß! | |
> Im Passionsspieldorf Oberammergau gibt es „Moses“ im Breitwandformat: als | |
> das Schwert Gottes, als „Fremder unter Fremden“, vielleicht sogar als | |
> Terrorist. | |
Bild: Szenen aus Feridun Zaimoglus und Günter Senkels für den Passionsfestspi… | |
Die Wüste ist rot, und auch der gemalte Himmel auf der Passionstheaterbühne | |
scheint in der Farbe des Blutes wider. Und was sich dann fast drei Stunden | |
lang unter ihm ereignet, ist Mord und Totschlag im Namen eines Gottes, der | |
der Welt die Gesetzestafeln brachte, auf denen zum Beispiel steht: „Du | |
sollst nicht töten.“ | |
Aber die Zeit der Gnade ist weit. Noch sind wir mitten im Alten Testament, | |
wo zehn grässliche Flüche über ein ganzes Volk ergehen und viel die Rede | |
ist von Rache, Auslöschung und Verdammnis. | |
Ein wenig verwirrt einen dieser unverblümt finstere Abend schon, der dort | |
aufgeführt wird, wo Bayern am katholischsten ist – im Passionsspieldorf | |
Oberammergau (seit 1634!) –, von einem christlichen Regisseur, der über die | |
Jahre die Figur des Jesus bei der Passion zu vermenschlichen verstand und | |
den in älteren Textfassungen fest verankerten Antisemitismus ebenso | |
Geschichte werden ließ wie das Auftrittsverbot für verheiratete Frauen | |
(1990) und Muslime (2000). | |
Doch Christian Stückl inszeniert ja heuer gar nicht die Leidensgeschichte | |
Christi, für die alle zehn Jahre ein gutes Drittel des 5.400 Köpfe | |
zählenden Dorfs die Bühne stürmt. Derzeit steht im Geburtsort des | |
Intendanten des Münchner Volkstheaters eines jener Zwischenspiele auf dem | |
Plan, die aktuell immer mehr werden, weil die Herrgottsschnitzer im | |
Ammertal von ihrer Passion nicht lassen können: von der Sing-, Spiel- und | |
Musizierlust und dem prachtvoll fein justierten (Kostüm-)Farbentaumel des | |
längst auch überregional bekannten Oberammergauers Stefan Hageneier. | |
## Das Auftragswerk eines Heiden-Moslems | |
All dies gibt es nun also in „Moses“. Mit „nur“ 300 Laien. Und so wenig… | |
Oberammergauer je wirklich die Chance bekommt, ein echter Theaterlaie zu | |
sein, so wenig ist Moses’ Geschichte ein christlicher Stoff. Sie erzählt | |
vom Auszug des geknechteten hebräischen Volkes aus Ägypten, für den Jahwe | |
den Ziehsohn des Pharaos als Helfershelfer engagiert, der auch im Koran | |
(als Musa) einer der meistgenannten Propheten ist. Geschrieben hat das | |
Auftragswerk ein „Heiden-Moslem“, wie sich der deutsch-türkische | |
Schriftsteller Feridun Zaimoglu selbst nennt, und sein bewährter Koautor | |
Günter Senkel. | |
Sprachlich und dramaturgisch kommt das neue Stück vergleichsweise angepasst | |
daher, in Gestus und Vokabular den bibelkundigen Besuchern des | |
2.000-Plätze-Theaters zum Gefallen: voller donnernder Worte und | |
Verkündigungspathos; „Exodus“-like! Stimmung oder gar Werbung für | |
irgendeine der am Fortgang der sattsam bekannten Handlung Beteiligten aber | |
macht der Abend nicht. | |
Der kraftvolle Moses des Carsten Lück trägt seine Zwiegespräche mit Gott | |
wie ein Wahngeplagter im Alleingang aus und ist von seiner Aufgabe | |
überfordert, ein Volk in die Freiheit zu führen, das sich mit der | |
Knechtschaft arrangiert hat und „den Fleischtöpfen Ägyptens“ nachtrauert: | |
hadernd mit Gott, nicht gewillt, vierzig Jahre aufs gelobte Land zu warten | |
und misstrauisch einem Propheten gegenüber, der am Hof des Pharaos wie | |
dessen eigener Sohn heranwuchs, der Keuschheit und – ja, auch Fremdenhass! | |
– predigt, sich selbst aber eine „geschwärzte“ Gattin nimmt. | |
Als „Herzloser“ beschimpfen ihn Ziehmutter und Gefolgsleute. Und der Pharao | |
nennt Moses noch seinen „Lieblingssohn“, als er schon die Leichen zählt, | |
die er und sein Gott auf dem Gewissen haben. Und es ist eine Stärke dieses | |
so offenen Abends, dass man sie alle versteht. Es steckt eine Erzählung von | |
shakespearescher Auswegslosigkeit in dem Stück und die Gluthitze des | |
religiösen Fanatismus, die die Gehirne vielleicht schon in dem Moment | |
verbrennt, wo die Rede von dem einen wahren Gott beginnt. | |
## Der Fremde unter den Fremden | |
Und auch das große Thema des „Fremden unter Fremden“! Denn was ist das | |
Findelkind Moses anderes als ein Migrantensohn, der sich – zwischen zwei | |
Welten gefangen – doppelt mühen muss, irgendwo anzukommen: ein | |
Overachiever, ein „Meister der Bosheit“, vielleicht gar ein Terrorist? | |
Keinen dieser Aspekte rückt Stückls Inszenierung in den Vordergrund, die in | |
bewährter Weise Volksmassen zu bildschönen – diesmal oft etwas starren – | |
Arrangements gruppiert, in deren nach Stammeszugehörigkeit sortierte | |
Kostüme sich mehr und mehr Rot mischt. Dem einen wird der Abend vom Terror | |
erzählen, der im Monotheismus keimt oder in der Einsamkeit. | |
Der andere schwelgt einfach im gut vierzig Meter breiten Cinemascope, das | |
statt mit psychologischer Feinzeichnung mit Filmmusik von Markus Zwink, | |
großen Chören und sogar nackten Brüsten aufwartet. Sowie mit einem Feuer, | |
das den brennenden Dornbusch symbolisiert und das Verderben, das Jahwe über | |
die Feinde Israels bringt. Auch dieses Feuer ist nie so plakativ | |
eingesetzt, dass es keinen Spielraum mehr ließe für die eigene Fantasie, | |
aber doch so heiß, dass man seine Abwärme noch bis in die dreiundzwanzigste | |
Reihe hinauf zu spüren bekommt. | |
8 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Sabine Leucht | |
## TAGS | |
Theater | |
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