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# taz.de -- Mann-Inszenierung in Oberammergau: Mit sonniger Hartnäckigkeit
> Zwischenspiel in Oberammergau: Christian Stückl setzt Thomas Manns
> Romantetralogie "Joseph und seine Brüder" himmlisch in Szene.
Bild: Vom Theatervirus infiziert: Frederik Mayet als Joseph und andere Laiendar…
Überall auf der Welt wachsen Menschen an ihren Aufgaben. In Oberammergau
aber wachsen sie kollektiv, mit besonderer Begeisterung - und manche von
ihnen wachsen besonders schnell. Und die Aufgabe im Passionsspielort heißt:
Theater!
Zwei Tage vor der Premiere von "Joseph und seine Brüder" ist Martin Norz
krank geworden, und die Position des Zwerges Dudu wurde vakant. Der
Kleiderbewahrer des Eunuchen Potiphar ist keine kleine Rolle in Thomas
Manns Romantetralogie nach der alttestamentarischen Erzählung um Hochmut,
Bruderzwist, Sozialneid und Gottvertrauen. Nun spielt sie Carsten Lück.
Binnen zwei Tagen hat er, der eigentlich technischer Leiter ist und schon
zweimal den Judas gegeben hat, den Text des ewig zu kurz gekommenen
Intriganten gelernt. Und er bekommt für die divenhaften Schlenker, die er
seiner Figur verpasst, vor allem aber für seine echt oberammergauersche
Einsatzbereitschaft, einen Extraapplaus. Denn man kommt ins
5.300-Seelen-Dorf unweit von Garmisch-Partenkirchen immer auch, um
Infizierte zu sehen. Und vom Theatervirus angesteckt sind sie dort fast
alle, seit ihre Vorväter und -mütter 1634 der Pest entgingen, indem sie
Gott versprachen, fortan alle zehn Jahre die Passion Jesu aufzuführen. Wozu
noch heute alle Jahrzehnte wieder Gott und die Welt anreist und der kleinen
Gemeinde immense Einnahmen beschert.
Doch die Spiellust der Dörfler ist mit dem zyklischen Zusammenraufen zum
professionellsten und wohl auch größten Laientheater der Welt immer weniger
zu stillen. Zwischen den Passionen 2000 und 2010 wurde mit "König David",
"Jeremias" und einem "Pestspiel" so viel zwischengespielt wie nie; nun war
etwa ein Zehntel der um die 2.000 Passionsspieler kurz nach dem Fallen der
langen Haare und Bärte schon wieder hungrig, und fortan soll es jedes Jahr
ein neues Stück geben - ruhig auch mal ganz weg von der Bibel. Einen
Shakespeare vielleicht.
Der Ort gibt es her. Allein die 42 Meter breite Passionstheaterbühne ist
eine Reise wert. Denn sie hat den lebendigen freien Himmel als Mitspieler,
und bei den unermüdlichen Profis Stefan Hageneier (Bühne und Kostüme) und
Christian Stückl (Regie) fügen sich dingliche und menschliche Arrangements
wie Pinselstriche zu einem harmonischen Gemälde. So beginnt auch der
"Joseph und seine Brüder" als Breitwandspektakel in stimmigen Naturfarben:
Bewegte Menschenmassen in blaugrünem Leinen vor Bäumen und Meer; das
Orchester klingt himmlisch, und der Chor singt so erhebend Psalmen auf
Hebräisch, dass man auf der Stelle gläubig werden könnte, wüsste man nur,
um welche Religion es geht in dieser der Bibel entlehnten
Entstehungsgeschichte der zwölf Stämme Israels.
## Das richtige Leben zählt nicht so viel
Und dass das so ambivalent bleiben darf in einem konservativen
Herrgottsschnitzerort, wo um das Streichen antisemitischer Textstellen in
der Passion und die Spielerlaubnis für Nichteinheimische erbittert
gestritten wird, das ist der sonnigen Penetranz Christian Stückls zu
verdanken, der im richtigen Leben Intendant des Münchner Volkstheaters ist.
Doch das richtige Leben zählt hier schon aus Tradition nicht so viel.
Thomas Mann schrieb den Roman, den viele für seinen ausgereiftesten halten,
während der Jahre 1933 bis 1943. Die ersten Teile noch in Deutschland, den
Rest im Exil. Er malt darin die Lebensgeschichte von Jaakobs Lieblingssohn
Joseph aus, der von seinem Vater bevorzugt, von den zehn älteren Brüdern in
die Grube gestoßen und als Sklave verkauft wird, aber ob seiner Schönheit
und Klugheit immer wieder aufersteht und zum Schluss als rechte Hand des
Pharaos den Brüdern eine Lektion erteilt.
## Er kann nicht anders
Einen Felix Krull der Bibel hat Mann aus ihm gemacht, einen Hochstapler von
Gottes Gnaden. In Oberammergau spielt ihn Frederik Mayet, der vor einem
Jahr als Jesus debütierte. Er spielt den Menschen mit dem unangenehmen
Drang, "sich in die Mitte der Dinge zu stellen", so einfach, still
leuchtend und klar, dass man den "Zierbengel" und "Augenverdreher", den
seine Brüder in ihm sehen, glatt vergisst. Hier steht ein argloser Mensch,
der an seine eigene Überlegenheit glaubt wie an ein Naturgesetz. Er kann
nicht anders. Er gehorcht.
Mayets Spiel dimmt die große Oper herunter, die selbst das kleinste
Spektakel in Oberammergau immer auch ist. Das Augenrollen und gestische
Auf-die-Tube-Drücken, das diesmal vor allem Anton Burkhart als Jaakob
praktiziert: der wilde, aufbrausende Jesus des Jahres 2000. Und natürlich
gibt es auch sie wieder: darstellerische Tapsigkeiten und offene Kämpfe der
alpenländisch schweren Zunge mit dem gebotenen Hochdeutsch. Dennoch folgt
man der von Stückl gestrafften Geschichte gespannt und erkennt so manchen
Zeitgenossen wieder, wenn Joseph auf die Frage, ob er die Menschen liebe,
sagt: "Wir lächeln einander an, die Menschen und ich."
19 Jul 2011
## AUTOREN
Sabine Leucht
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