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# taz.de -- Leben mit Flüchtlingen: Gäste auf Zeit
> Hier hat auch Gott ein Zimmer: Die christliche Lebensgemeinschaft „Brot
> und Rosen“ in Hamburg bietet Flüchtlingen Unterkunft.
Bild: Zur Ruhe kommen, um dann aufbrechen zu können in ein eigenes Leben: bei …
HAMBURG taz | Heute Abend gibt es von allem ein bisschen: ein bisschen
Reis, ein bisschen Nudeln, ein bisschen Gemüse, ein bisschen Kartoffelbrei.
Nur Fleisch, davon gibt es heute viel, aber das ist nicht die Regel. Zwei
Auflaufformen füllen sich mit Schweineschnitzeln, Marita hat heute
Kochdienst, steht also in der Küche und lehnt jedes Angebot, ihr dabei zu
helfen, sanft ab. Ihr Job: aus dem, was sich an gespendeten Lebensmitteln
im Vorratsraum im Keller findet, etwas zaubern, das allen schmeckt und das
für alle reicht. Birke Kleinwächter zeigt auf die Regale im Vorratsraum:
„So leer ist es hier selten. Das, was die Nation aussortiert, macht
ansonsten gut satt.“
## Ein Zimmer für Gott
Seit 1996 gibt es die christliche Lebensgemeinschaft „Brot und Rosen“ im
Hamburger Stadtteil Bramfeld. Untergekommen ist sie in einem ehemaligen,
damals leer stehenden, recht verwinkelten Pastorat. Es gibt ein Wohnzimmer,
das aber auch für Veranstaltungen genutzt wird; es gibt einen großen Ess-
und Aufenthaltsraum, der hinausführt auf eine kleine Terrasse. Jeder hat
sein eigenes Zimmer, für Familien sei es manchmal etwas wenig Platz, und
neben dem Vorratskeller gibt es noch einen Andachtsraum, denn wo jeder
Mensch ein Zimmer habe, soll auch Gott eines haben; morgens um neun trifft
man sich zur Andacht, man kann aber auch in Ruhe ausschlafen, wenn einem
danach ist.
Aktuell zählt die Gemeinschaft, die sich in der Tradition des
amerikanischen Catholic Worker Movement sieht und sich durch Spenden
finanziert, fünf Erwachsene, dazu kommen fünf Kinder. Plus zwei sogenannte
Freiwillige: Anne und Manuel Bayer, die aber nicht wie sonst etwa FSJler
für einen festen Zeitraum hier wohnen und dann wieder gehen, sondern die
prüfen, ob diese Lebensform nicht für sie grundsätzlich das Richtige sein
könnte. Und dann gibt es noch die Gäste: Flüchtlinge wie Marita, die mit
ihrer Tochter aus Honduras nach Hamburg kam und die hier ein neues Zuhause
sucht.
Schon länger dabei ist die Kurdin Selime, die es mittlerweile geschafft
hat, wenigstens eine behördliche Duldung zu erhalten: „Sie muss nun weiter
den sturen deutschen bürokratischen Weg gehen und der ist lang und doof“,
sagt Birke. Nebenan wohnt Zaher, ein junger, 19-jähriger Afghane, und dann
ist da noch Goran, ein Roma aus Serbien. Tja, wie soll sie jetzt seine
Rolle erklären? „Goran hat schon vor vielen Jahren bei uns gewohnt, aber er
bekommt in Serbien keinen Boden unter die Füße, auch wenn er dort Familie
hat. Und außerdem verdient er hier in Hamburg, obwohl er ausgebeutet wird,
immer noch mehr als in Serbien. Also kommt er immer wieder nach Hamburg,
für ihn sind wir Familie und so finden wir für ihn immer ein Plätzchen.“
Dabei ist es streng genommen nicht ihr Konzept, Menschen, die in
Deutschland arbeiten, aber woanders ihren Lebensmittelpunkt haben,
dauerhaft Gastfreundschaft anzubieten, aber in seinem Fall gehört auch das
dazu. Und auch zwei weitere Gäste sind eigentlich eher untypisch: zwei
Männer aus der Lampedusa-Gruppe, Flüchtlinge aus Libyen, die tagsüber bei
ihrer Gruppe auf St. Pauli leben, die aber hier des Nachts ein Dach über
dem Kopf haben. „Wir sehen die beiden ganz, ganz selten, aber es ist unser
Beitrag, die Gruppe zu unterstützen“, sagt Birke.
## Leben Wand an Wand
Und wie lange bleiben die Gäste? „Zwischen einer Nacht und vielen Jahren“,
lacht sie. Okay: normalerweise seien es zwischen sechs und 18 Monaten.
Wobei nicht jeder, der anfragt oder für den von Seiten einer
Flüchtlingsinitiative angefragt wird, genommen werden kann: „Es muss
passen, man muss sich auch vertrauen“, sagt Anne. Schließlich lebe man Wand
an Wand, begegne sich im Bad, teile sich die Toilette. „Zurückhaltend sind
wir erst mal bei Menschen, die rechtlich gesehen so gar keine Perspektive
haben; wo wir wissen, das wird Jahre dauern und es ist nicht klar, ob wir
uns überhaupt ausstehen können“, ergänzt Birke. „Es gibt aber auch Leute,
die uns ablehnen, die sagen: ’Ich brauche mehr Privatsphäre‘“.
## Gemeinsamkeit auf Zeit
Dabei ist das Ziel klar: Die Gäste sollen zwar erst einmal zur Ruhe kommen,
aber dann nach und nach ihr Leben in die eigene Hand nehmen – und am Ende
wieder ausziehen. Wobei besonders der letzte Schritt kein einfacher sei:
„Legalisierung heißt meist, zunächst dorthin zu gehen, wo der Staat sagt,
dass man wohnen muss: in eine Unterkunft, in einen Wohncontainer. Das ist
dann ein gefühlter Abstieg, auch wenn man weiß, dass das nur ein paar
Monate dauert“, sagt Birke. Und sie setzt mit einem leichten Lächeln hinzu:
„So toll wie wir auch sind: Acht von zehn Leuten hat es gut getan, dass sie
uns wieder verlassen haben, dass sie eine eigene Wohnung fanden, einen Job
und dass die Kinder zur Schule gehen.“
So. Erst mal genug erzählt. Messer, Gabeln, Teller und Gläser müssen
aufgedeckt werden, Untersetzer für die heißen Töpfe und die Auflaufformen.
„Soll ich läuten?“, fragt Maritas Tochter, und als sie es zehn Minuten
später tut, kommt nach und nach, wer kommen möchte. Ein kurzes Lied, alle
halten sich an den Händen, die Tür geht auf: Manuel steht da in voller
Regenmontur. Er hat auf dem Heimweg beim benachbarten Bioladen gehalten,
hat auf das Lastenfahrrad gepackt, was dieser ihm an nicht mehr
verkaufbaren Lebensmitteln mitgegeben hat.
## Eilige Kinder
Aber sie sollen bloß anfangen zu essen, er trage die Sachen nur schnell in
den Keller, komme sofort nach. Und während die Erwachsenen sich in aller
Ruhe dem Essen widmen, sich auffüllen, Fleisch schneiden, vielleicht
nachwürzen, sich erzählen, wie ihr Tag war oder den anderen nur zuhören,
haben es die Kinder wie überall auf der Welt eilig, den Esstisch wieder zu
verlassen und sich irgendwo im Haus zurückzuziehen, ganz normal also.
Am Ende des Tisches hat sich Selime dazugesetzt, isst nichts, sie hat bis
eben gearbeitet, sieht sehr müde aus, will einerseits ihre Ruhe haben und
trotzdem jetzt nicht allein in ihrem Zimmer sitzen. Und so hört und schaut
sie zu, bis sich nach und nach die Teller leeren und dann
aufeinandergestapelt und rübergetragen werden zur Spüle. „Wir haben wenige
Regeln, aber jeder muss sich am Gemeinschaftsleben beteiligen, muss
Aufgaben übernehmen, wir sind kein kostenloses Hotel“, sagt Anne, während
sie benutztes Besteck einsammelt. Und das täte gerade den Flüchtlingen gut:
Wer kocht, wer saubermacht, wer aufräumt, der fühle sich gebraucht und er
mache vor allem mal eine Pause vom Grübeln.
## Spül- und Redezeit
Es gibt einen Geschirrspüler, den man jetzt schnell befüllen könnte. Aber
es hat sich als praktischer erwiesen, alles benutzte Geschirr und besonders
die Pfannen und Töpfe gleich per Hand abzuwaschen, abzutrocknen und in die
Schränke zurückzustellen, statt dass man dann doch vergisst, die Maschine
anzustellen oder sie unausgeräumt wartet, wenn morgens das Frühstück
gemacht wird und man nicht allzu viel Zeit übrig hat. Und außerdem kann es
sehr nett sein, gemeinsam zu spülen und abzutrocknen und sich dabei weiter
zu unterhalten.
Wieder geht die Tür auf: „Is there something to eat?“, fragt Zaher, der
junge Afghane, tritt in die Küche. Natürlich gibt es noch etwas – aber er
geht erst einmal in sein Zimmer, die Tasche abstellen, sich umziehen, kommt
gleich wieder runter, um sich zu den anderen zu setzen, die sich nun, wie
das manchmal passiert, ungeplant und ohne dass man sich verabredet hat, um
den kleinen, runden Tisch zwischen dem langen Esstisch und der Küchenzeile
versammeln.
## Raus in die Dunkelheit
Denn Goran ist noch gekommen, hat sich schwer ausatmend auf einen der
Stühle regelrecht fallen lassen, wirkt sehr, sehr abgekämpft. Und er muss
noch mal los! Muss noch mal raus ins Dunkle, ins Kalte und Nasse, will ein
paar Sachen und Lebensmittel, die für seine Familie gedacht sind, zu einem
der Kleinbusse bringen, die regelmäßig am Hauptbahnhof stehen und von dort
nach Serbien pendeln. Und er erzählt von der Strecke, er tröstet sich
damit, dass er jetzt nicht selbst nonstop Hunderte von Kilometern
südostwärts durch die Nacht brettern muss. Sehr anstrengend sei die Fahrt,
mit Glück seien die Fahrer zu zweit und könnten sich dann wenigstens
abwechseln.
„Mensch, wir saßen auch lange nicht mehr hier so zusammen“, sagt Anne und
legt ihre rechte Hand sachte auf Gorans Schulter. Der lächelt verlegen, er
zieht sich den Reißverschluss seiner Jacke zu, will aufstehen und steht
nicht auf: will noch einen Moment so sitzen bleiben, will noch einen Moment
den anderen zuhören, will noch einen Moment so unter ihnen sein.
30 Dec 2013
## AUTOREN
Frank Keil
## TAGS
Flüchtlinge
Christentum
Hamburg
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