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# taz.de -- Utopie-Theater: In König Herberts Reich
> In drei Produktionen widmet sich das LOT-Theater den "Alltagsutopien für
> das Braunschweiger Land". Eine davon ist die Geschichte vom
> frühverrenteten König Herbert.
Bild: Scheitert schlussendlich an VW: König Herbert in "Der König bittet zum …
Brome ist ein kleiner Flecken im Braunschweiger Land und zählt rund 2.700
Einwohner. Hier lebt Herbert Tietze, von VW frühverrentet, nach dem Tod
seiner Frau ist das Leben vollends unausgefüllt. Am stillen Örtchen
vermeint Tietze nun eines Tages den Auftrag zu erhalten, sich als König von
Braunschweig der Sache doch einmal anzunehmen. Culotten und Barockperücke
trägt er praktischerweise ohnehin schon, so wie die drei weiteren
Protagonisten des Theaterstückes „Der König bittet zum Tanz“. Die
bildreiche Geschichte um Herbert Tietze, nun König Herbert, ist eine von
drei Produktionen, die im Rahmen der Reihe „Auf Probe – Alltagsutopien für
das Braunschweiger Land“ im LOT-Theater Braunschweig und in Salzgitter
aufgeführt werden.
Im letzten Sommer startete zur Vorbereitung der Stimmungsbilder zu
Braunschweigs Zukunft eine groß angelegte Ideenrecherche unter den Bürgern
in der Stadt und im Umland. Ansonsten ja nicht mit Instrumenten
plebiszitärer Demokratie verwöhnt, durften sie nun einmal Wunschbilder zum
guten Leben in der Region beisteuern. Das Institut für Transportation
Design der ansässigen Hochschule für bildende Künste füllte damit seine
Szenarienkoffer. Sechs vorausgewählte Theater- und Performanceaktivisten
wurden mit diesen Visionen sowie wissenschaftlichen Recherchen versorgt, in
Workshops wurde die Tauglichkeit für szenische Operationen geprüft.
Ein neuerlicher Jurierungsdurchgang wählte dann zum Jahresende die drei
erfolgversprechendsten Kandidaten für die Produktion aus. Neben dem Team um
den Hamburger Gero Vierhuff mit dem Stück „Der König bittet zum Tanz“ sind
dies die Fräulein Wunder AG aus Hannover und ihre „Konferenz der Utopisten“
sowie die Braunschweiger Stefanie Bischoff und Christian Weiß mit „Ich sehe
was, was Du nicht siehst“, einem einem Audiowalk durch Salzgitter.
Das Theater als alternativer Zugriff auf die Wirklichkeit darf eine ganze
Menge, ernst gemeint sein muss da schon gar nichts. Wenn’s spaßig wird,
kann das Publikum auch eine Menge Halbgares vertragen. Und so ist „Der
König bittet zum Tanz“ vor allem eine leichte Klamotte. Als erste
Staatsreise in sein neues Reich unternimmt König Herbert einen Ausflug ins
nahe Gifhorn. Der Ort ist mittlerweile so ausgestorben, dass selbst der
Totengräber nicht mehr weiß, wie er einmal unter die Erde kommen soll.
Dies ist die erschreckende Ausgangslage, die als demografische Entwicklung
in sorgenschweren Gutachten immer wieder beschrieben sein mag, zu den
Fakten wirtschaftlicher Prognosen der Region derzeit aber konträr läuft.
Denn rund um Wolfsburg boomt es momentan, VW sei Dank, und auch die
Bevölkerungszahl legt leicht zu. Allerdings birgt dieses Wirtschaftsmonopol
Segen und Fluch gleichermaßen. Als König Herberts historisches Käfer-Cabrio
auf der Fahrt nach Wolfsburg streikt, ist man in der Autostadt nicht mehr
in der Lage, das Gefährt zu reparieren, will mit Neuwagen und billigen
Leasingverträgen auftrumpfen. Denn: „Ich (VW) bin alles, was Du brauchst“ …
tönt es dazu aus den Boxen. Diese einfache Chiffre für die Region – als
Szenenbild wird das sich langsam aus weißer Körnung verfestigende VW-Logo
auf den Hintergrund projiziert – ist vielleicht die plakativste und
beherzteste der gut einstündigen Aufführung.
An der alles beherrschenden Kultur des Totalkonsums scheitert König Herbert
schlussendlich, selbst wenn er den Drachen „Mammon Geld“ noch zu töten
versteht. Es bleiben ihm der Rückzug in die mit literarischen Oden
verklärte Natur, etwa auf den Brocken. Sollte somit die Dystopie für die
Braunschweiger Lande überwiegen? Wenn ja, dann hätte sie immerhin
unterhaltsame Qualitäten, und der strauchelnde König tritt bei Weitem
weniger despotisch auf als manch lokaler Oberbürgermeister. Schön sind die
süffigen theatralischen Mittel, etwa die minimalistische Bühne mit
Toiletten-Thron, die einfachen, teils analogen Projektionen im Hintergrund,
die prägnanten musikalischen Akzente und die vier gleichwertigen
Schauspieler, die im Wechsel König Herbert geben.
Die Teilnehmer des zweistündigen Hör-Rundgangs in Salzgitter hingegen
sollen unter der Obhut von Stefanie Bischoff und Christian Weiß weniger mit
ihrer Zukunft zaudern. Und dass, obwohl die beiden gebürtigen
Salzgitteraner in der Stadt ihrer eigenen Kindheit alles andere als eine
positive Entwicklung registrieren. Sie verabschiedeten sich für ihre
Produktion von dem szenischen Modell einer Fiktion mit Protagonisten,
nehmen ihr Publikum, das sie nun zum Akteur ermächtigen, lieber mit auf den
Weg in eine unbekannte Welt inmitten ihres normalen Alltags. Über
Funkkopfhörer werden dazu Klänge, Stimmen, akustische Effekte eingespielt.
So entstehen räumliche Ereignisse und leichte Verschiebungen der
Wahrnehmung zwischen Rathaus, Fußgängerzone und Dorfresten. Denn Utopien
entstehen ja zu allererst in den Köpfen der Menschen. Das Publikum dankt
es, versteht die Aufforderung, besser selber aktiv zu werden als zu viel
auf die Politik zu vertrauen.
Als dritte Produktion startet zum November die „Konferenz der Utopisten“.
Reicht es schon, selbst Gemüse anzubauen? Wie steht es um Teilhabe und
Gerechtigkeit? Wissen wir vielleicht alle schon mehr über die Zukunft, als
wir ahnen. Diese Fragen harren der Antwort.
Nun ist es aber ja so eine Sache mit den Utopien als Lösung von Problemen.
Denn sie schaffen lediglich neue. Wir müssten also lernen, mit unseren
unlösbaren Problemen sinnvoll umzugehen.
## „Ich sehe was, was Du nicht siehst“: 16. bis 18. Oktober, 17 Uhr
Treffpunkt: Ladengeschäft Kleine Zukunft, Albert-Schweitzer-Str. 48,
Salzgitter-Lebenstedt
## „Der König bittet zum Tanz“: 1. bis 3. November, 20 Uhr, Braunschweig,
LOT-Theater
## „Konferenz der Utopisten“: 8./9. und 14. bis 16. November, 20 Uhr,
LOT-Theater
13 Oct 2013
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
## TAGS
Braunschweig
Woyzeck
Musik
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