# taz.de -- Kommentar Venezuela: Chávez’ schwieriges Erbe | |
> Inflation, Versorgungsmängel, Gewalt. Die Venezolaner haben Grund, | |
> unzufrieden zu sein. Weder Regierung noch Opposition arbeiten an | |
> Lösungen. | |
Bild: Barrikaden in Caracas' Mittelschichtsviertel Altamira bei Protesten am Do… | |
Venezuela begeht in zwei Wochen den ersten Todestag von Hugo Chávez. Könnte | |
der dem Krebs erlegene Begründer der „Bolivarischen Revolution“ sehen, wie | |
sein Land heute aussieht – er hätte wenig, worauf er stolz sein könnte. | |
Dabei geht das Gros der Probleme, an denen Venezuela leidet, direkt auf | |
seine fast 15-jährige Amtszeit zurück. Sein Nachfolger Nicolás Maduro hat | |
ein sehr schweres Erbe angetreten – und bislang zeigt er sich unfähig, die | |
Probleme zu lösen: galoppierende Inflation, eine am Boden liegende | |
Landwirtschaft, Versorgungsmängel an allen Ecken und Enden, eine immer noch | |
wachsende einseitige Abhängigkeit vom Erdölexport, seit Jahren ansteigende | |
Gewalt, die im vergangenen Jahr über 25.000 Tote gefordert hat, ausufernde | |
Korruption auf allen Ebenen des Staatsapparats. | |
Es wäre ein Wunder, wenn sich in so einer Situation kein Protest regen | |
würde. Es gibt ausreichend Gründe, einen Wandel in Venezuela zu fordern – | |
zumal der wenig eloquente Nicolás Maduro nicht über die persönliche | |
Bindungskraft und Kommunikationsfähigkeit eines Hugo Chávez verfügt, die | |
über die Mängel hinwegtäuschen könnten. | |
Nur: Die Opposition, die in den letzten Wochen mit immer radikalerer | |
Rhetorik gegen die Regierung mobilisiert, und die mit dem am Dienstag | |
festgenommenen Leopoldo López einen neuen Anführer des rechten Flügels | |
gefunden hat, rekrutiert sich zum großen Teil aus jenen gesellschaftlichen | |
Kräften, für die der Chavismus von Beginn an nur ein Betriebsunfall der | |
Geschichte war. Zu keinem Zeitpunkt hat diese Opposition wirklich | |
verstanden und anerkannt, was es eigentlich bedeutet, dass in rund | |
eineinhalb Dutzend Urnengängen in den letzten 15 Jahren die Regierung immer | |
im Amt bestätigt wurde | |
## Beide Seiten berufen sich auf „das Volk” – und meinen stets nur die | |
eigene Hälfte | |
„Das Volk“, proklamiert die eine wie die andere Seite, wolle dies oder | |
jenes. „Keine Diktatur!“, ruft die Opposition, „Keinen Faschismus!“, ru… | |
die Regierung. Beide Seiten unternehmen nicht einmal den Versuch, auf das | |
jeweils andere Lager zuzugehen, sondern verteufeln sich gegenseitig. Dabei | |
repräsentieren beide, besieht man sich die Wahlergebnisse, in etwa die | |
Hälfte der Bevölkerung. | |
So wird der andauernde politische Machtkampf zum Selbstzweck einer | |
Regierung, die sich permanent von Umsturzversuchen bedroht sieht oder diese | |
Furcht zumindest proklamiert. Das Dumme ist: Die jüngere venezolanische | |
Geschichte gibt ihr sogar recht. Im April 2002 waren dieselben Politiker, | |
die jetzt die Opposition führen, tatsächlich am missglückten Staatsstreich | |
gegen Hugo Chávez beteiligt, einen demokratisch gewählten Präsidenten, der | |
sich damals anschickte, die staatliche Erdölgesellschaft tatsächlich unter | |
staatliche Kontrolle zu bringen und ihre Gewinne zu sozialisieren. | |
Demokratische Glaubwürdigkeit können sie für sich nicht in Anspruch nehmen. | |
Die Macht der Regierung Maduro beruht derzeit auf drei Säulen: Ihrer | |
Wählerbasis und den organisierten Chavistas – einschließlich ihrer | |
bewaffneten Gruppierungen –, der freien Verfügung über die Petrodollars und | |
dem staatlichen Justiz- und Sicherheitsapparat. Letzterer ist zwar korrupt, | |
aber loyal. | |
Damit sollte die Regierung ausreichend abgesichert sein, um sich Reformen | |
zuzutrauen, die über das hinausgehen, was Maduro in den letzten Monaten | |
gehetzt, halbherzig und alibimäßig in Gang gesetzt hat. Wäre er souveräner, | |
würde er Runde Tische einberufen, um Lösungen zu finden. Die Opposition | |
würde endlich Verantwortung übernehmen müssen, die Regierung Realitätssinn | |
beweisen. Aber wer all seine Gegner als „Faschisten“ denunziert, wie | |
Maduro, wird das nicht tun. Und die Opposition wird einen Teufel tun, sich | |
mit Maduro an einen Tisch zu setzen, nicht zuletzt deswegen, weil sie sehr | |
wenig anzubieten hat. Das venezolanische Drama geht weiter. | |
21 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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