| # taz.de -- Nix wie hin: „Wir bilden dörfliche Gemeinschaften“ | |
| > Stadtsoziologe Jens Dangschat über die Attraktivität von Altbauvierteln | |
| > wie Hamburg-Ottensen und den Preisverferfall in den Randbezirken. | |
| Bild: Wohlfühl-Ambiente: Der begehrte Hamburger Stadtteil Ottensen. | |
| taz: Herr Dangschat, ist der Mensch ein Herdentier? | |
| Jens Dangschat: Ein Herdentier würde ich nicht sagen. Aber es gibt gewisse | |
| Routinen, Vorgaben und Moden, was man heute so tut. Die Menschen ziehen | |
| jetzt auch nicht in Scharen in die Stadt. Es ist eher so, dass die Menschen | |
| einfach in der Stadt bleiben. | |
| Die Mieten steigen also, weil sich die Leute in bestimmten Vierteln stauen? | |
| Vor 30 bis 40 Jahren sind einfach sehr viele, die es sich leisten konnten, | |
| an den Stadtrand oder ins Umland gezogen, um dort ein Einfamilienhaus zu | |
| bauen. Das war ein klassisches Erfolgsmodell für den sozialen Aufstieg. Der | |
| Kinder und der Eigentumsbildung wegen ist man aus der Stadt rausgegangen. | |
| Die Städte waren damals auch viel weniger attraktiv als heute. Sie waren | |
| viel stärker verkehrsbelastet, es gab viel weniger Möglichkeiten draußen zu | |
| sitzen. Eigentumsbildung ist zudem heutzutage wenig attraktiv, weil man ja | |
| gar nicht weiß, wo man in fünf Jahren arbeiten wird. | |
| Warum zieht es denn immer diese Szenetypen in entsprechende Viertel? Sucht | |
| man so sehr seinesgleichen? | |
| Es ist ein Trend, dass innerhalb der Stadt immer mehr dörfliche | |
| Gemeinschaften gebildet werden. Das sind Wertegemeinschaften, da wir | |
| aufgrund der gesellschaftlichen Vielfalt ja alle überfordert sind. Das wird | |
| meist wenig thematisiert, weil wir uns für sehr tolerant halten. | |
| Sie meinen, man macht sich eigentlich nur was vor? | |
| Wenn es um internationale Zuwanderung und Migration geht, wird das ganz | |
| anders diskutiert. Aber wir wollen nicht mit Nachbarn zusammen sein, die | |
| zum Beispiel andere Vorstellungen über die Kindererziehung haben, mit | |
| Rollenerwartungen an die Frauen anders umgehen oder eine Partei wählen, die | |
| am anderen Ende des Spektrums ist. Das heißt, die Menschen ziehen sich | |
| lieber in ihre Wohnumfelder zurück, die sie ein Stück weit nach ihren | |
| Wertvorstellungen gestalten können. | |
| War das schon immer so? | |
| Nein, früher hing es vor allem vom Geld, vom Eigentum und der | |
| Mietzahlungsfähigkeit ab. Wenn man zudem noch Familie hatte, wohnte man | |
| kindgerecht. Heute gibt es in gründerzeitlichen Vierteln der Städte Kinder | |
| von späten Eltern, was früher unüblich war. | |
| Ist dieses Modell vom innenstadtnahen Wohnen alternativlos geworden? | |
| Wenn es früher das Geld und die Familie waren, ist es heute auch eine Frage | |
| von Wertvorstellungen. Wenn ich innenstadtnah wohne, brauche ich zum | |
| Beispiel kein Auto. Es ist allerdings wenig erforscht, inwieweit das an | |
| Zwängen, wie einem geringen Einkommen, liegt oder ob das reine | |
| Wertvorstellungen sind, die etwas mit Umweltschutz zu tun haben. | |
| Was bedeutet das konkret? | |
| Wenn ich im Umland wohne, brauche ich zwei Autos. Die Frau ist Mutter und | |
| fährt die Kinder durch die Gegend und der Mann staut sich zur Arbeit und | |
| zurück. | |
| Unsere Wertvorstellungen lassen uns also in die Städte wandern? | |
| Die Wanderung findet schon dann statt, wenn die jungen Menschen mit ihrer | |
| Schule fertig sind. Und in die Stadt ziehen, um dort zu studieren. Wenn sie | |
| nicht studieren, dann gehen sie da hin, weil dort die Arbeitsplätze sind. | |
| Aber auch die internationale Zuwanderung richtet sich auf die Städte, da | |
| sind auch die kritischen Massen. | |
| Inwiefern? | |
| Da findet man Netzwerke, an die man andocken kann – und es gibt die | |
| Arbeitsplätze. | |
| Aber nach Berlin gehen die Leute doch meist nicht wegen der Arbeitsplätze. | |
| Berlin ist sicherlich eine Ausnahme, weil es dort viele Nischen gibt. Nach | |
| Westberlin sind früher schon die Aussteiger gegangen, denn da konnte man | |
| vor dem Wehrdienst fliehen. Weil dort so viel Raum anzueignen war, hat sich | |
| eine ganz andere Kultur entwickelt. | |
| Warum wird dieser Sog in die Großstädte in der Gentrifizierungsdebatte | |
| eigentlich so wenig hinterfragt, die Auswirkung aber in allen Facetten | |
| beleuchtet? | |
| Naja, Berlin ist was anderes als Münster, ohne Münster jetzt zu nahetreten | |
| zu wollen. Orte wie Berlin haben eine höhere Freizeitmöglichkeit und ganz | |
| andere Szenen. Die Lebensqualitäten sind für junge Leute viel höher, | |
| solange sie es hinkriegen, eine Wohnung zu finden. Das ist der spannende | |
| Punkt. Auch die Debatte um die Esso-Häuser in Hamburg ist eine, die in | |
| diese Richtung geht, wobei da noch die Kritik an den Eigentümern dazu | |
| kommt. | |
| Wohin wird das führen? Sehen Sie irgendeine Gegenbewegung zum heutigen | |
| Urbanisierungsschub? | |
| Für mich gibt es da gar keinen Bruch des Trends, dass die Menschen in die | |
| Innenstadt wollen. Ganz im Gegenteil. Suburbia wird immer mehr als ein sehr | |
| schlechter Standort wahrgenommen. Es gibt Randbereiche der Stadt, in denen | |
| die Preise verfallen, weil es kein Interesse mehr gibt. Die Gelegenheiten, | |
| irgendwelche Leute zu treffen, ist innenstadtnah nun mal am größten. Und | |
| das sind nun mal für viele junge Milieus die Orte, wo man ist – auch wenn | |
| man die Angebote vielleicht gar nicht nutzt. | |
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| 20 Dec 2013 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lena Kaiser | |
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| Hamburg | |
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