# taz.de -- Stichworte für Sibylle Berg: „Alles meine Schuld!“ | |
> Schreiben war ihr nie ein Bedürfnis, sondern ein Handwerk, sagt Autorin | |
> Sibylle Berg. Besonders schön ist, dass sie im Bett arbeiten kann. | |
Bild: Im Bett kann man lesen – aber auch schreiben. | |
## Erste Erinnerungen | |
Eine Bahnschranke, die in Rangsdorf meinen Wohnort vom Dorf trennte und vor | |
der ich große Angst hatte, denn Bahnschrankengeklingel, Hupen, Sirenen, | |
kurz: jede Art von Krach ließen – und lassen mich bis heute – panisch | |
werden. | |
## Kindheit | |
Ich war eine Streberin. Was heißt war? Lesen, an die Wand starren und | |
wieder lesen. | |
## Mutter-Tochter-Beziehung | |
Gestört. | |
## Musik-Professoren | |
Gestört. | |
## Leben in der DDR | |
Ab ungefähr zwölf wurde es grau. Vielleicht ist es das Alter, da ich ein | |
Bewusstsein für die Welt außerhalb von mir entwickelte und mir klar wurde, | |
dass ich die nicht würde sehen können. | |
## Weimar | |
Eng. Klein. Provinz. Ist sicher heute vollkommen anders. | |
## Puppenspielerin | |
Verlegenheitslösung, weil ich noch nicht vom Bücherschreiben leben konnte | |
und nicht Ärztin geworden bin. Dummerweise. Das habe ich bis heute bereut. | |
Keinen Beruf gelernt zu haben, der wegen seiner Komplexität nur von wenigen | |
kritisierbar ist. | |
## Leben in der BRD | |
Am Anfang war das System sehr unbegreiflich. Ich kannte die Größe Geld | |
nicht. Wusste nicht, warum Frauen sich unbedingt emanzipieren wollten, und | |
auch nicht, warum so viele von ihnen nicht arbeiten gingen. Ich hatte keine | |
Bekannten und es war Winter. | |
## Autounfall | |
Shit happens. | |
## Schreiben | |
War mir von Anfang an nichts Metaphysisches, kein Bedürfnis, sondern ein | |
Handwerk, das ich unbedingt sehr gut lernen wollte, um einen Beruf zu | |
haben, in dem es keine Vorgesetzten gäbe und den ich vom Bett ausüben | |
könnte. | |
## Vorwurf: Zynismus | |
Es wird immer auch LeserInnen geben, die mit meiner Art des Realismus | |
nichts anfangen können und nach Erklärungen für die eigene Ratlosigkeit | |
suchen. | |
## Literarische Vorbilder | |
Immer wieder SchriftstellerInnen, die sich außerhalb der bequemen | |
Literaturreproduktion bewegen und etwas Eigenes versucht haben. Will Self, | |
Littell, waren die Letzten, die mich beeindruckt haben. Bücher so zu | |
schreiben, wie sie von der Kritik und vom geneigten Rotweintrinker | |
abgesegnet werden, finde ich tödlich langweilig. Man nennt das wohl | |
kanonaffines Schreiben. | |
## Schönster Satz | |
Das letzte Hemd hat keine Taschen. (Nicht von mir.) | |
## Literaturkritiker | |
Ambivalent. Viele Knallköppe, die eben nur dem Kanon folgen aus | |
Unfähigkeit, sich auf etwas anderes einzustellen und sich vielleicht damit | |
zu blamieren. Viele, die wirklich für Bücher leben, leider aber kaum mehr | |
Raum finden für ihre Arbeit. Die Guten unverzichtbar, um neue Anregungen zu | |
bekommen und den Leser durch den Dschungel von Liebes-, Fantasie- und | |
Vampirschrott zu führen. | |
## Zürich | |
Der Ort, an dem ich die längste Zeit meines Lebens bin. War vor hundert | |
Jahren so langsam wie ich. Heute ist es meine Heimat, weil ich fast alle | |
der Stammeinwohner kenne. Zu Hause ist, wo man Todesanzeigen liest. | |
## Deutschenfeindlichkeit | |
Interessantes Hobby. Ein bisschen so beknackt wie Israelkritiker. | |
## Asiatisches Essen | |
Die einzige Form der Nahrungszubereitung, die ich goutiere. Sagt man so? | |
## Das Bett | |
Arbeitsplatz, Empfangsraum für Menschen, frisch bezogen, weiß und | |
freundlich. | |
## „Romantik ist Bullshit“ | |
Wer hat das denn wohl gesagt? Romantik ist ein Wort, mit dem ich nichts | |
anfangen kann. Anderen Menschen soll es damit anders gehen. Sie lieben es, | |
Sonnenuntergänge zu beobachten und Rosenblätter zu verstreuen. Aber | |
vielleicht habe ich auch nur andere romantische Schlüsselreize. Mich rührt | |
es sehr, freundliche Menschen zu treffen, die kein Geld erwarten. | |
## Liebe | |
Ist für mich der Schlüssel für ein sinnvolles Leben. Ich existiere nur | |
gerne durch Menschen, die ich lieben kann und die mich hoffentlich mögen. | |
## Erotik | |
Siehe Romantik. | |
## Sex | |
Siehe Erotik. | |
## Schönheit | |
Ich liebe schöne Häuser und Möbel. Ich fahre mitunter sehr weit, nur um ein | |
schönes Gebäude zu besuchen, erfreuliches Design und Architektur machen | |
mich glücklich. | |
## Körperpolitik | |
Was mag das wohl sein? Ein Zellenportfolio? Ein Körper muss gewaschen sein | |
und nichts sollte aus ihm raushängen. Für den Rest wurde Kleidung erfunden. | |
## Männer | |
Viele Idioten. Einige reizende. | |
## Frauen | |
Viele Idiotinnen. Einige reizende. | |
## Seitensprung | |
Unakzeptabler Schwachsinn, solange man eine gesunde Hand hat. | |
## Prostitution | |
Auch auf die Gefahr hin, dass wieder einige selbstbestimmte | |
SexarbeiterInnen mich hassen: falsch. Hat heute fast immer mit | |
Menschenhandel und Ausbeutung sozial Schwacher zu tun. Denjenigen, die | |
vollkommen freiwillig ohne jede psychische oder materielle Not ihren Körper | |
verkaufen wollen, sei der Spaß gegönnt. Es ist nicht normal und darf es nie | |
sein, dass ein Geschlecht, und meist kaufen Männer sich Frauen, das andere | |
gegen Geld benutzt. Langes Thema. | |
## Feminismus | |
Nur ein anderes Wort für die Notwendigkeit der gleichen Bedingungen für | |
alle. | |
## Alice Schwarzer | |
War immer schon da. | |
## Angela Merkel | |
Die Freude, eine weibliche Kanzlerin zu haben, wird nachhaltig durch die | |
Agenda ihrer verstörenden Partei zunichte gemacht. | |
## Kapitalismus | |
In der Form, wie er jetzt herrscht, vollkommen veraltet. Sozialismus und | |
Kapitalismus sind nicht mehr zeitgemäß. Vielleicht wäre so etwas wie ein | |
regulierter Kapitalismus eine Zwischenlösung. Auf dem Weg wohin weiß ich | |
aber auch nicht. | |
## Geld | |
Hatte ewig lange gar keins. Dann ganz in Ordnung. Jetzt wieder keins. Haben | |
ist angenehmer. | |
## Macht | |
Vollkommen uninteressant, solange keiner Macht über mich hat. | |
## Gewalt | |
Das Einzige, wovor ich mich wirklich fürchte. Aggressivität und Gewalt. Ich | |
habe sehr lange Kung Fu gelernt, um ihr eventuell begegnen zu können. | |
Gewalt ekelt mich an. | |
## Luxus | |
Für mich: ein Haus mit einem Pool, von Lautner gebaut, in den Hügeln von | |
Los Angeles. Das wird wohl nichts mehr. | |
## Utopien | |
Ich bin immer wieder begeistert über Menschen, die Utopien haben und die | |
geistige Kapazität, sie umzusetzen. Mit der gleichen Geschwindigkeit, in | |
der Menschen die Erde ruinieren, entwickeln andere Gegenmaßnahmen. Das ist | |
doch großartig. Utopien sind der Motor zu wunderbaren Leistungen. Einer | |
Kunst, einem lebenswerten Planeten, medizinischem Fortschritt, schönen | |
Häusern. Ja. Utopien sind das Ding. | |
## Die Ehe | |
Jeder sollte den heiraten können, den er liebt, ohne eine Diskussion | |
darüber, ob die Ehe zeitgemäß ist, sinnvoll oder vollkommen bescheuert. | |
## Tel Aviv | |
Zweite Heimat. | |
## Heimat | |
Erste Heimat Schweiz. | |
## Träume | |
Nachts träume ich mitunter so langweiliges Zeug (ich ziehe mir einen | |
Pullover an, zum Beispiel), dass ich oft im Traum denke: Warum bin ich nur | |
so langweilig? | |
## Sehnsucht | |
Habe ich nur nach Orten und Häusern. Die Menschen, die mich sehnsüchtig | |
werden lassen könnten, habe ich alle erreichbar um mich versammelt. | |
## Ängste | |
Gewalt. Wir sprachen darüber. Geliebte Menschen zu verlieren. Und bimmelnde | |
Bahnschranken. | |
## Geheimnisse | |
Ja, die erzähl ich jetzt alle hier im Kreise meiner lieben Leser … | |
## Feinde | |
Ich habe keine Feinde, die ich kenne. Abstrakte Feinde. Nachrichtenfeinde. | |
Aggressive, dumme Menschen. Leute, die ihre Sterblichkeit nicht begriffen | |
haben. Oder ob mich Menschen zur Feindin haben? Keine Ahnung. Ich treffe | |
sie nicht. | |
## Glück | |
Soll mir mal keiner sagen, dass es das nicht gibt. Zusammentreffen von | |
richtiger Zeit und richtigem Moment. Sicher gibt es das. Nach fünfzig | |
Ablehnungen der eine Lektor, der mein erstes Buch herausgebracht hat. | |
Sicher war das Glück. Sonst würde ich heute noch Autovermietungen putzen | |
oder Laster fahren. | |
## Hoffnungen | |
Dass alles so bleibt, wie es ist. Für mich. Dass es klüger wird. Für die | |
Welt. | |
## Lebensmotto | |
Alles meine Schuld! | |
## Alter | |
Scheiß der Hund drauf! | |
## Glauben | |
An mich und ein paar Freunde. | |
## Gott | |
Ich falle um. | |
11 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Alem Grabovac | |
## TAGS | |
Alltag | |
Literatur | |
Sibylle Berg | |
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