| # taz.de -- Berliner Szenen: Jetzt auch egal | |
| > Es ist Monatsende, das Geld ist knapp. Es wird geseufzt und gerechnet und | |
| > „oh“ und „ah“ gemacht. Manchmal wird geweint. | |
| Bild: Stimmt so. | |
| Der Mann, der mir in der U-Bahn gegenübersitzt, murmelt. „Heute is schon | |
| der 31.“, kurze Pause, Seufzen, „der 31.“ Er dreht sich dabei eine | |
| Zigarette, sehr langsam, sehr sorgfältig, es sieht eher aus, als würde er | |
| ein Baby wickeln. „Der 31.“, sagt er noch mal, etwas lauter, setzt sich | |
| aufrecht hin, hält die Luft an. Dann atmet er laut aus und sinkt wieder in | |
| sich zusammen. Murmelt weiter. | |
| Er hat ja recht. Ich steige aus, will zu einer Lesung. In den letzten zehn | |
| Tagen war ich auf gefühlten zehn Lesungen. Das ist das Schlimme daran, wenn | |
| man schreibt, dass man so viele Leute kennenlernt, die auch schreiben, und | |
| wenn die dann Bücher fertig haben, will man wissen, wie die Bücher sind, | |
| und dann geht man zu diesen Lesungen und denkt „oh“ oder „ah“ oder „�… | |
| und manchmal kriegt man die Bücher geschenkt, aber oft auch nicht, und dann | |
| will man sie womöglich kaufen, und Bücher sind teuer, und ich mache das | |
| viel zu oft. | |
| Finanziell bin ich längst im nächsten Monat. Ich habe sehr viele Zettel | |
| vollgerechnet mit Zeilengeldern einerseits und Miet-, Strom-, Gas-, | |
| Versicherungs-, Leckmichamarschkosten andererseits. Innerlich bin ich dem | |
| Typen mit dem 31. vermutlich sehr nahe. Während der U-Bahn-Fahrt habe ich | |
| hin und her überlegt, ob ich das Buch, das gleich vorgelesen wird, kaufe, | |
| wenn es denn gut ist. Hin, her, hin, her, hin. Bin bei „Ist jetzt auch | |
| egal“ stehen geblieben. | |
| Als ich bei der Lesung ankomme, ist draußen eine kurze Schlange. Scheiße. | |
| Eintritt. Fünf Euro. Ich überlege, wieder zu gehen. Stelle mich an, gehe | |
| wieder weg, stelle mich wieder an. Ich habe Tränen in den Augen, als ich | |
| den Eintrittsstempel kriege. Das ist albern, es sind fünf Euro. Ich muss | |
| aber zurzeit auch von der Europahymne weinen, wegen dieser | |
| [1][Ukraine-Flashmob-YouTube-Videos], vermutlich weil die Ukrainer alle | |
| aussehen wie Polen, ich weiß es nicht. Die Lesung ist am Ende ganz gut. | |
| 31 Mar 2014 | |
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| ## AUTOREN | |
| Margarete Stokowski | |
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