# taz.de -- Online-Pranger in Schweden: Ich weiß, wo du wohnst | |
> Eine schwedische Website hat Namen und Adressen aller veröffentlicht, die | |
> in Konflikt mit der Justiz geraten sind – auch wenn sie freigesprochen | |
> wurden. | |
Bild: Auf einer schwedischen Seite landet man schneller am Pranger als man veru… | |
Hat der neue Mieter etwas auf dem Kerbholz? Ist die Arbeitskollegin | |
vorbestraft? Wer in der Straße oder im Dorf hatte eigentlich schon mit der | |
Justiz zu tun gehabt? Am Montag ging in Schweden ein neuer kommerzieller | |
Webdienst online, der solche Neugier gegen Bezahlung stillt. 48 Stunden | |
später war er gehackt und persönliche Daten von über 100.000 Menschen | |
konnten von jedermann eingesehen werden. | |
Lexbase heißt der Suchdienst, über den alle Personen ausfindig gemacht | |
werden können, gegen die in den letzten 5 Jahren ein strafrechtliches | |
Urteil vor einem schwedischen Gericht erging. Gleich ob wegen | |
Vergewaltigung, Steuerhinterziehung oder wegen eines Verkehrsvergehens. | |
Die Verantwortlichen betonen die Servicefunktion: Schließlich habe | |
jedermann ein berechtigtes Interesse daran, zu wissen, ob er dem neuen | |
Kindermädchen oder einem Handwerker vertrauen könne. „Und wenn eine Frau | |
sich zu einem Date verabreden will, muss sie vielleicht feststellen, dass | |
der Mann wegen Vergewaltigung und Misshandlung fünffach vorbestraft ist“, | |
erklärte Pontus Ljunggren, seines Zeichens Rechtsanwalt, Sprecher und | |
Miteigentümer von Lexbase: „Wir bieten Sicherheit, liefern Informationen | |
aufgrund derer man besser auswählen kann.“ | |
Vor allem wollen die Betreiber aber Geld verdienen. Zwar ist die | |
Suchfunktion, bei der man über eine Karte, ein Adressenfeld oder mit Hilfe | |
der individuellen Personennummer, die jeder Bewohner Schwedens hat, | |
feststellen kann, ob es einen „Treffer“ gibt, kostenlos, will man den Namen | |
wissen und das Urteil herunterladen, kostet das jedoch umgerechnet zehn | |
Euro. | |
## Auch Daten der Opfer zugänglich | |
Wobei als „Treffer“ aber zunächst auch alle Personen registriert sind, | |
gegen die es überhaupt ein strafrechtliches Verfahren gegeben hat. Dass sie | |
möglicherweise freigesprochen worden sind, erfährt nur, wer bezahlt. Wenn | |
das Urteil überhaupt nicht rechtskräftig geworden ist, weil Rechtsmittel | |
eingelegt wurden, oder es in einer weiteren Instanz aufgehoben wurde, kann | |
Lexbase das bislang gar nicht erfassen. Auch Verstorbene und Menschen, die | |
ihre Strafe verbüßt haben, werden so weiterhin an den Pranger gestellt. | |
Über die Urteile werden darüberhinaus auch Namen und Daten der Opfer von | |
Verbrechen allgemein öffentlich. | |
Weshalb es auch umgehend viel Kritik in Medien und sozialen Netzwerken gab. | |
Und der Rechtsanwaltsverband sprach von einem Geschäftsmodell, das | |
Verleumdungen verbreitet. Aber laut einer ersten Stellungnahme der | |
Datenschutzbehörde ist Lexbase vermutlich durchaus legal. | |
## Transparent seit 1766 | |
Schweden kennt ein umfassendes Öffentlichkeitsprinzip, das seit 1766 in der | |
Verfassung verankert ist. Alle Bürger haben das Recht in Akten und | |
Dokumente der Behörden Einblick zu nehmen. Hierzu gehören auch alle | |
Urteile. Jeder, der sich dafür intressiert, kann sich von Gerichten | |
vollständige und nicht anonymisierte Urteilskopien holen oder schicken | |
lassen. „Das Öffentlichkeitsprinzip ist ja ein demokratisches Prinzip“, | |
verteidigte Ljunggren Anfang der Woche den Dienst: „Wir haben das Ganze nur | |
ein wenig moderner gemacht.“ | |
Einen Tag nachdem er auch jegliche „moralische oder ethische Verantwortung | |
für Angehörige“ der durch Lexbase Angeprangerten abgelehnt hatte, wollte | |
der Anwalt allerdings nichts mehr mit dem Dienst zu tun haben: Aus | |
„persönlichen Gründen“, wegen angeblicher Morddrohungen gegen ihn und sei… | |
Familie. Und zwölf Stunden später war die Website gehackt und eine Datei, | |
die Adressen, Personennummern und Herkunftsländer von über 100.000 bei | |
Lexbase Registrierten enthält, konnte auf den Seiten Mega und AnonFiles | |
heruntergeladen werden. Was für die Betroffenen, die zu einem Großteil nun | |
identifiziert werden können umso problematischer ist, als es bei diesen | |
Daten gar keinen Unterschied zwischen Verurteilten und Freigesprochenen | |
gibt. | |
## Klagt auf Schadensersatz! | |
Um solch einen Dienst zu stoppen, müsse entweder die schwedische Verfassung | |
geändert werden – was Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt mittlerweile | |
bereits ablehnte -, oder möglichst viele zu Unrecht als vorbestraft | |
Vorgeführte müssten vor Gericht ziehen und Schadensersatzprozesse führen, | |
meint Martin Brinnen, Jurist bei der Datenschutzbehörde: „Dann wird das | |
vielleicht für die Betreiber so teuer, dass sie die Seite dicht machen.“ | |
Am Donnerstagvormittag war Lexbase erst einmal vom Netz. Vorübergehend. Der | |
Provider sperrte den Zugang wegen Sicherheitsproblemen. Gehackt werden | |
konnten nämlich auch die Kredikarten- und PayPal-Daten der User, die für | |
den Dienst bezahlt haben. Wenn diese Sicherheitsmängel behoben sind, soll | |
Lexbase wieder online gehen. | |
30 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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