# taz.de -- Serie Tempelhofer Feld: Was kostet das freie Feld? | |
> Die „amtliche Kostenschätzung“ des Senats für den Volksentscheid steckt | |
> voller Spekulationen und wilder Annahmen. | |
Wie viel Geld kostet es wohl, wenn auf dem Tempelhofer Feld nichts gebaut | |
wird? Die intuitive Antwort lautet: nichts. Doch in der Broschüre mit | |
„Amtlichen Informationen zum Volksentscheid“, die jeder Wahlberechtigte vor | |
der Abstimmung per Post erhalten wird, wird eine andere Zahl stehen: 298 | |
Millionen Euro. Das ist die „amtliche Kostenschätzung“ des Senats für den | |
Fall, dass der Volksentscheid am 25. Mai erfolgreich ist. | |
Wie kommt der Senat auf diese Zahl? Durch einen Trick: Zum ersten Mal bei | |
einem Volksentscheid berechnet der Senat nicht die Kosten, die für den | |
Landeshaushalt entstehen. Er berechnet stattdessen die Kosten, die für die | |
Berliner entstehen, wenn das Feld ein Feld bleibt. Dazu hat die | |
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung [1][eine Berechnung] (PDF) bei dem | |
Leipziger Volkswirtschaftslehre-Professor Harald Simons in Auftrag gegeben. | |
Die Rechnung von Simons geht so: Wenn die geplanten Wohnungen nicht auf dem | |
Feld gebaut werden, dann werden sie anderswo gebaut. Simons hat die | |
Standorte von 315 alternativen Bauflächen zusammengetragen, die im | |
Flächenmonitor der Stadtentwicklungsverwaltung verzeichnet sind. Die | |
Mehrheit der Flächen liegt weiter draußen, weiter Richtung Stadtrand als | |
das Tempelhofer Feld. | |
Und das bedeutet: längere Wege. In dem Gutachten heißt es: „Jeder Bewohner, | |
Beschäftigte oder Besucher in dezentraler Lage muss größere Entfernungen | |
zurücklegen, um dorthin zu kommen, wo er arbeitet, einkauft, essen geht | |
oder Freunde besucht.“ Über mehrere Seiten berechnet Simons, wie häufig die | |
Berliner in der Stadt unterwegs sind, wie lang ihre Wege sind und welche | |
Verkehrsmittel sie dabei benutzen. Sein Ergebnis: Wenn die Leute am | |
Stadtrand wohnen statt auf dem Tempelhofer Feld, bedeutet das 40 Millionen | |
zusätzliche mit dem Auto gefahrene Kilometer pro Jahr. | |
## Mehr Unfälle: 1,4 Millionen Euro pro Jahr | |
„Der zusätzliche Verkehr verursacht Kosten – Verkehr ist eine Seuche“, | |
heißt es in dem Gutachten. Da sind zum Beispiel die Unfälle. 40 Millionen | |
zusätzliche Autokilometer bedeuten im Schnitt zusätzlich 313 Unfälle mit | |
Sachschaden. Das führt bei 7.800 Euro pro Unfall zu Kosten von 2,4 | |
Millionen Euro. In Rechnung gestellt werden auch mögliche Verletzte. 52 | |
Personen. Multipliziert mit 46.100 Euro Kosten pro Verletztem gibt das | |
weitere 2,4 Millionen Euro, also in der Summe 4,8 Millionen. Davon tragen | |
Krankenkasse und private Haftpflichtversicherung 70 Prozent, bleiben also | |
öffentliche Kosten von 1,4 Millionen Euro pro Jahr. | |
## Abgase, Lärm, Staus: 9,6 Millionen Euro | |
Durch zusätzliche Autofahrten erkranken auch mehr Menschen an den Abgasen | |
und am Lärm (8 Millionen Euro). Und es werden zusätzliche Staus verursacht | |
(1,6 Millionen). Macht in der Summe weitere 9,6 Millionen Euro Kosten pro | |
Jahr. | |
## Weniger Erholung: –2,4 Millionen Euro | |
Simons berücksichtigt auch die Nachteile einer Bebauung des Tempelhofer | |
Feldes: „Den Besuchern des Parks entsteht dadurch eine Nutzeneinbuße.“ | |
Weniger Park heißt eben weniger Erholung. | |
Aber wie hoch ist der Erholungswert in Euro? Simons wählt den | |
Reisekostenansatz: „Dabei wird davon ausgegangen, dass die Besucher durch | |
ihren Besuch offenlegen, dass ihre Zahlungsbereitschaft mindestens den | |
Kosten der Anreise entspricht.“ Dabei habe sich „als pragmatischer Ansatz | |
durchgesetzt, den Preis für einen Nahverkehrsfahrschein zugrunde zu legen“. | |
Ein Besuch auf dem Feld hat also einen Nutzen von 4,80 Euro, weil so viel | |
die Hin- und Rückfahrt mit der BVG kostet. Bei 1,6 Millionen Besucher im | |
Jahr 2011 macht das einen Erholungswert von 7,7 Millionen Euro. Wenn der | |
Park um 31 Prozent kleiner wird, sinkt dadurch auch der Erholungswert um 31 | |
Prozent – also um 2,4 Millionen Euro pro Jahr. | |
## Heutiger Wert künftiger Gewinne | |
Auf der einen Seite gibt es durch ein unbebautes Feld also Kosten von 11 | |
Millionen Euro pro Jahr, auf der anderen Seite hat es einen Erholungswert | |
von 2,4 Millionen Euro. Heißt unter dem Strich: Es führt zu einem | |
volkswirtschaftlichen Gewinn von 8,6 Millionen Euro, das Feld zu bebauen. | |
Dieser Gewinn fällt allerdings pro Jahr an. Die Frage ist deshalb: Was ist | |
es einer Gesellschaft heute wert, in Zukunft jedes Jahr einen Gewinn von | |
8,6 Millionen Euro zu machen? Simons begrenzt die Berechnung auf 50 Jahre. | |
Denn dass das Feld für immer frei bleibt, davon könne „in der Realität bei | |
weiter steigendem Siedlungsdruck nicht ausgegangen werden“. Das Ergebnis: | |
232 Millionen Euro. | |
## Vorteile der Zentralität: 66 Millionen Euro | |
Genauso wie der Erholungsnutzen für Parkbesucher sinkt, wenn der Park | |
bebaut wird, genauso steigt natürlich der Wohnnutzen für die Leute, die | |
dort wohnen können statt am Stadtrand. Simons macht das daran fest, dass | |
die Leute für einen Quadratmeter Bauland in einer Lage wie das Tempelhofer | |
Feld 300 Euro zahlen, am Stadtrand aber nur 175 Euro. Macht in der Summe | |
einen Unterschied von 66 Millionen. | |
Die Gesamtabrechnung lautet dann: Bebauung am Stadtrand führt zu 295 | |
Millionen Kosten durch mehr Autoverkehr plus 66 Millionen Euro entgangener | |
Nutzen für die Menschen, die nicht auf dem Tempelhofer Feld wohnen können | |
minus 64 Millionen Euro geringerer Erholungswert durch ein kleineres Feld | |
gleich 298 Millionen Euro. Fertig ist die „amtliche Kostenschätzung“. | |
## Schwächen der Studie | |
Die Berechnungen haben allerdings einige Schwächen. Erstens berücksichtigen | |
sie nicht, dass ein Einzelticket bei der BVG inzwischen 20 Cent teurer | |
geworden ist, wodurch der Erholungswert des Parks um 17 Millionen Euro | |
gestiegen ist. Das wirft zweitens die Frage auf, warum der Wert des Feldes | |
eigentlich von den BVG-Ticketpreises abhängen sollte. Falls ja, dann würde | |
übrigens durch eine Preiserhöhung auf 13,50 Euro pro Einzelticket der | |
Erholungswert des Feldes so hoch, dass sich insgesamt eine Bebauung nicht | |
mehr lohnt. | |
Diese Rechnung ist natürlich absurd, aber genauso absurd sind viele andere | |
Annahmen und Berechnungsmethoden in der Studie. So ist es etwa völlig | |
willkürlich, den Zeitraum der Berechnung auf 50 Jahre festzulegen – | |
schließlich weiß niemand, wie lange das Feld wirklich unbebaut bleibt, wenn | |
der Volksentscheid durchkommt. Genauso absurd ist die Annahme, dass bei | |
Autos etwa der Schadstoffausstoß in den nächsten 50 Jahren konstant bleibt. | |
Oder dass der Anteil der Menschen, die mit der U-Bahn statt mit dem Auto | |
pendeln, sich nicht ändert. | |
Zweifelhaft ist auch die Grundannahme der Studie, man könne die Freude an | |
einem Park, die tägliche Zeitersparnis beim Pendeln und die Schmerzen durch | |
die Verletzung bei einem Verkehrsunfall überhaupt gegeneinander aufrechnen. | |
Die Studie krankt auch daran, dass sie die Bebauung des Feldes nicht mit | |
der anderer Parks vergleicht. Ergebnis wäre: Es würde sich noch viel | |
stärker rechnen, den noch viel zentraler gelegenen Tiergarten vollzubauen. | |
Man kann die Zahlen von Simons nachrechnen. Aber wenn man 1.000 anderen | |
Volkswirten die Aufgabe geben würde, die Kosten durch die Nichtbebauung des | |
Feldes zu berechnen, würde jeder von ihnen einen anderen Weg der Berechnung | |
wählen. | |
Volkswirtschaft ist eben keine exakte Wissenschaft, ihre Annahmen sind | |
nicht objektiv überprüfbar. Genauso wie es in der Literaturwissenschaft | |
auch keine objektiv richtige Interpretation eines Romans gibt. „Um | |
vorsichtig zu sein, habe ich an allen Ecken und Enden niedrig geschätzt“, | |
sagt Simons zur taz. „Die wahren Kosten liegen höher.“ Aber es gehe ohnehin | |
nicht darum, dass man eine Zahl bekommt, die auf den Cent genau stimmt, | |
sagt er. Sondern um die Größenordnung: Liegen die volkswirtschaftlichen | |
Kosten eher bei 1.000 Euro, bei 100.000 Euro oder einer Milliarde? | |
Dann sollte der Senat allerdings nicht eine auf so vielen Annahmen und | |
Spekulationen beruhende Rechnung als „amtliche Kostenschätzung“ ausgeben. | |
Ehrlicher wäre es, wenn der Senat dort genau wie bisher aufführt, was | |
darunter auch jeder versteht: die direkten Kosten für den Landeshaushalt. | |
Die sind auch viel leichter zu berechnen: Wenn der Volksentscheid | |
erfolgreich ist und auf dem Tempelhofer Feld nichts gebaut wird, dann | |
kostet das genau null Euro. | |
2 Apr 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://blogs.taz.de/rechercheblog/files/2013/05/feldgutachten.pdf | |
## AUTOREN | |
Sebastian Heiser | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Volksentscheid Tempelhofer Feld | |
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