# taz.de -- Debatte Lehrer: Der Guru wird’s nicht richten | |
> Lehrer gelten auf einmal als die neuen Heilsfiguren in der Schulpolitik. | |
> Die Diskussion über ungerechte Strukturen wird darüber vernachlässigt. | |
Bild: Der Lehrer bestimmt den Bildungserfolg? Ja, aber nicht nur | |
Wenn das nicht zeigt, welche Wunder möglich sind: Die 9 a der | |
Johannes-Schule im schwedischen Malmö war allen Vergleichstest zufolge eine | |
der schlechtesten Klassen des Landes. Doch dann kam er: Stavros Louca, | |
Mathematiklehrer, ein Superpauker. Innerhalb eines Jahres führte er die | |
Klasse aus dem Leistungskeller an die Landesspitze. | |
In der Bildungsdebatte gibt es eine neue Losung: Nicht die Schulstruktur, | |
nicht die Jahre des gemeinsamen Lernens oder die Zahl getrennter | |
Bildungswege sind die entscheidenden Stellschrauben im System. Es kommt auf | |
Lehrer wie Stavros Louca an. | |
Gestützt wird diese Auffassung durch ein jüngst auf Deutsch erschienenes | |
Mammutwerk des neuseeländischen Bildungsforschers John Hattie („Lernen | |
sichtbar machen“, Schneider Verlag, 28 Euro) . In jahrelanger Fleißarbeit | |
hatte Hattie 800 Studien zum Lernerfolg von Schülern gesichtet. Mit dem | |
Ergebnis: Der statistisch bedeutsamste Effekt geht auf Lehrer und ihr Tun | |
zurück. Mit dieser Botschaft reist Hattie seither zu Vorträgen um die Welt, | |
auch die hiesigen Kultusminister haben sich sein Werk erklären lassen. | |
## Die deutsche Bildungsreligion | |
Seither rufen besonders konservative Bildungspolitiker den Lehrer als neue | |
Heilsfigur aus, er wird zur Ursache und Lösung sämtlicher Notstände im | |
System erklärt. „Eltern, Schüler und Lehrer sind die ewigen Struktur- und | |
Reformdebatten leid“, sagte kürzlich etwa Bundesbildungsministerin Johanna | |
Wanka (CDU). „Es kommt ihnen auf die Qualität des Unterrichts an.“ Das | |
Tückische dieses Mantras ist, dass es auf den ersten Blick so einleuchtend | |
ist und so irreführend auf den zweiten. | |
Erinnerungen an die eigene Schulzeit sind Erinnerungen an Lehrer, die | |
prägend waren, nicht an die unsichtbaren, abstrakten Prägungen durch | |
Schulstrukturen. Man denkt zurück an Lehrer, die einem die Physik vergrätzt | |
haben, oder solche, die Mathematik wie einen Krimi zu vermitteln wussten. | |
Das Lehrer-Argument spielt einer deutschen Besonderheit in die Hände: Das | |
Bürgertum leistet sich hierzulande von jeher eine Verklärung, die Bildung | |
als etwas fast Religiöses betrachtet, fern den Zwängen und Zwecken reiner | |
Ausbildung. Das Bild vom Lehrer als Guru fügt sich hier nahtlos ein. | |
Abiturienten dürften ihren prägenden Lehrern weit häufiger nachtrauern als | |
jemand, der mit Ach und Krach den Hauptschulabschluss geschafft hat. | |
Damit kein Missverständnis aufkommt: Natürlich ist nichts gegen guten | |
Unterricht zu sagen. Jedem Schüler sind Lehrer zu wünschen, die ihr | |
Handwerk verstehen. Fatal ist aber die maßlose Glorifizierung, mit der jede | |
Strukturdebatte für obsolet erklärt werden soll. Die Beschwörung | |
charismatischer Einzelpersönlichkeiten bedeutet letztlich, dass sich die | |
Bildungspolitik selbst aufgibt. Was bleibt zu gestalten, wenn die Zukunft | |
in den Händen einzelner Virtuosen liegen soll? | |
## Durchlässig nach unten | |
Es kommt eben doch auf die Struktur an. Auch die viel zitierte Mammutstudie | |
Hatties lässt nicht den Schluss zu, dass man das deutsche Schulsystem | |
unangetastet lassen muss. Hatties Daten stammen fast durchweg aus Ländern | |
mit einer Einheitsschule. Wenn Hattie Änderungen der Schulstruktur für | |
wenig wirksam erklärt, argumentiert er aus der umgekehrten Position: | |
Schüler nach ihrer Leistung zu trennen bringt kaum etwas für ihren | |
Lernerfolg, so sein Ergebnis – dafür geht ein solcher Schritt aber mit | |
massiven Gerechtigkeitseinbußen einher. Das ist eher eine Warnung vor der | |
Einführung eines gegliederten Schulsystems im Ausland als ein Argument | |
gegen dessen Abschaffung in Deutschland. | |
Die Frage nach den Qualitäten eines Lehrers und seines Unterrichts kann man | |
nicht von der Schulstruktur lösen. Hattie destilliert Kriterien heraus: Ein | |
guter Lehrer ist einer, der hohe Erwartungen an seine Schüler hat, der es | |
jedem zutraut, das gesteckte Ziel zu erreichen, der seinen Unterricht klar | |
gestaltet und den Schülern die Angst vor Fehlern nimmt. | |
Das deutsche Schulsystem suggeriert seinen Bediensteten eher die Idee | |
angeborener unveränderlicher Begabungen; die Struktur durchkreuzt | |
pädagogische Ideale, die Lehrerstudien wie die von Hattie propagieren. Es | |
verwundert nicht, dass Schulen hierzulande nur in einer Richtung | |
durchlässig sind: nach unten. Wer das Klassenziel nicht erreicht, geht auf | |
die Real- oder Hauptschule ab. Für einen Lehrer ist es in diesem System zu | |
bequem, kein guter zu sein. | |
## Vorsichtige Entscheidungen | |
In der Debatte über die Bedeutung von Lehrern bringen Bildungskonservative | |
mutwillig verschiedene Ziele durcheinander. Studien wie die von Hattie | |
untersuchen, welche Faktoren den größten Einfluss auf den Kompetenzerwerb | |
eines Schülers haben – und kommen naheliegenderweise auf den Lehrer. Sie | |
untersuchen allerdings nicht, welche Stellschrauben darüber entscheiden, | |
wie gerecht ein Schulsystem ist. | |
Unzählige andere Studien belegen, wie stark es hier auf die Struktur | |
ankommt: Je früher Kinder auf verschiedene Schultypen verteilt werden, | |
desto deutlicher schlägt die soziale Herkunft durch. Die Gründe dafür sind | |
vielschichtig: Lehrer empfehlen ein Arbeiterkind selbst bei gleichen | |
Leistungen seltener fürs Gymnasium als den Sohn oder die Tochter aus gutem | |
Hause. Eltern ohne Abitur tendieren mangels eigener Erfahrung zu | |
vorsichtigen Bildungsentscheidungen. Im Zweifel schicken sie ihren | |
Nachwuchs lieber auf die Realschule statt aufs Gymnasium. | |
Vor allem sind vier Grundschuljahre selbst für gute Lehrer zu kurz, um die | |
Nachteile auszugleichen, mit denen viele Kinder aus bildungsferneren | |
Schichten ihre Schullaufbahn starten. Es wäre auch verfrüht, | |
Bildungspolitik zur reinen Lehrerpolitik zu verkürzen, nur weil nahezu alle | |
Länder vom mehrgliedrigen System abrücken und ihre Haupt- und Realschulen | |
fusionieren. Die Strukturfrage ist damit nicht geklärt. Dass man die | |
Hauptschüler nicht mehr ganz verloren gibt, ändert nichts daran, dass an | |
höheren Lehranstalten weiterhin Arzt- und Professorenkinder unter sich | |
blieben. | |
Statt dem vermeintlichen Zauber neuer Heilsfiguren zu erliegen, sollten | |
Bildungspolitiker für längeres gemeinsames Lernen streiten. Notfalls, das | |
lehrt der Streit über die längere Grundschule in Hamburg, auch konsequent | |
gegen den Willen der Eltern. Und mit guten Lehrern. | |
5 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Bernd Kramer | |
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