# taz.de -- Raumfahrt: Ein Fenster der Verwundbarkeit | |
> Die Bremer Eurockot ist ein Joint Venture der Krim-Konfliktparteien – und | |
> auf eigentümliche Weise Verwalterin eines russischen Phantomschmerzes. | |
Bild: Start einer Eurockot-Rakete: Der frühere Albtraum des Westens transporti… | |
BREMEN taz | Auch in Bremen ist die Ukraine-Krise präsent: Es gibt hier | |
Firmen, deren ganzes Geschäftsmodell auf der Zusammenarbeit mit Russland | |
basiert. In denen formuliert man mittlerweile sehr vorsichtig und äußert | |
keine Meinung zur Weltlage, werfen Sie doch mal einen Blick auf unsere | |
Share-Holder! | |
Die Eurockot Launch Services GmbH hat ihren Sitz in der Flughafenallee 26, | |
sie hat zehn Beschäftigte und ihre zwei Share-Holder heißen laut | |
Handelsregister Astrium – also im Kern: Europäische Union – mit 51 Prozent, | |
und Khrunichev State Research and Production Space Center, sprich: das | |
staatliche russische Weltraum-Forschungs- und Produktionszentrum, benannt | |
nach dem sowjetischen Fliegerhelden, Luftfahrtminister und kurzzeitigen | |
Vize-Premier Michail Khrunichev. | |
„Natürlich bekommen wir etwas mit von dieser Krise“, sagt York Viertel, | |
Eurockot-Geschäftsführer, die Zusammenarbeit mit der russischen Seite sei | |
„doch sehr eng“. Allerdings „von Belastung zu sprechen, ginge zu weit“. | |
Noch würden die Arbeitsabläufe nicht behindert. Und man hoffe ja doch, | |
„dass es nicht zu lange dauert“: Eurockot ist ein Raketen-Dienstleister. | |
Das Unternehmen bringt Satelliten ins All. Der nächste Start ist allerdings | |
erst für 2015 geplant. Dann soll im Sommer ein Erdbeobachtungssatellit der | |
Sentinel-Gruppe in die richtige Umlaufbahn transportiert werden „vermutlich | |
der Sentinel 3A“, so Viertel, aber es sind auch andere denkbar, der 2A oder | |
2B etwa. | |
Auftraggeber ist in jedem Fall die ESA, die europäische Raumfahrtagentur, | |
zu deren gut 30 Mitgliedern neben Deutschland auch die EU gehört – und die | |
Ukraine. Das Transportmittel aber ist russisch. Es handelt sich um eine | |
konvertierte Form der sehr zuverlässigen UR-100N, die vor exakt 40 Jahren | |
Einsatzreife erlangt hatte. In der Nato hat man ihr damals den Codenamen | |
„SS-19 Stiletto“ verpasst. Sie verkörpert, mit Nuklearsprengköpfen und | |
10.000 Kilometern Reichweite das, was das Pentagon ab 1978 mit der Metapher | |
des „Fensters der Verwundbarkeit“ umschreibt – die Möglichkeit eines | |
sowjetischen Erstschlags gegen die USA. | |
Damit löst sie eine neue Welle des Wettrüstens aus, verursacht den | |
Nato-Doppelbeschluss und beendet letztlich Jimmy Carters Hoffnung auf eine | |
zweite Amtszeit im Weißen Haus. „Ein bisschen ist das, was wir hier machen | |
auch ’Schwerter zu Pflugscharen‘“, zitiert York Viertel den liebsten | |
Bibelspruch der Friedensbewegung. Er zumindest halte die Umweltüberwachung | |
für den Hauptzweck. Wobei die Sentinel-Satelliten als Teil des europäischen | |
Copernicus-Programms auch eine militärisch-strategische Seite haben: Laut | |
ESA sollen sie auch die EU-Außengrenzen überwachen sowie „EU-Einsätze | |
außerhalb der Europäischen Union“ unterstützen. „Es ist aber doch sinnvo… | |
wenn Europa auch eigene Ohren und Augen hat“, sagt Viertel dazu. | |
Ob das auch Russland wichtig findet und gut? Da sinken die Chancen mit | |
wachsender Eskalation: „Sanktionen wären etwas, was beiden Seiten wehtäte�… | |
sagt die Bremer Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck, | |
Osteuropa-Beauftragte der Grünen, „das ist klar.“ Sicher sei nur, dass es | |
„keine nationalen Antworten geben“ könne. Angesichts der Krim-Invasion | |
müsse man aber „über die Möglichkeit von Sanktionen diskutieren“ – ohn… | |
direkt zu fordern. | |
Viertel sagt, er sei momentan „froh, kein Politiker zu sein“. Das | |
Geschäftsmodell der Eurockot empfindet er als „ein wenig ein schwäbisches�… | |
nämlich: „Wozu eine neue Rakete bauen, wenn’s schon eine gibt.“ Tatsäch… | |
verwaltet die Firma damit so etwas, wie einen russischen Phantomschmerz. | |
Denn als sich 1991 die Ukraine aus der zerfallenden Sowjetunion löste, gab | |
es drei Kristallisationspunkte der Sorge für die Kreml-Führung: Die Aufgabe | |
der Krim und der Ost-Ukraine, die seit über 300 Jahren russische Provinz | |
waren. Und die 90 in den Silos von Chmelnizki lagernden SS-19, die Kiew | |
usurpiert hatte. | |
Erst 1994 kam es ihretwegen schließlich zu einem Deal: Die Raketen gingen | |
zurück ins Moskauer Industriegebiet Fili, dem Sitz des Khrunichev-Zentrums. | |
Die Sprengköpfe wurden vernichtet, das Uran recyclet – und an die USA | |
verkauft: Die 12 Milliarden US-Dollar musste sich Russland mit der Ukraine | |
teilen. In jenem Jahr wurde erstmals ein Separatist zum Präsidenten der | |
autonomen Krim gewählt. | |
20 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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Schwerpunkt Überwachung | |
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