# taz.de -- Weihnachten als Gegenstand der Kunst: Rieselnde Rituale | |
> Serielle Schoko-Nikoläuse und Monologe über den optimalen Kaufzeitpunkt. | |
> Der Kunstverein Hannover beschäftigt sich mit dem anstehenden Fest. | |
Bild: Von der Kunst geadelter Kitsch: Hütte mit üpppiger Weihnachtsbeleuchtun… | |
HANNOVER taz | Ob sie schon vor dem ersten Advent Weihnachtssongs im | |
Radioprogramm wünschen, ließ der Norddeutsche Rundfunk einige Tage lang | |
seine Hörer abstimmen – eine deutliche Mehrheit wünschte. Der Einzelhandel | |
geht ohnehin schon lange voraus: Gefühlt seit Ende August liegen Zimtstern, | |
Printe und Dominostein in den Regalen. | |
Ja, Weihnachten ist längst ein Konsumevent: Durchschnittlich 591 Euro ließ | |
sich im vergangenen Jahr ein EU-Haushalt die Festtage kosten. Für die | |
Deutschen schlug Weihnachten im vergangenen Jahr nur mit 485 Euro zu Buche, | |
wegen der günstigen Lebensmittelpreise hierzulande. „Satte 400 Euro“, | |
referierte wiederum schon im Oktober „Focus online“ die Ergebnisse einer | |
Studie, wolle jeder Deutsche in diesem Jahr für Geschenke ausgeben. | |
Mit genügsam-christlicher Nächstenliebe scheint es zum Geburtsfest des | |
Heilands nicht weit her zu sein. Das mag den Kunstverein Hannover bewogen | |
haben, einmal Ritualen und Repräsentationsformen rund um das Weihnachtsfest | |
nachzuspüren – mit allerlei nicht ganz ernst gemeinten künstlerischen | |
Äußerungen. | |
Zumal Kunstschaffenden ja der Nimbus einer gewissen Religionsfremde | |
anhaftet. Das Ganze deklariert man nun aber nicht als Ausstellung, sondern | |
als „Weihnachtsshow“: Der Konsum soll nicht ausgeblendet werden – und sei… | |
jener der hauseigenen Editionen, dargeboten gleich im ersten Raum. | |
Von den Qualen, das richtige Produkt zu erwerben, erzählt dann, im zweiten | |
Raum, das Video von Stefan Panhans: Der Hannoveraner lässt seinen | |
Protagonisten mit unbewegter Miene in einem eindringlichen, rasend | |
schnellen Monolog Verheißungen, Tücken und optimalen Kaufzeitpunkt eines | |
beliebigen Elektronikteiles vortragen. | |
Der Konsument muss sich in derartigen persönlichen Krisensituationen | |
offenbar zum wachsamen Jäger entwickeln. Um welches Produkt es eigentlich | |
geht, bekommt der Zuschauer nicht recht mit, rieselnde Schneeflocken | |
versinnbildlichen aber den Konsumstress zu Weihnachten. | |
Der ebenfalls in Hannover lebende Dieter Froelich widmet sich dem | |
bekanntesten Weihnachtsakteur: dem Nikolaus aus Schokolade. Zwölf | |
unterschiedlichen Exemplaren hat er mittels Steckbrieffotos erfasst, | |
verleiht der Allerweltsfigur ungeahnt individualisierte Züge. In einer | |
weiteren Arbeit dann ist eine durch Dauerwerbung schon ikonische | |
Schokofigur zwölffach zum Wachsabdruck transformiert. Nun verwischt das | |
dunkle Blau des Materials seine offensichtliche Identität. | |
In seiner Collage zum englischen Christmas Pudding versteigt sich Froelich | |
gar in anthroposophische Gefilde: Rudolf Steiner nämlich erkor einst mit | |
schöner Skizze die Gugelhupfform des Puddings zur formalen Referenz für | |
sein Goetheanum im schweizerischen Dornach. An der Wand gegenüber lässt nun | |
in Hannover Dieter Roth, der ebenfalls gerne mit Lebensmitteln gearbeitet | |
hat, einen Schoko-Weihnachtsmann sowie einen Osterhasen in stiller | |
Schicksalsgemeinschaft zu apartem Schlierenwerk verwesen. | |
Ein beliebtes Motiv künstlerischer Persiflage ist natürlich auch der | |
Tannenbaum. Das heidnische Grünzeug hielt mit der Reformation in der | |
evangelischen Glaubensgemeinschaft Einzug, in Norddeutschland soll ihm bis | |
ins 19. Jahrhundert hinein zudem eine Erziehungsaufgabe zur Verdammnis der | |
verbotenen Erkenntnis zugefallen sein: Er wurde mit Eva nebst Schlange aus | |
Back- oder Schnitzwerk dekoriert. Rote Äpfel oder Kugeln mögen so noch als | |
Nachhall des inkriminierten Sündenfalls gedeutet werden. | |
Den Polen Roman Signer ficht derartige Ikonografie nicht an: Er unternimmt | |
verschiedene Wurfexperimente, die Fichte erhält kurzerhand eine metallische | |
Speerspitze und wird auch ähnlich sportiv gehandhabt. Festgehalten sind | |
Signers geglückte ballistische Versuche in einem Video. | |
Und wer sagt eigentlich, dass ein Tannenbaum immer mit der Spitze nach oben | |
aufgestellt werden muss? In den USA soll es längst gebräuchlich sein, ihn | |
mit der Spitze nach unten von der Decke abzuhängen: Das schafft Platz für | |
umso üppigeres Gabenarrangement! Mariusz Mandan, ebenfalls aus Polen, | |
ersann nun die Variante einer horizontal schwebenden Fichte, ein Raumschiff | |
mit Lametta und Kugelschmuck. | |
Daneben ist als partizipative Sensation Hannovers der größte Christbaum aus | |
PET-Flaschen zu sehen: Ein Online-Aufruf nach grünen und blauen Flaschen | |
bescherte dem Kunstverein eine große Lieferung – aus dem bayerischen | |
Kempten. So darf lokales Material gerne noch nachgereicht werden. | |
Nach solchen eher lästerlichen Artefakten verfängt man sich dann in der | |
Fotoserie von Nicolas Hallbaum. Er dokumentierte für einige Jahre | |
ausrangierte Weihnachtsbäume, die auf den Straßen Hannovers der Abfuhr | |
harren. Mit erstaunlichem Sinn fürs Detail werden die ehemals guten Stücke | |
verpackt, erhalten einen Witterungsschutz, gar wärmende | |
Schaumstoffmattierung. Und werden zu autonomen Skulpturen, die mehr | |
preisgeben, als ihre Besitzer ahnen dürften. Alle Nächstenliebe, so scheint | |
es, konzentriert sich nun in dieser absurden Ersatzhandlung – wenn | |
Weihnachten vorbei ist. | |
## ■ „Hängt hoch den Baum. Die Weihnachtsshow“: bis 1. Januar 2014, | |
Kunstverein Hannover | |
30 Nov 2013 | |
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