# taz.de -- Germanische Kultstätte der Nazis: Der Mythos Externsteine | |
> Hippies, Esoteriker, Neonazis und eine halbe Million Touristen – ein | |
> buntes Volk pilgert jedes Jahr zu den absonderlichen Externsteinen im | |
> Lipperland. | |
Bild: Bis zu 40 Meter hoch ragen die Externsteine in den Himmel. | |
HORN-BAD MEINBERG dpa | Das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert der | |
Nationalstaaten. Auch in Deutschland mühten sich viele, die Einheit von | |
Staat und Nation, von einem Volk mit einer gemeinsamen Kultur, zu | |
untermauern. Die „völkische Bewegung“ machte dabei auch vor der radikalen | |
Umdeutung der Tatsachen nicht halt. | |
Auf die Spitze trieben es die Nationalsozialisten im 20. Jahrhundert. Wie | |
Nazi-Ideologen und die SS mit aller Macht aus den Externsteinen im | |
Lipperland eine pseudogermanische Kultstätte machten, zeigt jetzt eine | |
Abteilung der Ausstellung „Credo - Christianisierung Europas im | |
Mittelalter“ in Paderborn (bis 3. November). | |
Bis zu 40 Meter hoch ragen die Externsteine in den Himmel. Abenteuerlich | |
führen steile, in den Fels gehauene Steintreppen an die Spitze. Zwei der | |
Felsen sind durch eine Brücke verbunden. In den Steinen finden sich kleine | |
Grotten. Die Externsteine sind Teil des Teutoburger Waldes und jedes Jahr | |
Ziel von Hunderttausenden Besuchern. Die wilde Sandsteinformation hat von | |
jeher die Fantasie der Menschen angeregt. | |
„Die Nationalsozialisten betrachteten die Christianisierung als | |
Auslöschung, als Verdrängung des Germanentums“, sagt Andreas Neuwöhner, | |
Kurator des „Credo“-Ausstellungsteils „Quo vadis“ in Paderborn. Sie | |
deuteten Geschichte um und schufen identitätsstiftende Orte. Der Dom in | |
Braunschweig wurde zur nationalen Gedenkstätte umgestaltet. Und SS-Führer | |
Heinrich Himmler wollte die Quedlinburger Stiftskirche zur deutschen | |
Kult-und Wallfahrtsstätte machen. | |
Schon Jahrzehnte zuvor hatten völkisch-nationale Ideologen den sächsischen | |
Heerführer Widukind, im 8. Jahrhundert Widersacher Karls des Großen bei | |
dessen Christianisierung Europas, als Identitätsstifter der germanischen | |
Nation vereinnahmt. 772 hatte Karl das wichtigste Heiligtum der Sachsen, | |
die Weltsäule in Form des Baumes Irminsul, zerstören lassen. Es folgten 30 | |
Jahre erbitterter Schlachten. | |
„Hier knüpfte auch der völkische Amateurforscher Wilhelm Teudt an“, sagt | |
der Historiker Roland Linde aus Münster. Schon im 16. Jahrhundert hatte der | |
Reformationsforscher Hermann Hamelmann aus Lemgo die Externsteine als | |
heidnisches Heiligtum gedeutet, das Karl der Große nach der Niederwerfung | |
der Sachsen zur christlichen Kultstätte umgewandelt habe. | |
Den Gedanken griff Teudt auf. „Er wollte die Deutschen von dem | |
vermeintlichen „Albdruck“ befreien, keine alte Hochkultur gehabt zu haben�… | |
sagt Linde. „Der Schlüssel zum Verständnis der Anlage ist das | |
Kreuzabnahmerelief“, das in Kopie auch in der „Credo“-Ausstellung zu sehen | |
ist. Abgebildet ist auch ein reich verzierter Stuhl. | |
## Keine Beweise | |
Teudt habe darin die abgeknickte „Irminsul“ erkannt und die Externsteine | |
als ursprünglichen Standort der Säule interpretiert. „Und es gelang ihm, | |
Himmler für die Externsteine zu begeistern“, erklärt Linde. Es folgten | |
umfangreiche Grabungen, um die These von der germanischen Kultstätte zu | |
erhärten. Der Erfolg war dürftig. Beweise, dass die Externsteine schon vor | |
dem 10. oder 11. Jahrhundert als Kultstätte genutzt wurden, gab es nicht. | |
Auch viele Archäologen blieben skeptisch, sagt Linde. Nach einer Tagung im | |
Jahr 1935 („Detmolder Scherbenkonferenz“), bei der über die Funde und | |
Thesen diskutiert wurde, habe ein Forscher ironisch geschrieben: „Die | |
Externsteine sind bis auf weiteres germanisch.“ | |
Dennoch hielten die Nationalsozialisten an den Thesen fest und | |
veranstalteten Sonnwendfeiern an den Externsteinen. Noch heute halten viele | |
Esoteriker die Steine für einen Kraftort, versammeln sich hier Indianer, | |
Anthroposophen, Druiden oder Yoga-Lehrer. | |
Aber was bedeuten die geheimnisvollen Externsteine dann? Kunsthistoriker | |
deuten das Ensemble mit den begehbaren Steinsäulen, dem Relief, der Grotte, | |
einem offenen Felsengrab und der Höhenkammer mit Altarnische als | |
Nachbildung der heiligen Stätten in Jerusalem, sagt Linde. „Schließlich | |
konnte damals nicht jeder mal eben nach Jerusalem pilgern.“ | |
4 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Matthias Benirschke | |
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Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
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