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# taz.de -- Kolumne Zumutungen: Jeder sollte eine haben
> Lärmtouristen, Flaschensammler, Popelfresser und
> Riiiiiiiiiiiesenschwänze. Gegen die täglichen Zumutungen hilft nur
> Gleichmut - und selber austeilen.
Bild: Die tägliche Dosis Zumutung ist schon unterwegs
Gerade war es wieder so weit. Ich stieg in die morgendliche S-Bahn, und da
wartete sie schon auf mich: meine tägliche Zumutung.
Für heute hatte mein örtlicher ÖPNV-Anbieter mir einen Flaschensammler ins
Abteil positioniert, der nicht nur unter großem Getöse seine üppige
Sammlung sortierte, sondern dabei auch lautstark allerlei Wissenswertes
über das Bahnfahren zum Besten gab. „Ausstieg links! Ausstieg rechts!
Zurückbleiben!“, kreischte er so fröhlich hysterisch, dass die suburbane
Mutter mir gegenüber panisch ihr Kind schnappte, selbiges hinter sich her
und in einen Waggon weiter schleifte.
Ich blieb sitzen. Ich bleibe bei derlei immer sitzen. Denn ich weiß: Egal,
wohin ich vor meiner Zumutung zu fliehen versuche – am Fluchtpunkt wartet
sie ja doch wieder auf mich. Meist sieht sie dann anders aus. Aber ob sich
die Zumutung nun als Popel verputzender Opa verkleidet, als dreißigköpfige,
ohrenbetäubend Spanisch schnatternde Schülergruppe oder schlicht als Irrer,
der mir im Park vors Fahrrad hüpft und fast zur Seite umfällt, weil er
beide Hände für seinen „Riiiiesenschwanz“ braucht – das ist doch nun
wirklich egal. Die Zumutung ist pünktlich und zuverlässig und immer da.
Ich versuche, sie lieb zu haben, meine Zumutung. Denn was nützt es, sich zu
ärgern über etwas, das die Abteilung Schicksal bereits vorab in
Darstellungsformen sonder Zahl auf mein Lebenskonto gebucht hat? Außerdem:
Man wird älter, die Mimik erschlafft. Und wie blöd es aussieht, seine
Zumutung zu hassen und deshalb mit hängenden Mundwinkeln und Abscheu im
Blick im öffentlichen Raum aufzutauchen, kann man sehr gut beobachten an
jenen beigen Rentnern, die in Wiegeschritt-Dreierreihen durch deutsche
Innenstädte marodieren, den Stock als Stolperhilfe schon im Anschlag.
Zugegeben, das Liebhaben fällt manchmal schwer. Kann ich denn einen
Mittzwanziger lieb haben, der als meine persönliche Morgenzumutung am vom
Berufsverkehr umtosten Fahrkartenautomaten steht und lächelnd „Noch 27
Belege“ ausdruckt? Und was ist mit jener Altersgenossin, die vor mir und
sechs anderen Zitternden in der Schwimmbaddusche steht und bei offenem
Vorhang ganz gemütlich nicht nur eine Haarpflegekur aufträgt, sondern auch
schon mal das Rasiergel auf die Beine?
## Tut gut: Zumutungs-Gleichmut
Sagen wir so: Ich bemühe mich um Zumutungs-Gleichmut. Und: Ich versage mir
nicht die Gelegenheit, auch für andere eine kräftige Zumutung darzustellen.
Jeder sollte eine haben.
Kürzlich zum Beispiel wohnte ich dem Open-Air-Konzert der weltberühmten
Künstlerin Patti Smith bei. Um ihrem musikalischen Hochamt nicht nur zu
lauschen, sondern die grauhaarige Druidin auch besser sehen zu können,
schob ich meinen Einsachtzigkörper in eine kurz klaffende Publikumslücke.
Der kleine Dicke hinter mir schäumte ein bisschen. Come on, sagte ich mir,
der sieht aus, als hätte er seine Zumutung heute noch nicht gehabt.
Was vermutlich stimmte, denn vor lauter wütender Begeisterung schrie er mir
die ganze Zeit dieses enervierende Rockkonzert-Juchzen ins Kreuz. Höher kam
er ja nicht. Und das war auch besser so, und zwar für uns beide.
18 Jul 2013
## AUTOREN
Anja Maier
## TAGS
taz.gazete
Touristen
S-Bahn
Wolfgang Herrndorf
taz.gazete
Carsten Maschmeyer
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