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# taz.de -- Kabarettist und Sänger über Hass: „Ich bin ein liebevoller Mens…
> Serdar Somuncu möchte auf der Bühne nicht wie ein Priester auftreten.
> Normen und Moral haben für ihn in der Kunst nichts zu suchen.
Bild: Bis die Bombe hochgeht: Serdar Somuncu.
taz: Herr Somuncu, bis vor Kurzem standen Sie mit Ihrem Kabarettprogramm
„Der Hassprediger reloaded“ auf der Bühne. Da gaben Sie den Wüterich, zog…
über Prominente, die katholische Kirche und heikle politische Themen wie
Integration und Merkels Griechenland-Politik gleichermaßen her. Woher
nehmen Sie diesen ganzen Hass?
Serdar Somuncu: Der Hass ist eine Lebenserfahrung, die sich in die Rolle
meiner Kunstfigur schmuggelt. Dieses Gefühl ist nur ein Teil von mir, wenn
auch der auffälligste Teil. Ich habe in meinem Leben oft Wut gehabt und
habe sie immer noch. Als Schauspieler kann man sie in seine Rolle
einflechten, das ist natürlich super. So muss ich die Wut nicht an
Mitmenschen auslassen.
Darf Ihre Kunstfigur Dinge aussprechen, die der private Serdar Somuncu nie
sagen würde?
Ja. Auch umgekehrt. Die Kunstfigur darf das, was ich persönlich sagen
würde, nicht aussprechen, weil es sonst zu moralisch und zu parteiisch
wäre.
Was ist schlimm an Moral?
Moral ist grundsätzlich überhaupt nicht schlimm. Nur manchmal ist es
pathetisch, wenn man aus einer Figur heraus moralisch wird und plötzlich
redet wie ein Priester. Wenn man an einem Kabarettabend herausfinden will,
wie es sich anfühlt, die Grenzen zu brechen, und man sich dann selbst
relativiert – das ist sehr pathetisch. Es wäre auch eine unangebrachte
Anleitung für ein Publikum, das intelligent genug ist zu wissen, dass die
gesagten Dinge auf der Bühne nur zu einem bestimmten Teil so gemeint sind.
Gibt es etwas, worauf Sie keinen Hass haben?
Ja, klar. Ich bin ein sehr liebevoller Mensch und glaube, dass man nur
lieben kann, wenn man viel Hass in sich trägt. Für jedes Gefühl, das man
intensiv empfinden will, braucht man den extremen Gegenpol. Ich bin aber
auf keinen Fall jemand, der nur rumbrüllt und alles schrecklich findet.
Im Alter von zwei Jahren sind Sie als gebürtiger Istanbuler nach
Deutschland mit Ihren Eltern nach Deutschland gekommen. Hat Ihre türkische
Abstammung Einfluss auf Ihre Karriere genommen?
Sicher spielt meine Herkunft eine wichtige Rolle. Wegen ihr brauchte ich
mit 16 eine Aufenthaltserlaubnis, was mich sehr wütend gemacht hat. Ich
fühlte mich ausgegrenzt, obwohl ich dieselbe Sprache sprach, auf die
gleiche Schule ging, ich mich mit allem identifizierte. Es wurde verlangt,
dass ich meine türkische Identität aufgebe, damit ich hier teilhaben kann.
Diese Wut hat mich allerdings motiviert, Ungerechtigkeit anzuprangern.
Im Beruf war meine Herkunft Fluch und Segen. Anfangs musste ich mir ständig
anhören, dass ich als Türke nur den Kriminellen spielen könne. Ein Segen
war sie insofern, dass ich als gebürtiger Türke aus dem Rahmen fiel. Das
machte mich interessant.
Ihre Shows wurden im Fernsehen zensiert.
Ja, das stimmt. Das ist nicht nur ein Mal passiert. Fernsehredakteure und
Sender, die man für aufgeschlossen hält, maßen sich an zu bestimmen, was
gesendet wird und was nicht. Damals war ich wie ein Schläfer, ein
Bombenattentäter, der darauf gewartet hat, die Bombe hochgehen zu lassen.
Comedian zu sein und einen auf Anstandskanaken zu machen – die perfekte
Tarnung – funktionierte auch. Je bekannter ich wurde, desto freier konnte
ich Texte sprechen. Ich war der erste Radikalcomedian.
Sie sind nicht nur Comedian, sondern auch Musiker. Am 20. September
veröffentlichen Sie mit dem Rapper André Fuchs alias Onkel Zwieback das
Album „Wir Beide“. Was unterscheidet Ihre Soloarbeit von der als Teil eines
Duos?
Dadurch, dass das Album ein gemeinsames Projekt ist, nehme ich mich zurück
und benutze sie nicht als Plattform. Die Musik gehört zu meinen
Leidenschaften. Ich habe ja auch Schlagzeug und Komposition studiert.
Das Lied „Warum siehst du so aus“ kommt als typisch harmloser Popsong
daher. Darin wird aber eine Frau besungen, die so aussieht, „als hätte man
ihr gerade den Schwanz aus dem Mund gezogen“. Ist das Zurückhaltung?
Das ist witzig, denn die meisten Frauen sind darüber total schockiert.
Dabei ist es eine Parodie auf Frauen, die sich die Lippen aufspritzen
lassen.
Finden Sie, dass Kunst Grenzen haben sollte?
Wenn Kunst die Unzulänglichkeit überdeckt, kommunizieren zu können, dann
ist es schlechte Kunst, weil sie zu therapeutisch ist. Da würde ich die
Grenze ziehen. Wenn Kunst allerdings ein Ausdrucksmittel ist, um all das
sagen zu können, was man sagen will, dann hat sie einen Dialog zur Folge.
Und genau das soll sie haben.
Der Künstler Jonathan Meese provoziert gern, indem er den Hitlergruß zeigt.
Überschreitet Kunst da eine Grenze?
Nein, sie hat in dem Sinne keine Grenzen. Kunst ist immer ein Abbild der
Realität, und in dieser gibt es auch kein „Man darf nicht“, wenn man sich
Normen und Moral wegdenkt. Prinzipiell ist alles möglich.
Die Splitterpartei „Pro Deutschland“ zieht gerade durch das Land und hetzt
gegen Linksextreme und Ausländer. In deren Grundsätzen steht, dass der
Hitlergruß bei ihnen nicht gezeigt werden darf.
Ich lasse mich nicht mehr auf verkopfte Diskussionen darüber ein, ob
irgendwelche Wichser Wichser sind und Künstler Künstler sein dürfen. „Pro
Deutschland“ sind Wichser. Und mit ihrer Aussage kaschieren die doch nur,
dass sie Nazis sind. Jonathan Meese ist kein Nazi, und er kann
hunderttausend Mal den Hitlergruß zeigen. Ich verstehe nicht, dass ein
Künstler hier vor Gericht gestellt wird. Die Leute wollen ständig
Gesprächsstoff haben und suchen sich dann so was aus, obwohl es genug
andere Gründe gäbe, gegen rechts zu sein. Heinz Buschkowsky …
… der SPD-Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, der in seinem Buch
„Neukölln ist überall“ die Integrationspolitik kritisierte und mehr Härte
gegenüber vermeintlich nicht anpassungswilligen Migranten forderte.
Warum steht der nicht vor Gericht? Das, was er geschrieben hat, ist ein
geistiger Hitlergruß.
Was denken Sie über das Buch „Er ist wieder da“ von Timur Vermes, in dem
Hitler im Jahre 2011 in Berlin plötzlich wiederauftaucht?
Bei Vermes wird Hitler zu einem Comedian, der im Quatsch Comedy Club
spielt. Ich fand die Parallele zu mir schon krass. Redakteure haben Angst,
dass der lustige Hitler im Fernsehen etwas Falsches sagt. Die Beschreibung
kenne ich, das ist meine Arbeit der letzten zwanzig Jahre! Es ist traurig,
dass da jetzt jemand kommt und diese Thematik verkommerzialisiert und die
Masse das abfeiert. Jahre zuvor hätten sie viel ehrlichere Arbeiten
abfeiern müssen, die keine Unterstützung gefunden haben.
Welche denn?
Die Berliner Rapper K.I.Z. haben dieses Jahr zum Beispiel ein schönes Lied
über Hitler gemacht. Der jüdische Comedian Oliver Polak hat im Musikvideo
Hitler gespielt. Was gibt’s Geileres? Und das meine ich, das sieht keiner,
weil es weder populär noch kommerziell zu verwerten ist. Es bleibt
Underground. Aber oft ist der Underground Inspiration für die Leute, die
dann Profit daraus schlagen wollen.
Sie haben dieses Thema doch auch verkommerzialisiert.
Nein. Ich habe es zu einer Zeit behandelt, als es noch innovativ war. Was
ich mache und gemacht habe, ist Aufklärungsarbeit.
Hat es Sie Überwindung gekostet, Judenwitze auf der Bühne zu erzählen?
Nein. Je gewagter, desto interessanter. Deswegen ist mein Leitsatz ja: Jede
Minderheit hat ein Recht auf Diskriminierung. Ich bringe auch keine
Judenwitze als Selbstzweck, ich teste Befindlichkeiten und beobachte die
Reaktion der Leute. Was ich sage, drücken andere viel schlimmer aus, weil
sie es ernst meinen. Bei mir ist die Klammer dabei, dass ich es auf einer
Bühne mache. Und Bühnen sind unter anderem für Schauspieler da, dieser
Unterschied muss ganz klar sein.
Was sind Ihre nächsten Projekte?
Ein halbes Jahr mache ich noch Kabarett. Danach mache ich erst einmal
Musik. Ich hätte auch gerade tierischen Bock, wieder ans Theater
zurückzugehen. Aber gibt es denn einen türkischen Regisseur in Deutschland?
Es sei denn, er nennt sich Fatih Akin und dreht Filme über sich selbst. Der
Affe muss halt ’ne Banane essen, sonst wird er zu menschlich. So ist das
bei den Türken auch. Wenn sie keine Filme über sich selbst drehen, bei dem
mindestens ein bärtiger Vater auf dem Sofa sitzt, geht das nicht. Deswegen
hat man als türkischer Schauspieler nur eine Wahl: Entweder du machst die
Nutte oder nicht. Ich mach’s nicht.
22 Sep 2013
## AUTOREN
Lisa Maucher
## TAGS
Kabarett
Hass
Serdar Somuncu
Kabarett
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