# taz.de -- Macht der Mikroben: Wie viele bin ich? | |
> Der Mensch ist die Summe seiner Gene, verkündeten Forscher einst. Der | |
> Mensch ist die Summe seiner Mikroben, erklären Wissenschaftler jetzt. | |
Bild: Manche Mikroben kommen gefährlich daher – als Killer gar. | |
Es begab sich zu einer Zeit, als der Forscher Craig Venter loszog, das | |
Human Genome Project bei der Entschlüsselung des menschlichen Genoms zu | |
überholen. Venter verkündete im Jahr 2000, er wolle das komplette | |
menschliche Genom entschlüsseln. Die FAZ druckte eine Reihe von | |
Gen-Sequenzen. Unterschiedlichste Kombinationen von ATCG, CGAT, TAGC | |
überall. | |
Plötzlich wirkte so viel bedeutungsvoller, was man sonst so in der Schule | |
lernte. Welche Augenfarbe aus grün (Frau) und blau (Mann) entsteht, wenn | |
beide ein Kind zeugen. Ob wir lange oder kurze Beine haben, die Form | |
unserer Nase – all das bestimmen die Gene, die wir vererbt bekommen. | |
Der Mensch also, ein Genprodukt, fertig und unveränderbar wie ein | |
produziertes Auto? | |
Das wäre ein bisschen zu einfach, klar. Wir verändern uns ständig. Und wir | |
– das sind viele. Das wird jetzt immer deutlicher. | |
## Billionen winzigster Lebewesen | |
Insgesamt 100 Billionen kleinste Lebewesen hausen in und auf unserem | |
Körper. So unangenehm es klingen mag. Wir sind nicht allein. In uns wohnt | |
eine riesige WG, eine Kommune. Vor allem im Darm, aber auch unter den | |
Achseln, im Mund, am Ohrläppchen sitzen allein schon 10.000 Arten | |
unterschiedlicher Bakterien. Ganz zu schweigen von all den Milben, Viren | |
und Pilzen. | |
Mikrobiom nennen Wissenschaftler die Gesamtheit all dieser Lebewesen, der | |
Mikroben, in uns. Und dieses Mikrobiom soll mehr können, als wir bisher | |
dachten – es soll nicht nur bei der Verdauung helfen. Sondern auch mit | |
darüber entscheiden, wie es uns gesundheitlich geht, ob wir Diabetes haben, | |
an Übergewicht oder einer Depression leiden – und vielleicht beeinflusst es | |
sogar unser Sexualleben, unser Gemüt und die Evolution des Menschen. | |
sonntaz-Autorin Maria Rossbauer hat sich für die Titelgeschichte der taz.am | |
wochenende vom 7./8. September 2013 durch Studien gewühlt und | |
Wissenschaftler besucht, um herauszufinden, was genau es mit diesem | |
Mikrobiom, auf sich hat, von dem sich Forscher wie der Heidelberger Peer | |
Bork so viel versprechen, dass mittlerweile ein Humane Microbiome Project | |
aufgelegt wurde. | |
## Erzeugt das Wissen Druck? | |
Das Mikrobiom, haben Wissenschaftler festgestellt, ist veränderbar, anders | |
als die Gene. Was wir essen und trinken, in welcher Umgebung wir uns | |
aufhalten, welche Menschen wir berühren – all das beeinflusst die | |
Zusammensetzung der Lebewesen in uns. Einfluss also, den wir haben. Und | |
damit noch mehr Verantwortung. „Da kann ich nichts für, das sind die Gene“, | |
dieser Satz war einmal. | |
Wenn der Mensch aber immer präzisere Informationen über seinen Körper hat, | |
gerät er dann auch immer mehr in Zugzwang? | |
Kommt bald die aufs Mikrobiom abgestimmte Diät – und alles andere wäre dann | |
verantwortungslos? | |
Die zunehmende Erforschung des Mikrobioms scheint ein Paradigmenwechsel in | |
der Wissenschaft. Gestern Gene, heute Mikrobiom. Und morgen? | |
## Es waren einmal die Säfte | |
„Nun ja, die Frage nach dem Menschen hat den Menschen vermutlich immer | |
schon beschäftigt“, sagt der Bamberger Philosoph Christian Illies. Je nach | |
Epoche, in der der Mensch lebte, kam er zu unterschiedlichen Ergebnissen, | |
was ihn eigentlich ausmacht. | |
Seine Säfte, dachten beispielsweise die Menschen vor dem 16. Jahrhundert, | |
als sie noch keinen Begriff von Atomen und Molekülen hatten. Erst, wenn | |
Blut, Schleim, schwarze und gelbe Galle sich nicht mehr bewegten, war der | |
Mensch nach ihrer Überzeugung tot. | |
Der Mensch des 21. Jahrhunderts aber kann demnach viel mehr für seine | |
Gesundheit tun. | |
Wollen Sie das? Ihre Gesundheit immer stärker beeinflussen können? Und auch | |
die Ihrer Mitmenschen? Oder überfordert Sie dieser Einfluss zunehmend? Wie | |
verändert das das Bild von uns selbst, wenn wir nun auch die Mikroben in | |
uns und auf uns kennenlernen können? Diskutieren Sie mit! | |
Die Titelgeschichte „Du bist nicht allein“ lesen Sie in der [1][taz.am | |
wochenende vom 7./8. September 2013]. | |
6 Sep 2013 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Emilia Smechowski | |
## TAGS | |
Wissenschaft | |
Giulia Enders | |
Bakterien | |
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