| # taz.de -- Arbeiten als freiberuflicher Kulturschaffender: „Mein Stundenlohn… | |
| > Heino Sellhorn arbeitet seit über 20 Jahren als freier Musiker und | |
| > Theatermacher. Karriere und Geld haben für ihn einen geringeren | |
| > Stellenwert. | |
| Bild: Mag seinen Beruf: Heino Sellhorn in dem Theater-Triebwerk-Stück "Jo im r… | |
| taz: Herr Sellhorn, haben Sie schon mal Ihren Stundenlohn ausgerechnet? | |
| Heino Sellhorn: Nein, nie. Mein Stundenlohn interessiert mich auch nicht. | |
| Mich interessiert, dass ich gut über die Runden komme. Der Stundenlohn ist | |
| wahrscheinlich eher sehr niedrig. | |
| Wenn es nicht das Geld ist: Was motiviert Sie zu Ihrer Arbeit? | |
| Dass man mit Menschen, mit denen man sich gut versteht, ein Stück | |
| erarbeitet, hinter dem alle stehen können. Man entdeckt gemeinsam etwas | |
| Neues. Das ist das eine. Das andere ist das Spielen. Dass man das, was man | |
| erarbeitet hat, präsentieren kann. | |
| Wie kommen Sie an Auftritte? | |
| Das ist beim Theater Triebwerk im Moment das Problem. Wir sind eine sehr | |
| kleine Gruppe und haben keine Agentur, niemand, der uns Auftritte | |
| verschafft. Ich kann das gar nicht, Sachen zu verkaufen, die ich selber | |
| mache. Wir haben nicht das Geld, eine Stelle einzurichten, und wir spielen | |
| nicht so viel, dass man als Agentur von Prozenten leben könnte. | |
| Wie lösen Sie dieses Problem? | |
| Manchmal werden wir zu Festivals eingeladen, was dann einen | |
| Weiterverteilungseffekt hat. Außerdem ist mein Kollege Uwe Schade da sehr | |
| hinterher, soweit er das mit seiner Zeit vereinbaren kann. Es ist ja schon | |
| ein ganz schöner Aufwand. Grundsätzlich ist das Gefühl, dass die | |
| bürokratischen Anteile an unserer Arbeit größer werden. Das ist nicht toll, | |
| aber das gehört dazu, wenn man eine freie Gruppe hat. | |
| Seit wann sind Sie selbst freier Theatermacher? | |
| Seit 1990. Ich habe im Studium fürs Theater Feuer gefangen. Seitdem ist das | |
| mein Beruf. | |
| Was war der Moment, in dem Sie das wussten? | |
| Das war ein schleichender Übergang. Es gab am Ende des Studiums am | |
| Braunschweiger Theaterspielplatz die erste Produktion mit einem Kollegen. | |
| Danach ein paar Stücke mit Theater Mahagoni aus Hildesheim. Der Kreis | |
| erweitert sich dann automatisch: Du lernst neue Leute kennen. Ich habe mich | |
| da reingestürzt, weil es ein extrem interessantes Gebiet war – und immer | |
| noch ist. | |
| Welche Rolle spielt die Reaktion des Publikums? | |
| Die Reaktion entscheidet, ob wir das Stück länger spielen. Meistens ist es | |
| eine beidseitige Angelegenheit: „Jo im roten Kleid“ spiele ich gerne, das | |
| finde ich gelungen. Es gab Stücke, die waren schwieriger. Da waren die | |
| Reaktionen durchwachsen, was dazu führte, dass wir es zur Seite legten. | |
| Haben die Kritiken Einfluss auf Ihre Arbeit? | |
| In den Medien tauchen wir nur ab und zu auf. Ich habe nicht den Eindruck, | |
| dass das viel Einfluss darauf hat, was und wie oft wir spielen. | |
| Ist der Applaus wichtig? | |
| Man hat etwas zusammen geschafft. Klar ist da der Applaus wichtig. Aber es | |
| gibt Stücke, bei denen man denkt: Es ist auch gut, wenn kein Applaus kommt. | |
| Oder bei denen es länger dauert, bis Applaus kommt. | |
| In den meisten Berufen definiert sich Anerkennung über Geld. Bei Ihnen aber | |
| nicht. | |
| Das kann man so nicht sagen. Ich lebe ja davon. | |
| Sie würden aber nicht nur des Geldes wegen machen, was Sie machen? | |
| Nein, wenn man das will, gibt es Berufe, die sehr viel sinnvoller wären. | |
| Weil man mehr Geld damit verdienen kann. Aber das war nie das wichtigste. | |
| Geld ist nicht der Antrieb. | |
| Sondern? | |
| Das Machen. Das Zusammenarbeiten und Erfahrungensammeln. Das ist ja auch | |
| ein Wert. Die Freude an der Erfahrung und am Erforschen, die vergisst man | |
| immer. Und es gibt noch einen sehr wichtigen Antrieb: die Menschen, die man | |
| trifft. Man bewegt sich in seinen Kreisen – Netzwerk heißt das ja heute. Es | |
| kommen aber auch immer neue Leute dazu. Das ist einfach interessant. Wir | |
| haben auch ein paar interessante Reisen gemacht. | |
| Ist Karriere ein Thema? | |
| Ich habe immer ein Problem, das zu definieren. Theater ist eigentlich | |
| regional basiert. Die Strukturen im freien Theater ändern sich gerade: | |
| Früher gab es feste Gruppen, heute gibt es einen Pool an Leuten, die sich | |
| je nach Interessenlage zu einem Projekt zusammenschließen. Das ist eine | |
| interessante Entwicklung. Das ist eine der Qualitäten am Theater: dass man | |
| über den Pool, der immer größer wird, bunt bleibt. Dass man neue Einflüsse | |
| bekommt und von seinen Gewohnheiten weggezogen wird. In dem Sinne | |
| interessiert mich Karriere. Aber ich würde das nicht mit Institutionen oder | |
| Posten verknüpfen. | |
| Dennoch gibt es im freien Theater ein Ranking. | |
| Natürlich. Aber für mich spielen da viele Sachen eine Rolle. Ich habe eine | |
| Frau und ein Kind, und es läuft super in Hannover. Ich würde nie auf die | |
| Idee kommen, nach Berlin zu gehen. Dass sich alles am Ranking orientiert, | |
| glaube ich nicht. Das passiert einem oder nicht. | |
| Wie sind Sie nach Hannover gekommen? | |
| Ich habe in Hildesheim studiert und da lange gewohnt, weil ich da viel | |
| gearbeitet habe. Ich habe da auch meine Frau kennengelernt. Die ist in der | |
| Theaterwerkstatt in Hannover. Sie hat sowas ähnliches wie eine feste | |
| Stelle. Es war einfach für mich, nach Hannover zu ziehen, weil ich sowieso | |
| mal hier und mal dort gearbeitet habe. | |
| Können Sie etwas mit dem Begriff „Kreativwirtschaft“ anfangen? | |
| Ich kann den nicht wirklich einordnen. Ist eher ein negativer Begriff, | |
| oder? | |
| Für manche schon – für andere nicht. | |
| Für mich klingt er eher negativ. Ist so wie: Die Kreativität der Leute wird | |
| bis zum Letzten ausgebeutet. | |
| Die Beschäftigten in der Kreativwirtschaft sind häufig Solisten: | |
| Selbstständige mit flexiblen Arbeitszeiten und wechselnden Arbeitgebern. | |
| Dem Wirtschaftsministerium gilt das als zukunftsweisend. | |
| Wenn die Wirtschaft kommt und sagt: Ihr freien Theatermacher seid unser | |
| Vorbild – da wird mir ganz anders, ehrlich gesagt. Weil ich denke: Die | |
| Wirtschaft hat ein ganz anderes Ziel. Sie hat das Ziel der | |
| Gewinnmaximierung. Wenn unsere Arbeitsmethoden angewendet werden, um die | |
| Gewinnmaximierung weiter hochzutreiben, dann sollte man sich als Künstler | |
| überlegen, ob man überhaupt noch öffentlich Kunst macht. Wir leben von | |
| Selbstausbeutung und ich arbeite da gerne. Aber es geht da nicht um | |
| Gewinnmaximierung. | |
| Immerhin bedeutet diese Art der Beschäftigung für die Beschäftigten auch | |
| mehr Freiheiten: Sie können sich die Arbeit selbst einteilen, müssen nicht | |
| um 9 Uhr in einem Büro erscheinen. | |
| Aber so ist das nicht. Wenn du in einer Produktion steckt, dann wachst du | |
| morgens auf und fängst an nachzudenken. Und abends gehst du ins Bett. | |
| Zwischendurch machst du vielleicht einmal Pause, aber die Arbeit trägt sich | |
| überall hin – in dein Privatleben, in deine Wohnung. Es gibt die Grenze | |
| nicht mehr: Ich gehe zum Job und dann nach Hause. Das ist auch | |
| Kreativwirtschaft. Das kann ganz übel sein. | |
| Sprechen Sie jetzt aus eigener Erfahrung? | |
| Ich finde das immer schwierig, einen eigenen Rhythmus zu entwickeln. Ich | |
| kann gar nicht gut Feierabend machen, weil mir die Arbeit so einen Spaß | |
| bringt. Manchmal komme ich nach Hause und setze mich wieder ran. Bis jemand | |
| kommt und sagt: Jetzt reicht’s mal. Das ist ein schmaler Grat zwischen | |
| Freiheit und Selbstausbeutung. | |
| Kann man als Teil der freien Theaterszene in Würde alt werden? | |
| Weiß ich nicht. Ich weiß nicht, ob ich irgendwann in Rente gehe, und wie | |
| das aussieht. Es gibt da noch einige Fragezeichen. Die betreffen auch die | |
| Altersvorsorge. Im Endeffekt schreit das nach Altersarmut. | |
| Vielleicht fällt Ihnen noch was ein? | |
| Ja. Wir sind ja kreativ. Wir können uns auch zusammenschließen und Horden | |
| bilden. | |
| 12 Jan 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Irler | |
| ## TAGS | |
| Fernsehen | |
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