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# taz.de -- Reiseland Ecuador: Viele segensreiche Hilfsmittelchen
> Man vertraut vor allem auf Gott in Quito – aber auch auf die Versprechen
> der Parfümerie. Ein Besuch in der Hauptstadt andiner Lebensart.
Bild: Die St. Francisco Kirche und der Platz im Zentrum von Quito.
Jesus hat gelitten. Ein Riss im Bein, eines seiner hellblauen Glasaugen ist
weg. Ist ja auch kein Wunder: Schließlich wacht „el nino“, das Jesuskind,
schon seit sieben Jahrzehnten über das Wohlergehen der beiden alten Leute,
die ihn hergebracht haben. Und über das ihrer Eltern und Großeltern auch
schon. Doch jetzt ist er ein Fall für Gonzalo und Rocio Carrión.
Sorgfältig untersucht das Ehepaar die 40 Zentimeter hohe Holzfigur und gibt
Entwarnung: Da ist nichts, was ein guter Restaurator nicht hinkriegen
könnte. Und gute Restauratoren sind sie, weshalb die Geschäft recht
passabel gehen. Jede Familie, die auf sich hält, hat ihren Schutzpatron.
Die sind aus Holz, Gips, Keramik oder Alabaster, manchmal zwei- bis
dreihundert Jahre alt. Sie werden von Generation zu Generation
weitergegeben.
Vertreter ungewöhnlicher Berufe trifft man einige im alten Kolonialviertel
von Quito. Da ist der 82-jährige Jorge Rivadaneira, der seine kleine
Drechslerwerkstatt schon seit 1931 betreibt und zu Werbezwecken gern seine
handgemachten Kreisel auf der Stirn rotieren lässt. Gabriel Chiluisa, der
immer fröhliche, verkauft in seinem Antiquariat stockfleckige Ratgeber, wie
man Liebesbriefe schreibt oder es zum besten Verkäufer der Welt bringt. Und
Ludmilla García, auch schon über 70, vertreibt in ihrem Musikgeschäft die
Platten ihrer beiden Brüder, des Duos Los Mellizas, auf Wunsch trägt sie
auch selbst alte Schlager vor.
## Eine katholische Stadt
Quito, die Hauptstadt Ecuadors, liegt eingezwängt zwischen zwei Bergketten
auf etwa 2.850 Meter Höhe und erstreckt sich 60 Kilometer von Nord nach Süd
und bis zu 10 Kilometer von Ost nach West. Auf den Besucher wirkt sie
manchmal wie ein kleines Wunderland. Vom Aussichtspunkt Panecillo aus
scheint eine weiß-grau-gelbe Kruste weithin die Hügel zu überziehen. Bis
zur Basilika reicht der koloniale Teil mit seinen 26 Kirchen, dahinter
steigen im Dunst die Bürotürme des modernen Viertels La Mariscal hoch. Rund
um die Plaza Foch reihen sich dort die Filialen von Subway und Juan Valdez
Café, die Edelboutiquen und Mojito-Bars und Diskos. Lässig und gestylt geht
es dort zu, international und aufgedreht.
Das Panecillo selbst ist eine 30 Meter hohe Figur aus Aluminium, die 1975
eingeweiht wurde und die Jungfrau Maria mit Flügeln und einer Schlange an
der Kette darstellt. Quito ist eine zutiefst katholische Stadt. Schlendert
man durch die Straßen, in denen abends die Luft vom Autosmog blaugrau
wabert, kommt man immer wieder an einer Kirche vorbei, in der Gläubige
knien und gerade Messe gefeiert wird. Fast jedes Quartier hat sein
Gotteshaus.
Am beliebtesten ist San Francisco, am spektakulärsten die Jesuitenkirche.
In dem goldglitzernden Schmuckkästchen mit seinen Rundbögen und maurischen
Ornamenten hat auch Marianita de Jesús ihre letzte Ruhe gefunden. Das
fromme Mädchen lebte im 17. Jahrhundert und opferte sein Leben angeblich,
um die Stadt von einer Serie von Erdstößen zu befreien. Seitdem, heißt es,
könne Ecuador nie mehr an einer Naturkatastrophe zugrunde gehen, sondern
nur noch an der Korruption seiner Politiker.
## Gegen Neid und für Unwiderstehlichkeit
Man vertraut auf Gott in Quito – aber in bestimmten Dingen geht man doch
lieber auf Nummer sicher. In solchen Fällen hilft die Parfümerie Les Aromas
in der Calle Sucre weiter. Sie hat Dutzende segensreiche Mittelchen im
Angebot. Da gibt es Rasierwässer, die eine Aura von „Gesundheit, Geld,
Glück“ verströmen. Eine Seife verspricht, ihren Benutzer zum
unwiderstehlichen Eroberer zu machen, eine zweite schützt gegen den dann zu
erwartenden Neid. Es gibt den Duft, der jeden Weg freimacht, und zum
Anstoßen nach den künftigen Erfolgen empfiehlt sich eine Flasche
„Astralleib-Champagner“.
Andere Quiteños setzen eher auf ihre eigene Kraft. Auf der
palmenbestandenen Plaza Grande erhebt sich der Regierungspalast. An diesem
Morgen demonstrieren Ölarbeiter davor für bessere Löhne, daneben verteilt
eine wortgewaltige Dame Flugblätter, auf denen die Zusammenarbeit Ecuadors
mit Kuba gegeißelt wird, und um zwölf gibt die Marine ein Platzkonzert.
Mittendrin suchen halbwüchsige Schuhputzer nach Kunden, und Indigena-Frauen
mit Hüten und Gesichtern wie in braunes Holz geschnitzt, verkaufen Orangen
und Kaugummis für 5 Centavos.
## Donnerstag ist Party
Während der letzten zehn Jahre hat sich Quito stark verändert. Das Heer der
Händler, dem Touristen früher nicht entkamen, wurde aus dem Zentrum
verbannt. Auf den Märkten herrschen heute so strenge Hygienevorschriften,
dass man unbedenklich fremdartige Säfte aus Aloe vera oder Alfalfa
probieren kann. Angestellte und Studenten drängen gegen Mittag an die
Stände, um für gerade mal 2 Dollar frischen Hühnereintopf oder einen Teller
Fischsuppe zu bekommen.
Aus der Rotlichtmeile La Ronda hat man Prostituierte und ihre Zuhälter in
die ärmeren Viertel vertrieben und mit viel Geld eine Art koloniale
Touristenoase geschaffen, so scheint es. Denn noch fehlt den weißen Häusern
mit den vorragenden Dächern und Balkonen die Patina. Unter der Woche liegt
die älteste Straße der Stadt wie ausgestorben da, nur ein paar Kinder
hüpfen über die Himmel-und-Hölle-Markierungen am Boden. Doch ab
Donnerstagabend scheint die Straße zu explodieren. Andenklänge und
Salsarhythmen dringen von überallher, und in den Bars tanzen die Menschen
auf zwei Etagen. Auch im offenen Innenhof des Poncho de Barro sind alle
Holztische besetzt.
Es riecht nach Canelazo, dem alkoholischen Zimttee, der Kellner in roter
Trainingshose schleppt Empanadas de viento vorbei, das sind mit Käse
gefüllte, aufgeblasene Fladen. Und auf der Bühne singt El Gran Wilson, der
Mann für die großen Gefühle, von wahrer Liebe, frühem Leid und
Einfach-nicht-vergessen-Können, und von Quito, der heutigen Hauptstadt
südamerikanischer Lebensart.
7 Sep 2013
## AUTOREN
Franz Lerchenmüller
## TAGS
Ecuador
Kirche
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Potsdam
Ecuador
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