# taz.de -- Gendoping im Sport: Von Mäusen und Muskeln | |
> Muskelwachstum lässt sich gentechnisch beeinflussen. Was in Laboren zum | |
> Patientenwohl erforscht wird, beobachtet das Sportbusiness mit großem | |
> Interesse. | |
Bild: Schön ist das nicht. | |
BERLIN taz | Gentherapeutische Verfahren könnten bald den Leistungssport | |
dramatisch verändern. 239 Gene, die direkten Einfluss auf sportliche | |
Leistungen haben, sind bereits identifiziert. An einigen wird aktiv | |
geforscht. Weil es vom Gebrauch medizinischer Erkenntnisse zu deren | |
Missbrauch im Sport oft nur ein kleiner Schritt ist, andererseits aber der | |
Weg von den Forschungslaboren hin zu den Apotheken noch weit erscheint, | |
schwankt die Beurteilung zwischen Alarmismus und Abwinken. | |
Gewaltig sehen sie aus, die Weißblauen Belgier. Nicht nur Sixpacks, ganze | |
Bierkästen zeichnen sich an Rücken und Hinterbacken ab. Sie stellen locker | |
jene Muskelpakete, die der mit Stanozolol überführte kanadische | |
Supersprinter Ben Johnson über die Tartanbahnen spazieren führte, in den | |
Schatten. | |
Die Weißblauen Belgier sind eine Rinderrasse mit etwa 20 bis 30 Prozent | |
mehr Muskelmasse als andere Rinder. Bei den auch als „Bodybilderkühen“ | |
bezeichneten Tieren, die als Kälber der Muskelmasse wegen meist nur per | |
Kaiserschnitt auf die Welt gebracht werden konnten, ist ein Gen, das für | |
die Produktion des Proteins Myostatin verantwortlich ist, durch eine | |
Mutation verändert. | |
Myostatin wiederum hemmt die Entwicklung des Muskelwachstums. Das wussten | |
die Bauern nicht, als sie vor etwa 200 Jahren die Weißblauen Belgier durch | |
Kreuzungen einheimischer Rinder mit den englischen Shorthorns züchteten. | |
Die Funktionsweise von Myostatin wurde erst 1997 von Se-Jin Lee und | |
Alexandra McPherron, zwei Wissenschaftlern der Johns-Hopkins-Universität, | |
aufgedeckt. | |
## Die Supernager | |
„Potenziell dramatische Effekte“ gegen Krankheiten wie ALS, Diabetes und | |
Fettleibigkeit versprach sich Lee von seiner Entdeckung – und begann an | |
Mäusen die DNS entsprechend zu verändern. Die Bilder seiner als | |
„Knock-out“-Mäuse bekannt gewordenen Supernager gingen etwa zum gleichen | |
Zeitpunkt um die Welt wie die Fotos eines im Jahr 2000 in Berlin geborenen | |
Kindes, bei dem ein genetischer Myostatindefekt ebenfalls zu | |
überdurchschnittlicher Muskelbildung führte. | |
Trotz des Zuchterfolgs bei Rindern, Mäusen und zuletzt Schafen sowie des | |
Nachweises der Mutation beim Menschen, ist an eine medizinische Nutzung | |
dieses Effekts gegenwärtig noch nicht zu denken. Die Entwicklung des | |
Myostatinblockers MYO-029, Handelsname Stamulumab, wurde vom Pharmariesen | |
Wyeth nach Versuchen an insgesamt 116 Personen im März 2008 eingestellt, | |
weil sich die erhofften Muskelzuwächse und Fettabbaueffekte nicht | |
einstellten. | |
Streng genommen handelt es sich bei den Myostatinhemmern noch nicht einmal | |
um Technologien, deren Missbrauch als Gendoping zu fassen wäre. Die gültige | |
Definition der Welt-Anti-Dopingagentur benennt nur das aktive Einbringen | |
von genetischem Material (DNS oder RNS) in eine Zelle oder von Zellen | |
selbst, die ihrerseits normal oder (gentechnisch) manipuliert sein können. | |
## Unsaubere Definition | |
Das weist aber auch Unschärfen auf. Gemeines Blutdoping, also die | |
Retransfusion von eigenem Blut oder das Einbringen von Fremdblut, wäre dann | |
ebenfalls Gendoping. Und der Ausschluss von Medikamenten, die gezielt die | |
Wirkungsweise eines Gens angreifen, lässt vergessen, dass solche Präparate | |
erst mit dem Wissen um die genetischen Informationsketten überhaupt denkbar | |
geworden sind. | |
Letztere funktionieren folgendermaßen: Wird im Körper ein bestimmter | |
Mangelzustand registriert, liest ein Enzym, das Gen, das diesen | |
Mangelzustand beheben kann, von der im Zellkern befindlichen DNS ab. Diese | |
Information verlässt den Zellkern und führt sie über einen Übersetzer, ein | |
Ribosom, in die Produktion eines Hormons über. Das regt dann die | |
gewünschten Effekte im Organismus an, im Falle des Erythropoietins – das | |
als Blutdopingmittel Epo Berühmtheit erlangt hat – die Blutbildung. | |
Gendoping im engeren Sinne setzt bei der direkten Manipulation von DNS und | |
RNS an. | |
Eine im Februar 2011 von iranischen Sportwissenschaftlern verfasste | |
Übersichtsstudie geht von insgesamt 239 sogenannten Fitnessgenen aus, die | |
die körperliche Leistungsfähigkeit direkt beeinflussen. In erster Linie | |
handelt es sich um Gene, die das Muskelwachstum stimulieren, Fett abbauen, | |
die Sauerstoffaufnahme des Bluts, aber auch die Bildung neuer Blutgefäße | |
fördern und für Erholungseffekte verantwortlich sind. | |
Eine Ende letzten Jahres von Wissenschaftlern des Utrecht Institute for | |
Pharmaceutical Sciences veröffentlichte Studie identifizierte zehn | |
Makromoleküle als "besonders interessant" für Gendopingverfahren. Darunter | |
befinden sich das oben beschriebene Myostatin, neuere Substanzen wie | |
PPAR-Rezeptoren - bekannt durch das bereits zu Dopingzwecken eingesetzte | |
Präparat GW1516 – und das Enzym PEPCK-C. Wissenschaftler der Universität | |
Cleveland veränderten die DNS von – erneut – Mäusen derart, dass dieses | |
Enzym vermehrt produziert wird. Diese „mighty mice“ titulierten Tiere | |
rannten nicht nur wesentlich länger als Vergleichstiere, sie wurden auch | |
wesentlich älter. | |
## | |
Aber auch altbekannte Dopingsubstanzen wie Epo, Wachstumshormon und IGF-1 | |
(allesamt angewandt vom spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuentes) wurden von | |
den Utrechter Forschern als besonders interessant für Gendopingzwecke | |
bezeichnet. Angesichts der derzeit recht stabilen Nachweisverfahren für die | |
Einnahme des synthetisch hergestellten Blutbildungshormons Erythropoietin | |
(Epo), die dopende Athleten zum Kompromiss der Minidosierung gezwungen | |
haben, dürfte der Einbau von Genen, die im Körper die Epo-Produktion | |
anregen, auf heftige Nachfrage stoßen. | |
Über den Nachweis von Gendoping-Verfahren lassen sich gegenwärtig nur | |
unsichere Aussagen treffen. Zwar vermeldete der Mainzer | |
Sportwissenschaftler Perikles Simon letztes Jahr im Deutschen Ärzteblatt, | |
dass sich etwa ein verändertes Epo-Gen durch die nicht kodierenden | |
Bestandteile der Erbinformation, sogenannte Introns, identifizieren lasse. | |
Er bezifferte die Nachweiszeit für solche Introns allerdings auf 56 Tage | |
bis maximal ein Jahr. | |
Wenn man sich nur einmal einen modifizierten Genabschnitt zuführen muss, um | |
Leistungsvorteile zu erlangen, könnten skrupellose Betreuer und Ärzte auf | |
die Idee kommen, an einem jungen Sportler rechtzeitig vor Eintritt in das | |
Dopingkontrollsystem diese Manipulation vorzunehmen. Nichts scheint so | |
unsicher wie die Zukunft. | |
23 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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