| # taz.de -- Die Wahrheit: Ansichten eines Clowns | |
| > Zu wenig, alt und in Teilzeit: Der stolpernde Anti-Artist und | |
| > herzerfrischend dumme August verschwindet sang- und klanglos aus dem | |
| > Rund. | |
| Bild: Das Clownsego ist angeschlagen | |
| Keine Schlagzeilen, nirgends. Keine Proteste sich sorgender Mütter und | |
| Väter. Keine Appelle der Unesco. Weitgehend unbemerkt von einer | |
| Öffentlichkeit, die sonst kritisch und unkorrumpierbar den Bestand von | |
| Hufeisen-Fledermäusen durchzählt oder den Jahresdurchnittsmeßwert des | |
| grönländischen Schelf-Eisschildes in Millimetern überwacht, vollzieht sich | |
| die erschütternde Tragödie der Clowns. Seit Generationen Helden des Unfugs, | |
| Freunde des Scheiterns, anarchistische Stars der Manege, Galionsfiguren | |
| einer tragisch-komischen Poesie der Sensibilität, sind sie heute, bei aller | |
| gebotenen Pietät, Witzfiguren von vorgestern, eine Spezies auf Abruf. Und | |
| niemanden stört’s. | |
| Der britische Telegraph immerhin schlägt Alarm und meldet, der Organisation | |
| der Berufsclowns, Clowns International, gingen die Mitglieder aus. Ganze | |
| 100 seien es heute noch, 1980 zählte man fast tausend. Zugleich steige das | |
| Durchschnittsalter der Clowns an, viele seien in Teilzeit. | |
| Auch die World Clown Association, eine der größten Clowns-Gewerkschaften | |
| der Welt, bestätigt, in den vergangenen zehn Jahren knapp 30 Prozent ihrer | |
| Mitglieder verloren zu haben. Von einst 3.500 Mitgliedern sind 2.500 übrig, | |
| Tendenz nicht steigend. Glen Kohlberg, Präsident von Clowns of America | |
| International, spricht von Clowns als „sterbender Rasse“. | |
| Vor dem verklärten inneren Auge, dem Kino der Erinnerung, schaukeln diese | |
| gespenstischen Glatzköpfe mit den viel zu großen Schuhen und roten Nasen | |
| langsam ins Off. Lachen wir weniger gern? Lachen wir anders? Lachen wir | |
| überhaupt noch? Was ist da los? | |
| ## Nicht mehr der Hot Pot der Szene | |
| Sicher eins: Der Zirkus ist bereits länger nicht mehr der Hot Pot der | |
| Szene. Es gibt international renommierte Hochleistungsartisten, die um die | |
| Welt touren. Ansonsten ist Zirkus heute eine Mitleidsveranstaltung, | |
| Hilfswerk für gescheiterte Existenzen, für bedauernswerte Tiere vor allem, | |
| die zusammen mit ihren Betreuern in Fußgängerzonen um Futter betteln. Ohne | |
| die Manege mit ihren kreisenden Pferden, mit den Trapezschönheiten, | |
| Schwertschluckern und Löwenbändigern ist der Clown praktisch obdachlos. Er, | |
| der Anti-Artist. Der stolpernde Mitmensch. Der dumme August und Rebell, der | |
| alles durcheinanderbrachte, wenn auch nur scheinbar. Sehr melancholisch, | |
| überaus albern, herzerfrischend blöd. | |
| Zum anderen hat sich das Image des Clowns dramatisch und paradox gewandelt. | |
| Er ist zur Lieblingsmaske des Schrecken verbreitenden Psychopathen | |
| geworden. Er ist der durchgeknallte Opa, vor dem die Enkelkinder | |
| davonlaufen. Es gibt ein eigenes Horrorfilmgenre mit Clowns als Killern, | |
| die Filme heißen „Es“, „The devil rejects“ „Fear of clown“, oder �… | |
| 1.000 Leichen“. Auch die Polizeimeldungen sind voll von Clowns, die | |
| Passanten erschrecken, statt sie zu belustigen, die mit Messern | |
| herumfuchteln und die unheimlich ausdauernd in die Fenster von Wohnhäusern | |
| starren. | |
| Wie ein höhnischer Witz über sich selbst und die niederziehende | |
| Gesamtkonstellation muss angesichts dessen die letzte Insel oder, sagen | |
| wir, Endstation anmuten, auf die sich die Clowns zurückgezogen haben. Dort | |
| treten sie noch mit überwältigendem Erfolg auf. Das Geschäft brummt und | |
| boomt. Die neuen Bühnen und Manegen sind Kliniken, Seniorenheime und | |
| Hospize. Tausende Clowns sind als Therapeuten am Krankenbett im Einsatz, um | |
| dort Stress und Ängste abzubauen, etwas Freude in den Klinikalltag zu | |
| bringen. | |
| Das ist sehr verdienstvoll, keine Frage, höchst ehrenwert – und leider auch | |
| die deprimierende Pointe einer einst glamourösen Showkarriere. Nur noch | |
| diejenigen bespaßen zu können, die sich nicht wehren und nicht weglaufen | |
| können, wird dem angeschlagenen Clownsego kaum schmeicheln. Solange jedoch | |
| die Patienten vor Schreck nicht kollabieren, wenn vor ihnen eine | |
| knollnasige Fratze mit Bettpfannen Musik macht, scheint die Zukunft der | |
| Branche in dem Bereich einigermaßen gesichert. | |
| Ob das für die gesamte Clownspopulation mehr als ein Trostpflaster sein | |
| kann? Ein letztes Aufgebot? Als Aushilfs-Dienstleister im Reha-Bereich? | |
| Clownfans bleibt jedenfalls nicht viel mehr, als möglichst schnell krank zu | |
| werden oder zu sterben, wenn sie die Letzten ihrer Art noch einmal erleben | |
| wollen. | |
| 4 Apr 2014 | |
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