# taz.de -- Buchhalter Pätzold über das Bilanz ziehen: „Der Zwang führt zu… | |
> Die wenigsten lieben es, Bilanz zu ziehen. Doch es tut gut. Sagt einer, | |
> der schon viele Bilanzen gezogen hat – der Buchhalter Detlef Pätzold, | |
Bild: Lässt in der letzten Woche das Jahr noch einmal vor sich ablaufen: Buchh… | |
Detlef Pätzold ist in gewisser Weise Teil der taz.nord, er hat sein Büro im | |
selben Haus wie die Redaktion. Man hört ihn oft im Nachbarzimmer lachen, er | |
hat eine Heiterkeit und Redefreude, die dem Klischee des Buchhalters nicht | |
entspricht. Viele gute Gründe also, ihn zum Wesen der Bilanz zu befragen. | |
taz: Ist Bilanz zu ziehen etwas Wohltuendes, Detlef? | |
Detlef Pätzold: Wenn es eine gute ist, macht es richtig Spaß. Aber es ist | |
immer eine schwierige Geburt. | |
Warum? | |
Du willst zwei unterschiedliche Dinge unter einen Hut bringen. Der Bank | |
willst du erzählen, dass du ganz viel Geld verdienst, jeden Kredit | |
zurückzahlen kannst, und dem Finanzamt willst du erzählen, dass du am | |
Hungertuch nagst. Und wenn es Mitgesellschafter gibt und du ihnen | |
vielleicht etwas ausschütten musst, willst du ihnen auch etwas vorjammern – | |
aber nicht so viel, dass sie auf die Idee kommen, den Laden zu verkaufen. | |
Das wirft kein so schönes Licht auf das Wesen deiner Klienten. | |
Das kann ja auch positiv sein: Man will das Geschäft erhalten. Es gibt | |
unterschiedliche Interessen, das liegt in der Natur der Sache. | |
Stößt du als Buchhalter auf die Nachtseiten der menschlichen Natur? | |
Nein. Eher auf die Kreativität, wenn die Leute sich Gedanken machen, wie | |
sie diese Ziele erreichen können. | |
Zuletzt hat sich die HSH Nordbank Gedanken darüber gemacht. | |
Die waren sehr kreativ, haben viele tolle Geschäfte gemacht. | |
Zurück zur Bilanz: Was ist das Schöne daran? | |
Ich finde gut daran, alles einmal auf einen Punkt zu bringen. Auch den | |
Zwang dazu. Er führt auch zu Entscheidungen. Gerade wenn es unangenehm ist, | |
schiebt man die Dinge gern vor sich her. Einige geben die Bilanz ab, wenn | |
die Dinge gut laufen und wenn sie schlecht ist, blenden sie es aus. | |
Ist der Zeitpunkt der Bilanz für Unternehmer nicht von außen vorgegeben? | |
Man hat Gestaltungsspielraum. Die kaufmännisch geprägten Menschen kennen, | |
wenn sie kein Weihnachtsgeschäft haben, im September das Jahresergebnis. | |
Ich habe einmal in einem großen Konzern gearbeitet, der seine Bilanz schon | |
am 29. 12. fertig hatte und sie am 2. oder 3. Januar veröffentlichte. | |
Und die nicht kaufmännisch Geprägten? | |
Die geben den Schuhkarton zum Steuerberater, der ihn auch ungern anfasst, | |
weil er Unheil ahnt. | |
Welcher Art? | |
Da kommen böse Zahlen raus und der Mandant ist ärgerlich und sagt: „Das | |
kann nicht stimmen, da haben Sie sich verrechnet.“ Die menschliche | |
Vorstellung ist oft etwas anderes als das, was die Zahlen hergeben. | |
Insbesondere, wenn man kein kaufmännisches Gefühl hat. Diese Unternehmer | |
können trotzdem erfolgreich sein. Sie haben in der Regel einen Buchhalter, | |
der den Chef zurückhält, wenn er zu überschäumend ist. | |
Das heißt, der Buchhalter hat echten Einfluss? | |
Er muss mitdenken und ist häufig auch eine Vertrauensperson: Er ist oft der | |
einzige, der alles weiß und kennt. Was im Privatleben der Arzt ist, ist im | |
Kaufmännischen der Buchhalter. Wobei er die Bilanz nicht selbst erstellt, | |
er sammelt die Daten dafür. | |
Arbeitest du lieber mit den Kaufmännischen oder den Schuhkartonlern | |
zusammen? | |
Lieber mit den Kaufleuten. Das andere kostet ohne Ende Nerven, Zeit und | |
Geld. Aus der Unkenntnis heraus entsteht oft auch Misstrauen. Es ist ja | |
auch ganz natürlich: Wir Menschen haben am Jahresende gefühlsmäßig eher die | |
letzte Zeit im Blick und nicht das ganze Jahr. | |
Hat dich dein Beruf geprägt? | |
Wenn man sagt: Buchhalter sind abenteuerlustig, ja. Ganz viele Buchhalter | |
machen abenteuerliche Sportarten: Fallschirmspringen, Rafting – das sind | |
Buchhalter, die da unterwegs sind. | |
Das Bild des Buchhalters in der Öffentlichkeit ist ja eher ein anderes. | |
Das Bild vom Mann mit den Ärmelschonern heben und pflegen wir auch. Das | |
weckt Vertrauen bei den Unternehmern. | |
Was hat dich an dem Beruf gereizt? | |
Ich war früher ein Mensch, der alles planen wollte. Und Zahlen geben die | |
Möglichkeit darzustellen, wie etwas funktioniert – damit kann man lange im | |
Voraus planen. Mit den Jahren hat die Arbeit auch immer neue Aspekte | |
bekommen. Früher war Buchhaltung Zahlen pinseln. Heute geht es darum, | |
Sachverhalte zu analysieren und einzuordnen. | |
Der Glaube an die Planbarkeit hat dich inzwischen verlassen? | |
Ich habe mal Kurse besucht, wie man eine Frau anspricht, die nie zu etwas | |
geführt haben. Dann traf ich meine spätere Frau, sah sie und dachte: Die | |
möchte ich heiraten. Seitdem lasse ich die Dinge eher auf mich zukommen. | |
Wie viel Wahrheit liegt in Bilanzen – können sich darin überhaupt Tendenzen | |
spiegeln? | |
Die spiegeln sich und der Sachkundige, der die Hintergründe in der Branche | |
kennt, vergleicht mindestens drei Bilanzen. Es kommt auch darauf an, welche | |
Bilanz man vor sich hat: Die internen sind viel weiter aufgefächert als die | |
veröffentlichten. | |
Ist die Mehrheit der Leute bereit für die Wahrheiten, die Bilanzen bringen? | |
Eigentlich sind wir nicht so gepolt, ihnen ins Auge zu sehen. Aber je mehr | |
Kenntnisse wir haben, desto eher begreifen wir die Bilanz auch als | |
Instrument. | |
Weil die Dämonen dann zum Haustier werden. | |
Ja, wenn ich den Fakten ins Gesicht sehe. Ich kenne einen Unternehmer, der | |
in den Bankrott ging, und es war toll zu sehen: Er hat Millionen verloren, | |
zwei Monate gejammert und sich dann eine Säge gekauft und Europaletten | |
gesägt. Und wie es so ist: Heute hat er wieder ein nettes kleines | |
Unternehmen damit aufgebaut. | |
Das ist natürlich der sehr glückliche Fall: Bankrott als Chance. | |
Viele Menschen, die vor dem Bankrott stehen, sind alt und grau. Dann kommt | |
der Bankrott, du sprichst sie später wieder und sie sind entspannt: Die | |
Angst ist weg. | |
Mein Großvater hat Ende des Jahres immer eine private Bilanz gezogen: Er | |
schrieb sich jedes Jahr seine Pläne für das nächste auf und verglich dann | |
am Jahresende, was dabei herausgekommen war. Hältst du das für klug? | |
Ja. Solange das kein Diktat, sondern eine Unterstützung ist. Es kann ja | |
auch dabei helfen, zu sehen, wo man sich selbst beschummelt – sei es, dass | |
man sich die Dinge zu schön oder zu schlecht redet. Früher war das | |
Bilanzieren zum Jahresende eine Menge Arbeit, das ist durch die Hilfe der | |
EDV kaum mehr so. Jetzt kommen meine Kunden zum Jahresende eher runter. | |
Telefonisch ist niemand mehr zu erreichen, es ist gestattet, einfach mal | |
zwischen den Zahlen nachzugucken: Was tue ich eigentlich? Was ist mit | |
meinem Personal – warum gab es solch einen Wechsel? | |
Ziehst du selbst am Jahresende Bilanz? | |
Nein. | |
Weder privat noch als Unternehmer? | |
Als Unternehmer steht die Bilanz für mich schon im Oktober. | |
Und als Privatmensch? | |
Da setze ich mich in der letzten Woche des Jahres hin und lasse das Jahr | |
noch einmal vor mir ablaufen. | |
Also doch. | |
Also doch. | |
30 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
## TAGS | |
Bilanz | |
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