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# taz.de -- Bau-Streit: Ein irreparabler Schaden
> Nahe Oldenburg, versackt ein Siedlerhof im Moor. Schuld sein soll die
> Sanierung des Augustfehnkanals - seit 14 Jahren streitet die Bewohnerin
> mit der Behörde.
Bild: Die Schäden sind unübersehbar - ebenso, wann die Behörde dafür zahlt.
HAMBURG taz | Die Nacht im Spätsommer 1999 wird Sabine Lohrenscheit nie
vergessen. „Es gab einen fürchterlichen Knall. Ich bin durchs Haus
geschlichen, habe aber keine Ursache gefunden“, erinnert sie sich. Erst bei
Licht besehen, am nächsten Morgen, fallen ihr die Risse in den Wänden des
alten Siedlerhofs auf. „Um die Kinder zu beruhigen, haben wir Bilder um die
Risse gemalt“, erzählt Lohrenscheit. So lebten plötzlich Schnecken mit
markanten Rückenlinien und mexikanische Kakteen in der Küche des
Backsteinhauses, 20 Kilometer von Oldenburg und unmittelbar am
Augustfehnkanal gelegen.
Doch die „Kunst am Bau“ wanderte, die Risse wurden breiter. An den
zerborstenen Wänden sind mit Filzer Memos angebracht: „Nachbar A: hat auch
Risse“, „Nachbar B: jetzt ist das Erdkabel abgerissen“. „Irgendwann
verliert man den Überblick. Um nichts zu vergessen, habe ich die Schäden
neben die Risse an den Wänden geschrieben“, sagt Sabine Lohrenscheit.
Schuld daran soll die Sanierung des Augustfehnkanals sein, der 1999
verschmälert wurde.
## Durch alle Instanzen
Sabine Lohrenscheit ist deshalb vor Gericht gegangen. Doch obwohl alle
Instanzen bis hin zum Bundesgerichtshof der Ende 50-Jährigen Recht
zugesprochen haben, weigerte sich ihr Prozessgegner, die Ammerländer
Wasseracht, 14 Jahre lang, eine Haftung anzuerkennen. Im letzten Jahr hat
das Oberlandesgericht Oldenburg endgültig festgestellt, dass die Wasseracht
haftet – nun geht es um die Höhe der Entschädigung. Aber das kann erneut
Jahre dauern.
Es blieb nicht bei den Rissen in der Wand. „Es kamen Freunde zu Besuch und
ich lachte: ,Guck mal, meine Sickergrube wächst‘“, erzählt Sabine
Lohrenscheit. Der Besuch sah kritisch auf den aus dem Boden herausragenden
Sickerschacht. Kommentar: „Nee, dein Boden sackt ab.“ Bald hatten
Lohrenscheits freien Blick durch die Wand des Wohnzimmers aufs Meer, sprich
auf den Augustfehnkanal. Der ehemalige, knapp zehn Kilometer lange
Torftransportweg verläuft gut 30 Meter an der Hausfront vorbei. Getrennt
wird das 2,5 Hektar große Anwesen vom Kanal durch eine Straße und einen
Radweg. „Früher waren Straße, Radweg und Haus etwa auf einer Ebene“, Sabi…
Lohrenscheit zeigt auf die Bodenwelle. In die Einfahrt zu ihrer Hausruine
geht es heute geschätzt einen Meter tief. Die alten Eichen, Buchen und
Kiefern auf dem Grundstück sehen nicht sehr gesund aus.
## Überfällige Sanierung
Der Augustfehnkanal wurde ab 1999 saniert. Er war verseucht, er stank,
teilweise lag er im Sommer trocken. Schon lange wollte die Ammerländer
Wasseracht den Kanal sanieren, doch es fehlte das Geld. Mit EU-Hilfe konnte
das Projekt schließlich in Angriff genommen und 2000 abgeschlossen werden.
Kontaminierter Schlick, über Jahrzehnte abgelagert, wurde ausgebaggert und
der Kanalquerschnitt in manchen Abschnitten bis zur Hälfte verkleinert. Aus
dem Kanal wurde ein Fließgewässer, das an die Tide der Nordsee
angeschlossen wurde.
Zweimal am Tag wird das Kanalwasser jetzt über einen naheliegenden
Entlastungspolder, das Apener Tief, die ostfriesische Jümme, Leda und Ems
ausgetauscht. So wird aller Dreck in die Nordsee ausgeräumt und die
Wasserqualität von sehr stark verschmutzt auf kritisch belastet verbessert
– das ist der in der Region übliche Wert.
„Die Sanierung des Augustfehnkanals ist nicht die Ursache der Schäden am
Grundstück von Frau Lohrenscheit“, erklärt Richard Eckhoff, Geschäftsführ…
der Ammerländer Wasseracht und Prozessgegner von Sabine Lohrenscheit. Auch
seine Behörde kämpft seit 14 Jahren – gegen Sabine Lohrenscheit. Eckhoff
schiebt die Schäden an Haus und Grundstück auf den langsam austrocknenden
Moorboden des Lohrenscheit-Grundes und die falsche Sanierung des Hauses.
„Der Gutachter gibt uns recht“, meint Eckhoff und zitiert ein vom Gericht
noch nicht bewertetes Papier. Dass an dem im 19. Jahrhundert erbauten Haus
bislang keine Schäden aufgetreten waren, irritiert ihn nicht.
Bislang haben alle Instanzen bis hinauf zum Bundesgerichtshof Sabine
Lohrenscheit eine Entschädigung zugesprochen. Denn die Geriche sahen sehr
wohl einen „Gesamtzusammenhang“ mit der Sanierung des Kanals. Jetzt geht es
am Oldenburger Landgericht um die Höhe der Entschädigung. „Sicher ist das
alles schrecklich. Ich wünsche mir nicht, dass mir so etwas passiert“, sagt
Richard Eckhoff. „Wir wollten Frau Lohrenscheit gerne helfen und haben im
Vergleichsverfahren ein Angebot gemacht.
Tatsächlich gibt es ein Vergleichsangebot – der Haken daran: Die Wasseracht
wollte das Grundstück für einen Spottpreis übernehmen. Eckhoff sieht das
anders: „Solche Zahlungen müssen wir unseren Gremien erklären.“ Sabine
Lohrenscheit treten Tränen in die Augen. „Das Haus war unser
Familienmittelpunkt. Wir wollten unser Heim zurück.“ Sie ist nicht die
einzige, die nach der Kanalsanierung Schäden festgestellt hat: Nachbarn
haben das ebenfalls getan. „Die haben alle, wie bei Frau Lohrenscheit
nichts mit der Kanalsanierung zu tun“, erklärt Wasserachts-Chef Eckhoff.
## „Nut’ scha nix“
Sabine Lohrenscheits Nachbarn haben nicht geklagt. Gegen Behörden klagt man
in Ammerland nicht: „Nut’ scha nix“ – nützt ja nichts. Sabine Lohrensc…
ist kein Michael Kohlhaas. Sie ist zu sanft. Aber sie kämpft. Sie ist
erschöpft – aber sie besteht auf ihrem Recht. „Ich habe mir allein alle
Kenntnisse über Bodensanierung aneignen müssen“, sagt die Sozialpädagogin.
„Die Wasseracht verweigert sich den Gerichtsentscheiden und macht eine
ganze Familie fertig.“ Sie schüttelt den Kopf. „Woher nimmt die Behörde d…
Geld für einen so langen Gerichtskrieg?“
## Vergangene Idylle
Die Erinnerung an das ehemalige Zuhause treibt ihr immer wieder die Tränen
in die Augen. „Die Kinder waren glücklich“, sagt sie. Sie bauten mit ihren
Freunden Hütten und Baumhäuser, ihre Schulklassen kamen zu Besuch und
tobten durchs Gelände. Wenn Revierjagd war, flüchteten sich Rehe, Hasen und
Fasane auf das Grundstück, denn am Haus durfte nicht geschossen werden.
Wenn Sabine Lohrenscheit heute ihr früheres Zuhause zeigt, ist von dieser
Idylle nicht mehr viel zu sehen. 2006 rissen alle Versorgungsleitungen. Den
Winter hätte die Familie ohne Heizung nicht überstehen können.
Glücklicherweise bekam der jüngste Sohn einen Studienplatz in Kiel. Ihre
Kinder drängten Sabine Lohrenscheit mit über 50 Jahren dazu, ein
Aufbaustudium zu beginnen. „Du hast uns alle durchs Abi gebracht, jetzt
bringen wir dich durchs Studium“, unterstützen sie ihre Mutter. Tatsächlich
bekommt sie einen Studienplatz und zieht ins brandenburgische Henningsdorf.
## Lebensgeschichte im Bus
Von ihrer Lebensgeschichte kann sie gerade mal einen VW Sprinter mit Möbeln
und Erinnerungsstücken beladen. Dann übernehmen Dorfbewohner, Jugendliche
und Vandalen das Kommando. Ihr Haus wird geplündert und verwüstet. „Geiles
Bad“ sprayt einer auf die Badezimmerwand und nimmt die Einrichtung gleich
mit. Eine Strafanzeige gegen einen Dorfbewohner, der alle Türen ausgebaut
hatte und sich daraus eine Hausbar zimmerte, kommentierten die Behörden
mit: „Dann reißen sie ihm doch die Bar einfach wieder ab!“
## Wunsch nach Rückkehr
Heute ist das Haus der Familie Lohrenscheit unbewohnbar. Dabei würde Sabine
Lohrenscheit gern ins Ammerland zurückkehren – vorausgesetzt, sie findet
eine angemessene Stelle und ein Haus, das wieder als Familienmittelpunkt
dienen kann. Sogar auf dem alten Grundstück würde sie versuchen, ein neues
Haus zu bauen.
Währenddessen verfällt das alte Haus. Einmal war sie mit der Enkelin dort,
um Blumen auszugraben – aber die Besuche sind schmerzhaft. Laut
Gerichtsurteil muss die Ammerländer Wasseracht auf dem Lohrenscheit’schen
Anwesen haften. Das tut sie bislang aber nicht. „Wir akzeptieren die
Urteile, sind aber anderer Meinung“, beharrt Prozessgegner Richard Eckhoff.
Eine Einigung ist nicht in Sicht. Das Verfahren läuft. „Die materielle
Schadenshöhe kann hoffentlich durch das Gericht festgestellt werden“, sagt
Sabine Lohrenscheit. „Den Schaden, den meine meine Familie und ich erleiden
mussten, der ist irreparabel.“
10 Feb 2014
## AUTOREN
Thomas Schumacher
## TAGS
Niedersachsen
Rechtsstreit
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