# taz.de -- Expressionist malt den Norden: Ein lebenslanger Traum | |
> Lyonel Feininger, der 1921 Norddeutschland bereiste, hat unter anderem | |
> Lübeck, Hildesheim und Lüneburg gemalt. Eine Lübecker Ausstellung. | |
Bild: Spielzeug oder Modell oder beides: Holzhäuschen von Feininger. | |
LÜBECK taz |Digital könnte man es nicht besser simulieren: Da werden Giebel | |
verschoben, perspektivisch gekippt und wieder voreinander gestellt, als | |
hätte man es mit wechselnden, einander überlappenden Kulissen zu tun. | |
Aber es war eben lange vorm digitalen Zeitalter, als die Expressionisten | |
mit Abstraktion und Multiperspektive experimentierten und Form und Farbe so | |
verdichteten, dass die Überforderung durch das Getöse der Großstadt direkt | |
zu greifen war. Diese Bilder sind Wahrnehmungs-Experimente, die | |
nacheinander Gesehenes zugleich darstellen und en passant unseren | |
Zeitbegriff und die Hierarchie des Nacheinander-Wahrnehmens infrage | |
stellen. | |
## „Schön, aber drängelig“ | |
Das funktioniert auch für die derzeit im Behnhaus präsentierten | |
Lübeck-Giebel, die Lyonel Feininger auf Leinwand bannte und zu denen seine | |
Frau später schrieb, die Stadt sei schön, aber laut und drängelig gewesen. | |
Die Feiningers waren nämlich 1921 auf Urlaub in Norddeutschland, um sich | |
von den Bauhaus-Aktivitäten zu erholen, und dabei haben sie Lübeck, | |
Lüneburg, Hildesheim und die Ostsee bereist. | |
Die Lübecker Backsteingotik muss er auf Anhieb gemocht haben, denn er | |
begriff sofort deren Eignung zur Abstraktion. Besonders hatte es ihm die | |
Schmiedestraße angetan, zu sehen auf dem zentralen Bild der Schau. „Lübeck, | |
Alte Häuser“ heißt es, und es ist dem Behnhaus seit 1986 als Leihgabe | |
überlassen. | |
## Lübeck oder Lüneburg? | |
Das allein war noch kein Grund, dem Bild eine Ausstellung zu widmen. Dann | |
begab es sich aber, dass das bis dato unter „Lübeck“ firmierende Gemälde | |
von Wissenschaftlern aufgrund ähnlicher Skizzen in „Lüneburg“ umgetauft | |
wurde, was dem Besitzer missfiel. Denn sicher, es waren beides Hansestädte, | |
aber Lübeck war die prestigeträchtigere. Also erteilte der Besitzer einen | |
Forschungsauftrag, das Behnhaus nahm an und fand heraus: Es ist wirklich | |
Lübecks Schmiedestraße dort auf dem prismenartigen Ölbild von 1931. | |
Das ist schmeichelhaft, es zeugt von Lübecks Bedeutung für berühmte | |
Künstler, und das adelt. Die Forscher interessierten sich aber eher für die | |
Restitutionsgeschichte, die bei der Gelegenheit neu aufgerollt wurde. | |
Darüber ist zwar 2006 bereits das Buch „Der Fall Feininger“ erschienen, | |
aber ein Politikum ist es bis heute. Autorin Petra Werner bekam so viel | |
Gegenwind, dass sie sich nicht mehr äußert. Auch dem Behnhaus gegenüber | |
„sind einige Beteiligte extrem zurückhaltend gewesen“, sagt dessen Leiter | |
Alexander Bastek. | |
Der Hauptbeteiligte ist Hermann Klumpp, ein Freund der Feiningers aus den | |
1930er-Jahren. Als nationalsozialistische Töne schärfer wurden und eines | |
Tages gar ein Sturmtrupp der SA zu den Feiningers kam, um die „entarteten“ | |
Bilder zu beschlagnahmen, willigte Feininger ein, 64 Werke bei Klumpps | |
Eltern in Quedlinburg zu lagern – vorläufig. | |
1937 flohen Feiningers in die USA, der Kontakt schlief ein, und nach dem | |
Krieg lag Quedlinburg in der DDR. Feininger fragte nach den Gemälden, | |
Klumpp weigerte sich, und der Künstler gab irgendwann auf. Die Erben aber | |
nicht: 1970 schalteten sie einen Anwalt ein, und der Prozess um die Gemälde | |
dauerte viele Jahre, weil Klumpp – wie jüngst Cornelius Gurlitt – glaubte, | |
sie gehörten ihm, weil er sie gerettet habe. Die DDR-Regierung wiederum | |
witterte in Sachen Feininger die Chance auf einen Deal: Es herrschte Kalter | |
Krieg, und Kunstwerke, die die USA haben wollen, waren ein interessantes | |
Faustpfand. Tatsächlich kamen erst 1984 – im Tausch gegen Dürer-Bilder – … | |
Feininger-Bilder in die USA zurück. Eins davon ist das jetzt im Behnhaus | |
gezeigte Gemälde „Lübeck. Alte Häuser“. | |
## Jahrzehnte im Ordner | |
Das ist die eine Hälfte der Geschichte, von der die Lübecker Ausstellung | |
handelt. Die andere ist eine biografische: Zwar machte Feininger 1921 | |
etliche Skizzen seiner Norddeutschlandreise, die den Lübecker | |
Ausstellungsmachern als Beleg seines Aufenthalts an konkreten Orten gelten. | |
Feininger selbst ließ die Blätter danach aber lange im Ordner ruhen, holte | |
sie teils erst 30 Jahre später wieder hervor. Neben vielen anderen | |
entstanden das aus zersplitterten Linien gefertigte „Hildesheim“-Aquarell | |
und das fast karikatureske Lüneburg-Bild zum Beispiel erst 1954, zwei Jahre | |
vor Feiningers Tod. | |
Ein Jahr früher malte er das zweite zentrale Werk der Lübecker Schau, | |
„Shadow of Dissolution“. Es hängt neben den erwähnten „Alten Häusern�… | |
1931, und das Besondere: Es zeigt dasselbe Motiv, die Lübecker | |
Schmiedestraße. Farben und Formen sind aber nicht mehr grell und kantig, im | |
Gegenteil: Milde versöhnliche Pastellfarben statt peitschender Grün- und | |
Rottöne finden sich da, und die Konturen verschwimmen, als schaue man durch | |
ein konkav gebogenes Glas. An den Rand hat er seine eigene Silhouette | |
gemalt: ein weiser Senior, der auf Stätten der Vergangenheit schaut und auf | |
ein lebenslang wichtiges Motiv. Das verschwimmt allerdings schon, als | |
gleite er unter Wasser daher oder träume einen sanften Traum. | |
## Eine norddeutsche Liebe | |
Warum norddeutschen Städte in Feiningers Werk immer wiederkehren? Feininger | |
hat die norddeutsche Kulturlandschaft zeitlebens geliebt und notierte im | |
Exil immer wieder, er habe sich nie ganz mit der amerikanischen Landschaft | |
angefreundet. Und so kam es wohl, dass er nicht nur Skizzen auf Papier, | |
sondern auch Ideal- und Prototypen in seinem Gedächtnis hortete, Ikonen der | |
verlassenen Heimat und innere Zuflucht des Exilierten. | |
Da ist es folgerichtig, dass diese beiden Lübeck-Bilder – das frühe | |
expressionistische und das späte, fast impressionistische – in der | |
Ausstellung nebeneinander hängen. Sie spannen einen Bogen, der sich nicht | |
um stilistische Chronologie schert: Sicherlich kann man den Rückgriff auf | |
impressionistische Farben und Formen im Spätwerk als Rückschritt lesen. Man | |
kann es aber auch Distanzierung von den Extremen der frühen Jahre deuten. | |
Wenn man zudem bedenkt, dass die Expressionisten ihre Kunst auch | |
synästhetisch verstanden, wirkt das späte Gemälde wie ein Fade-out. Es | |
lässt Farben und Töne nach einem letzten Blick zurück verklingen. | |
## ■ Lyonel Feininger: Lübeck – Lüneburg: bis 16. Februar, Lübeck, Behnh… | |
/ Drägerhaus | |
7 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
## TAGS | |
Restitution | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |