# taz.de -- Der Roman „Palast der Schatten“: Melodram mit Lerneffekt | |
> Die Hamburger Autorin Dagmar Fohl erzählt eine Liebesgeschichte, die | |
> während der frühen Jahre des Kinos spielt. Das gerät manchmal arg | |
> schmalzig, ist aber gut recherchiert. | |
Bild: Ein Klassiker der Stummfilmzeit: Fritz Langs "Metropolis" aus dem Jahr 19… | |
BREMEN taz | 1914 hießen Filme noch nicht Filme, sondern „Films“. Die | |
Hamburger Autorin Dagmar Fohl hält diese Terminologie in ihrem Roman | |
„Palast der Schatten“ konsequent durch, um zu zeigen: Diesem Buch ging eine | |
sorgfältige Recherche voraus, um fundiert erzählen zu können von den frühen | |
Jahren des Kinos. | |
Der Roman ist wie ein Film strukturiert: Es gibt fünf „Akte“ und keine | |
Kapitel. Eingerahmt werden sie von einem Vor- und einem Nachspann. Beide | |
verwenden Zitate aus den „Flüchtigen Notizen“ von Maxim Gorki, in denen er | |
seinen Besuche in einem Kino der Gebrüder Lumière in Nischni Nowgorod | |
beschreibt, das er das „Reich der Schatten“ nennt. | |
Der wichtigste Spielort dieser Geschichte ist ein kleines Kino in einer | |
nicht konkret benannten deutschen Großstadt. Das Kino erinnert an die | |
ersten Kinos, die noch mehr von Jahrmarktsbuden als von Theatern hatten. | |
Betrieben wird es von dem jungen Filmerzähler Theo. Gezeigt wird dort | |
jeweils ein gemischtes Programm von kurzen „Films“, die dem eher | |
proletarischen Publikum von Theo mit dem Zeigestab in der Hand erklärt | |
werden. | |
Wichtig ist dabei auch die musikalische Begleitung, die ursprünglich das | |
laute Rattern der Projektoren überdecken sollte, sich dann aber schnell zu | |
einem wichtigen Ausdrucksmittel für Emotionen entwickelte. So trifft Theo | |
auf Clara, eine junge Pianistin, die gerade in der Stadt eingetroffen ist | |
und ein Talent dafür hat, sich so in die Bilder auf der Leinwand | |
einzufühlen, dass diese durch ihre Improvisationen auf dem Piano viel | |
eindrucksvoller auf das Publikum wirken. | |
## Die fremde Stadt | |
Die beiden werden schnell zu einem Liebespaar, dem aber nur wenige | |
glückliche Tage vergönnt sind: Clara hat ein dunkles Geheimnis, das sie zur | |
Flucht in die fremde Stadt getrieben hat. Außerdem bricht der erste | |
Weltkrieg aus und Theo wird eingezogen. Die beiden werden für eine lange | |
Zeit getrennt. Danach ist dann nichts mehr wie vorher. | |
Es ist ein wenig Etikettenschwindel, wenn der Gmeiner Verlag das Buch als | |
einen „historischen Kriminalroman“ vermarktet. Es gibt zwar eine kriminelle | |
Tat, der Clara sich schuldig gemacht hat, und wegen der sie in der | |
ständigen Angst lebt, entdeckt zu werden. Aber dies ist ein eher | |
unbedeutender Nebenstrang der Erzählung. „Palast der Schatten“ ist keine | |
Kriminalgeschichte, sondern ein Melodram, in dem die Schrecken des Krieges | |
die große Liebe der beiden Helden bedrohen. | |
So etwas muss mit einem gewissen Pathos erzählt werden, und Dagmar Fohl | |
zieht dann auch alle Register des romantischen Genres. Dabei sind ihr ein | |
paar Stilblüten unterlaufen wie zum Beispiel: „Das Klavier drohte zu | |
zerspringen. Die Tasten weinten vor Schmerz.“ Aber weil sie so detailreich | |
und überzeugend schildern kann, wie der Krieg das Leben der beiden | |
verändert, folgt man der Geschichte gerne. | |
Am genauesten gearbeitet ist der Roman immer dann, wenn in ihm das damalige | |
Filmmetier beschrieben wird. Dieses war, wie so häufig, gerade in einer | |
Umbruchzeit. Die kleinen Kinos wurden langsam durch Filmtheater in den | |
bürgerlichen Stadtvierteln verdrängt. Dort wurden 1914 immer mehr Langfilme | |
mit Zwischentiteln gezeigt, während in den ärmeren Stadtteilen die Leute | |
noch lieber in Kinos wie das von Theo gingen, weil sie schlecht oder gar | |
nicht lesen konnten und die langen Filme mehr Eintritt kosteten. | |
## Bilder von nebenan | |
Fohl fand einige Details, die auch Filmkenner überraschen dürften. So waren | |
die Betreiber dieser kleinen Kinos oft auch selber Filmemacher, die mit | |
einer Kamera Aufnahmen von der Nachbarschaft machten. Die wurden vom | |
Publikum sehr geschätzt, weil sie so zum ersten Mal bewegte Bilder von | |
etwas ihnen Bekanntem sahen. | |
Zum Teil zitiert Fohl auch aus Originaldokumenten wie zum Beispiel | |
Verleih-Katalogen. Dabei kann man lernen, dass in Friedenszeiten Filme mit | |
Titeln wie „Die letzte Zuflucht“ oder „Das falsche Weib“ erfolgreich wa… | |
Filme, die oft in Frankreich produziert wurden. Während des Krieges wurde | |
dann gegen das „Film-Franzosentum“ polemisiert und es wurden vor allem | |
krude Propagandawerke gezeigt, die „Es braust ein Ruf wie Donnerhall“ oder | |
„Durch Pulverdampf und Kugelregen“ hießen. | |
Neben dem Erklärer und Musiker gab es in diesen Kinos oft auch einen | |
Geräuschmacher. Fohl beschreibt, wie dieser im Stil von Monty Python mit | |
zwei Kokosnusshälften das Getrappel von Pferden nachmachte. | |
Manches aber hat sich kaum verändert: So wurde damals „bei rasenden Zügen | |
und Gewitter“ oft und gerne die Ouvertüre zu Rossinis „Wilhelm Tell“ | |
gespielt. Genau diese Musik konnte man vor ein paar Wochen bei den | |
Actionszenen auf einem rasenden Zug in dem Kinoflop des Jahres „Lone Rider“ | |
hören. | |
## Dagmar Fohl: „Palast der Schatten“, Gmeiner Verlag, 243 Seiten, 12,99 | |
Euro Premierenlesung mit Filmausschnitten: Hamburg, Speicherstadtmuseum, | |
Freitag, 20. 9., 19.30 Uhr; Weitere Lesung: Wentorf, Oxhoft Weinladen, | |
Donnerstag, 26. 9., 19.30 Uhr | |
18 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
## TAGS | |
Homophobie | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Regisseur „Fritz Lang“ als Filmfigur: Auch er ein Getriebener | |
Ein Regisseur auf der Suche nach Inspiration: Gordian Mauggs Spielfilm | |
„Fritz Lang“ ist visuell geschickt – dramaturgisch eher nicht. | |
Theater zu Homophobie: Das Publikum als Wegseher | |
Wie homophob sind wir eigentlich? Das fragt Falk Richter in „Small Town | |
Boy“, einer Recherche zu Freiheit und Sex, am Berliner Maxim Gorki Theater. |