Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zocken am Neuen Markt: Der Wahnsinn kehrt zurück
> Endlich: An der Börse soll der Neue Markt wieder belebt werden. Es gibt
> keinen besseren Selbsterfahrungstrip durch die unendliche Geilheit des
> Kapitalismus.
Bild: Der Börsenstier in Frankfurt am Main.
EM-TV plus 20 Prozent, in einer Woche! Brokat plus 24 Prozent, an einem
Tag!! Singulus plus zehn Prozent, in einer Stunde!!! Freenet plus
vierundzwanzig Millionen Prozent, in einer Millisekunde!!!! Geil.
Kann sich noch jemand an den Neuen Markt erinnern? Philipp Röslers
Wirtschaftsministerium will den Börsenindex jetzt wieder beleben. Endlich
mal eine gute Idee aus den Reihen der FDP. Es gibt keine besser Methode, um
Empathie für den Kapitalismus an sich zu wecken.
Neuer Markt, das war, als die Deutschen von der Börse so richtig gefickt
wurden. Da knarzten zwischen 1997 bis 2000 scheinbar ewig noch steiler
erigierbare Kurse junger Start-up-Unternehmen direkt aus den Analogmodems
in die Wohnzimmer, und jeder Vollidiot, der einen Computermaus bedienen
konnte, zockte und tätowierte sich nach der Verfünffachung seines Kapitals
„There ist always a bigger fish“ und andere Börsenweisheiten auf die
Arschbacken. Kurse stiegen und stiegen, das Ende der Geschichte war noch
nicht zu Ende, und Verona Feldbusch rekelte sich für Telegate. Man frönte
der Kursmasturbation.
Das ging nicht ewig gut. 2003 wurde der Neue Markt, längst wertlos,
abgeschafft. Und ja, ich bin ein Geschädigter. Mein Portfolio war nicht so
richtig balanct, das Risikomanagement outgesourct, an Börse Online, deren
Gurus den Crash ab März 2000 seltsamerweise nicht prophezeit hatten. Obwohl
sie zuvor zielsicher Kursentwicklungen in den Gedärmen überfahrener Frösche
ablesen konnten.
Die meisten von denen waren wie ich Chartanalytiker. Man musste damals
einfach Farbe bekennen, wenn wildfremde Marktanalytiker auf dem Weg zur
Frühschicht morgens um 6.30 Uhr in der S-Bahn über den Wirtschaftsteil
überregionaler Tageszeitungen schielten und blöde quatschten. Wie,
Technotrans überbewertet? Die Unterstützungslinie bei 40 Euro ist
durchbrochen, da gibt’s noch Luft nach oben. Auch wenn die Firma bei einem
Umsatz von 20 Millionen Euro mit 3 Milliarden Börsenwert möglicherweise
marginal überperformt.
## Bewusstseinserweiternder Selbsterfahrungstrip
Kurzum: Neuer Markt, das war ein bewusstseinserweiternder
Selbsterfahrungstrip. Erkenntnistheoretisch gesprochen, ist es zwar
richtig, dass Geld seinen Wert nur erhält, weil der Mensch ihm welchen
zuschreibt. Was niemanden interessiert, der auf einen Kurs starrt. Dann
bereitet jede Zuckung in die falsche Richtung körperliche Schmerzen. Das
ist so was von real, dass man für die richtige Kursbewegung ohne Umschweife
seine Lieblingskatze rauchopfern würde.
Es ist Bürgerpflicht, selbst zu erleben, wie die Profitgeilheit in den
Adern scharrt, nicht mehr irrational ist, sondern unumstößlich evident zu
einem allgemeingültigen Prinzip mutiert, nach dem der große Manitu dereinst
die Welt erschaffen hat. Was jetzt nicht heißt, dass der Mensch an sich von
Natur aus raffgierig ist (Grundgütiger, da hätte ja der Kapitalismus
gesiegt). Aber wer wissen will, wie ein solches Irrtum zustande kommt, der
muss zocken. Spekulanten sind keine Bestien.
Gut, sie treiben Millionen Menschen in den Ruin und machen ganze Familien
obdachlos, wenn die nächste Immobilienblase platzt, aber jenseits derartig
vulgärer Verallgemeinerungen: Spekulanten sind keine Täter, sie sind Opfer.
Bedauernswerte, von archaischen Reizen Getriebene, die das gesamte
Mitgefühl der Gesellschaft verdienen. Der neue Neue Markt wird helfen,
dieses Mitleid durch Selbsterfahrung in breiten Teilen der Bevölkerung
wieder zu wecken.
Wobei: Der neue Neue Markt soll angeblich institutionellen Investoren
vorbehalten sein. Keine privaten Anleger zugelassen. Verdammt. Wie wird man
Institution?
19 Aug 2013
## AUTOREN
Ingo Arzt
## TAGS
Börse
Kapitalismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Reaktion auf die Schuldenkrise: Deutsche hamstern Aktien
Die Zahl der Aktionäre in Deutschland steigt während der Euro-Schuldenkrise
deutlich an. Ein Grund dafür: Die Angst vor der Inflation sitzt tief.
OLG-Urteil zu Telekom-Aktien: Volksaktionäre sind Verlierer
Diesmal siegt Goliath über David: Die Kleinanleger, die mit Telekomaktien
hohe Verluste erlitten, unterliegen vor Gericht. Sie zerren den Konzern vor
die nächste Instanz.
die wahrheit: Therapeut mit Lötkolben
Kulturbetrieb: Eugen Egner ist Deutschlands erster Baumarktliterat. Ein
wahres Porträt.
Banken betrügen Kleinanleger: Alt und doof
Die Kleinanleger, die Lehman-Zertifikate gekauft haben, sind einem
abgekarteten Betrugssystem auf den Leim gegangen. Jetzt verlangen sie ihr
Geld zurück.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.