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# taz.de -- Ausstellung in Dresden: Auf der MS Reichtum
> „Reichtum – mehr als genug“: Unter diesem Titel sinniert das
> Hygienemuseum Dresden über Faszination und Unverschämtheit von zu viel
> Vermögen.
Bild: Der Schauspieler Martin Wuttke ist mit an Bord.
Warten Sie ein wenig vor dem Portal des Dresdner Hygienemuseums und zählen
Sie die Besucher. Jeder Hundertste von ihnen ist statistisch gesehen ein
Millionär. Wenn Sie ihn ansprechen, wird er ihnen vermutlich eine ganz
andere Geschichte erzählen, ebenso die 99 Vorangegangenen.
Wo sind sie denn zu finden, die Reichen und nicht immer Schönen? Die
Mitleid erweckenden Typen, denen es peinlich ist, über Geld zu sprechen,
die sich hinter Mauern und Stacheldraht verstecken und wie der russische
Milliardär Roman Abramowitsch ihre 1,2 Milliarden Euro teure Yacht
„Eclipse“ wie ein Kriegsschiff sichern müssen?
Die Klatschpresse zieht sie ans Licht und bedient Geilheit und Neidreflexe
des Publikums gleichermaßen. Das Dresdner Hygienemuseum nähert sich mit
seiner neuen Sonderausstellung „Reichtum – mehr als genug“ nicht Personen,
sondern der Welt der Reichen auf ebenso informative wie ironische Weise.
Eine Parallelwelt, in der sich zugleich jeder mit seinen Uranlagen
wiedererkennen wird.
Einmal mehr erweist sich der weit über den Hygiene-Ursprung der 20er Jahre
hinausgehende Anspruch des Museums als zutreffend, weniger ein Museum als
ein Reflexionsort über den Menschen zu sein. Wozu es eben auch gehört, in
einer Inszenierung über unseren Drang nach Besitz zu philosophieren, der
über das bloße Sicherheitsbedürfnis weit hinaus reicht. Und nach
Ambivalenzen im Erfolgsfall ebenso zu fragen wie nach der sich daraus
ergebenden Verantwortung.
## Reichtum als Gottersatz
Kurator Daniel Tyradellis, der Philosophie und Wissenschaftstheorie
studiert hat, tut dies mit einer unübersehbaren Schlitzohrigkeit. Seine
anthropologischen Ausgangspunkte formuliert er eindeutig: „Reichtum ist ein
Phantasma, weil es eine Art Gottersatz darstellt.“ Das liegt auf der Linie
von Walter Benjamins „Kapitalismus als Religion“, während Max Webers
eigentlich auf Askese beruhende protestantische Ethik nicht so klar für das
Streben nach Reichtum herhalten kann. Das gilt Tyradellis zugleich als
Perversion, und er streitet die Intention einer politischen Ausstellung
nicht ab. Nachlesen kann der Besucher solche Exkurse in einer Bordzeitung.
Bordzeitung? Ja, denn der Besucher betritt den schwankenden Boden eines
Kreuzfahrtschiffes mit dem nahe liegenden Namen MS Reichtum. Direktor Klaus
Vogel begrüßt ihn per Video und hat sich dafür blau-weiß und mit
Kapitänsmütze ausstaffieren lassen. Der Luxusliner als Inbegriff für
Exklusivität, Unbeschwertheit und Selbstanbetung. Tyradellis führt mit
einigem Charme die Besucher in eine Falle: Ohne den leisesten Anflug von
Agitation wird das Paradies der Gewinner als eine fragwürdige Exklave
entlarvt. Dafür sorgen allein schon die überall lauernden und teils
originell visualisierten statistischen Angaben. Zum Beispiel die, dass der
Durchschnittsdeutsche pro Jahr nur 19 703 Euro zur Verfügung hat, das
Durchschnittsvermögen aber bei 195 000 Euro liegt.
Dezent oder mit feiner Ironie wird der Besucher auf allen Decks an die
Fragen erinnert, auf wessen Kosten Reichtum entsteht und ob in seinem
Erwerb wirklich der letzte Lebenszweck zu suchen sei. Durch Bullaugen
blickt man auf die andere Welt draußen, zum Beispiel auf ein
Flüchtlingsboot vor Lampedusa. Und auf dem Boden des Sonnendeck-Pools
erscheint die Spaßbremse, dass 90 Milliarden Euro Steuerhinterziehung jeden
Bundesbürger indirekt 1.250 Euro pro Jahr kosten.
Ins Grübeln kommen auch die bereits zahlreich durch die Ausstellung
streifenden Schulklassen spätestens beim Shuffleboard-Spiel. Zehn Personen
treten gegeneinander an, darunter Angela Merkel, Schumi, ein einfacher
Ingenieur und eine noch einfachere Krankenschwester. Sie versuchen, ihre
Disks auf Felder mit möglichst hoher Wertigkeit zu schieben. Ganz oben
steht der Unterhaltungswert, ganz unten die Zuverlässigkeit. Eine Parodie
auf die angebliche Leistungsgesellschaft, in der man mit ehrlicher Arbeit
schon gar nicht zu Reichtum gelangen kann.
## Rettungsringe für Banken
Kurator Tyradellis hat Themenkreise sehr assoziativ Schiffsräumen
zugeordnet. „Was ist Ihr Antrieb?“ wird zum Beispiel im Maschinenraum
gefragt. Wer sonst keine Ziele hat, will halt reich werden, hört man dort
heraus. „Befreit von ökonomischen Zwängen über das Leben nachdenken“, sa…
hingegen der Schauspieler Martin Wuttke in einer von sechs Rollen,
Videoclips, die allesamt in der Luxuskabine gedreht wurden. Auf dem
Sonnendeck hängen Rettungsringe für Banken mit Angaben, was sie den
Steuerzahler kosteten. „Wieviel Reichtum ist gesund?“ fragt das
Krankenzimmer und zeigt Empathie für paranoide Folgeerscheinungen,
Besitzängste und Isolation. Und die Schiffskapelle befasst sich mit den
sieben Todsünden.
Auf den Gängen begegnen uns Fetische und Attribute des Reichtums. Die
Brücke bildet den Kernraum der sozialen Auseinandersetzung mit der völlig
asymmetrischen Besitzverteilung. Wie steuert man das Schiff? Hier werden
knapp und übersichtlich Ideen von Solidarität und Ausgleich wie die
Reichensteuer präsentiert. Wenn Reichtum für das obere Zehntel Freiräume
schafft, warum dann nicht ein bedingungsloses Grundeinkommen für die
weniger Privilegierten?
Das Ausstellungskonzept neigt zur Arm-Reich-Dichothomie, zieht aber
lediglich nach unten die Armutsgrenze von derzeit 848 Euro monatlich nach
EU-Definition. Nach oben fließen die Grenzen, subjektiv wie objektiv. Damit
spricht die Sonderschau auch die relativ Wohlhabenden an, jene zwar auch
von Erosion bedrohte Mittelschicht, die sich inzwischen ebenfalls die
modischen Kreuzfahrten leisten kann. „Die Zahl der Reichen wird steigen“,
prophezeit eine Texttafel. Geht das immer so weiter?
Stoppen Sie am besten die Dauer Ihres Ausstellungsbesuches. In jeder
Sekunde ist das Nettovermögen der Deutschen um 9.181 Euro gewachsen. Fragen
Sie sich, wie viel davon auf Ihrem Konto landet. Und ob Nicht-Wachstum den
Untergang bedeuten würde. Natürlich gemahnt der „Galasaal“ an die Titanic,
und ein Foto der schräg im Wasser liegenden Costa Concordia wirkt wie ein
Menetekel. Ganz am Ende der Ausstellung, in der letzten
Schiffsfenster-Vitrine, liegt schlicht und einfach ein Beutel Peanuts.
„Reichtum – mehr als genug“: Sonderausstellung des Deutschen
Hygiene-Museums in Dresden, bis 10. November.
15 Jul 2013
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
Hygienemuseum Dresden
Reichtum
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