# taz.de -- Vorsätze für 2014: Das neue Jahr ist eine Bitch | |
> Erst mal einen Kaffee trinken. Dann kehrt vielleicht das Drama der | |
> letzten Nacht zurück in die Erinnerung – falls die Buchstaben nicht mehr | |
> verschwimmen. | |
Bild: Es trudeln die ersten Erinnerungen ein: hässlich, bunt und böse. | |
Am Neujahrsmittag erwache ich mit dickem Kopf. Aber kann man ein Ding | |
allein dafür schon als Kopf bezeichnen, dass es den eigenen Körper oben | |
wasserdicht verschließt? Abseits dieser reinen Korkenfunktion scheinen alle | |
weiteren Definitionsmerkmale außer Betrieb zu sein. Und was heißt überhaupt | |
„Erwachen“: Ein schmerzfreier Dämmerzustand im Dunkeln wird hier doch bloß | |
von einem schmerzhaften im Hellen abgelöst. | |
Nach einer Viertelstunde trudeln langsam die ersten Erinnerungen ein, | |
hässlich, bunt und böse wie die Gäste zu einem Veteranentreffen | |
emeritierter Junta-Generäle: die Party bei Dings (Name von der Redaktion | |
vergessen). Die Arsenbowle mit Kotzbrocken. Der elefantenfußdicke Joint. | |
Der Ententanz auf dem Balkongeländer. Der Polizeieinsatz. Die tote Katze | |
unter dem Bier in der Badewanne. Das Bleigießen mit dem eingeschmolzenen – | |
wir haben gelacht! – MacBook Pro von Dings: Alle hatten Geschlechtsteile | |
oder Metastasen. | |
Der Feuerwehreinsatz. Der Wutanfall von Dings. Die Schlägerei. Der | |
Notarzteinsatz. Der Rausschmiss. Die Nachfeier auf dem Mittelstreifen. | |
Meine quietschsaure Freundin Konika (Name von der Redaktion geändert), weil | |
ich hinter einem Baum mit Unstrut (Name von der Redaktion verdrängt) | |
geknutscht habe. Jedenfalls ist mein Bett neben mir leer. Das Jahr fängt | |
gut an. | |
Kein Frühstück. Ich haue mich in die verdreckten Miefklamotten von gestern | |
und gehe zur U-Bahn. Heute sind die Bahnen schön leer, es gibt kaum | |
Kontrollen und ich kann ohne Fahrschein stundenlang herumfahren. Aus dem | |
Fenster starren, in den dunklen Tunnel, ins Nichts – das metrogene Training | |
macht wunderbar den Kopf frei. | |
## „Du hast ja jetzt deinen geilen Baum“ | |
So entstehen bei mir stets die guten Vorsätze. Weniger rauchen und auch | |
weniger trinken, gewiss, damit solche Dramen wie gestern nicht mehr | |
passieren oder ich mich wenigstens daran erinnern kann. Das ist hilfreich | |
bei der Nachbereitung. Auch nehme ich mir vor, in diesem Jahr weniger | |
Menschen wehzutun. Dafür verletze ich die dann umso tiefer, das ist | |
ökonomischer und macht auch viel mehr Spaß. | |
Mit dem Straßenmusiker hier im Wagen fange ich gleich an. Belehrung, | |
Freundchen, aufgepasst: Wenn ich Musik hören will, lege ich zu Hause eine | |
CD ein. Wenn ich aber in der U-Bahn sitze, möchte ich damit fahren. Und | |
nichts weiter! Haben Sie das verstanden?? Wenn ich ficken will, schalte ich | |
ja auch nicht den Toaster an!!! | |
Er hat mich nicht verstanden. Seufzend gebe ich ihm einen Euro und blicke | |
wieder nach draußen. Das Fenster spiegelt. Warum habe ich eigentlich so | |
viel Rinde zwischen den Vorderzähnen? Langsam sickert es wieder ins | |
Bewusstsein: Ich habe gar nicht mit Unstrut geknutscht, sondern mit dem | |
Baum. Und Konika hat gelacht und nicht gezetert. Dann ist sie mit | |
Arschfried (Name von der Redaktion erfunden) abgezogen. „Du hast ja jetzt | |
deinen geilen Baum“, hat sie gesagt. „Viel Spaß damit und schönes neues | |
Jahr!“ | |
Auf einmal erinnere ich mich an den Lieblingssatz meines alten Vaters aus | |
dem Rothaargebirge, „Das neue Jahr ist eine Bitch, yo“, und muss am Ende | |
doch lächeln. | |
1 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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