# taz.de -- Protest: „Ich will ein gutes Leben haben“ | |
> In Göttingen haben Flüchtlinge ein Protestzelt aufgebaut. Fünf Erwachsene | |
> und drei Kinder wollen die Ungewissheit über ihre Zukunft nicht länger | |
> hinnehmen. | |
Bild: Er kennt die Not der Ungewissheit aus eigener Erfahrung, nun setzt er sic… | |
GÖTINGEN taz | Manas Fingernägel sind silbern lackiert. Sie knibbelt an | |
einem Blatt Papier, das in einer Klarsichtfolie steckt. Mana ist elf Jahre | |
alt. Und sie ist gestresst. Nicht weil sie nachher einen großen Auftritt | |
haben wird. Sondern weil sie vielleicht nicht in Deutschland bleiben kann. | |
Das Papier ist ihre Rede für eine Demo, die helfen soll, dass sie doch | |
bleiben kann. | |
Mana sitzt auf einer Bierbank in einem Kirmeszelt, aufrecht und mit | |
selbstbewusstem Blick. Sie ist schick angezogen: graue Jeans, weiße Bluse, | |
darüber ein Pullunder, ihr Haar hat sie lange gekämmt und dann nach oben | |
hin zusammengebunden. Auch wenn sie anders aussieht, zu feiern gibt es | |
nichts. Denn in Wahrheit ist es ein Protestzelt. Manas Eltern haben es | |
zusammen mit anderen Flüchtlingen in die Göttinger Innenstadt gestellt, | |
direkt vor die Jacobikirche. Sie wollen zeigen, dass hier etwas schief | |
läuft. | |
## Ein Ende der Ungewissheit | |
Insgesamt sind sie zu acht: Fünf Erwachsene und drei Kinder. Sie eint, dass | |
sie jederzeit abgeschoben werden könnten. Und dass sie diese Ungewissheit | |
nicht mehr ertragen können. Sie wollen endlich nicht mehr der | |
Residenzpflicht unterliegen und sich frei in Deutschland bewegen können. | |
Sie wollen einen gesicherten Aufenthaltsstatus und sie wollen arbeiten | |
dürfen, Ausbildungen machen und studieren können. | |
Was sie nicht mehr wollen, ist „ohne Zukunft und Perspektive leben“, wie | |
sie es in einem Protestflugblatt formulieren. Zwei Wochen werden sie | |
deswegen tagsüber im Zelt bleiben, ansprechbar und vor allem sichtbar sein. | |
Übernachten werden sie hier nicht, abends wird das Zelt abgebaut. Wenn | |
viele Leute von ihrer Situation erfahren, könne das etwas ändern, so | |
glauben sie. | |
„Ich will mit meinen Eltern hier bleiben und ein gutes Leben haben“, sagt | |
Mana. Sie hat Angst, dass sie erst nach Italien und dann in den Iran | |
abgeschoben wird. Die Behörden glauben, dass die Familie aus dem Iran über | |
Italien nach Deutschland gekommen ist. Nach der Dublin-III-Verordnung | |
müsste sie dann in Italien Asyl beantragen. Sie habe „blöde Sachen“ auf d… | |
Flucht erlebt, erzählt Mana, eine Schlägerei unter Flüchtlingen ist dabei. | |
Am Ende habe einer auf dem Boden gelegen und aus dem Kopf geblutet: „Der | |
hat keine Luft mehr gekriegt und ist gestorben“, sagt sie und knibbelt | |
weiter an ihrem Blatt Papier. | |
Ihre Eltern sind im Iran zum Christentum konvertiert – „heimlich“, sagen | |
sie. Muslime, die im Iran zu Christen werden, werden laut NGOs wie Amnesty | |
International und der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte | |
(IGFM) verfolgt, in Gefängnisse gesperrt und müssen manchmal mit der | |
Todesstrafe rechnen. Gerade findet der Fall von Pastor Behnam Irani | |
Beachtung in den Medien, weil sich die CDU-Vizevorsitzende Julia Klöckner | |
für ihn einsetzt. Irani sitzt seit 2011 im Gefängnis, weil er zum | |
Christentum konvertierte. | |
## Offiziell schweigsam | |
Mana ist seit sieben Monaten in Deutschland. Sie spricht perfekt Deutsch. | |
Ihre Lehrerin ist vorbeigekommen. Vor dem Zelt steht sie in einer | |
Outdoorjacke und sagt: „Offiziell darf ich nichts sagen.“ Warum nicht, das | |
lässt sie offen. „Aber Mana ist sehr klug und sehr gut integriert.“ | |
Tatsächlich fragen die Behördenmitarbeiter, wenn sie über Abschiebungen | |
entscheiden, nach sozialer und wirtschaftlicher Integration. Doch die Sätze | |
klingen schal. Was wäre, wenn Mana weniger klug und weniger integriert | |
wäre? Ihre Abschiebung könnte trotz Klugheit und Integration bald | |
passieren. Die Familie ist nur noch bis Ende April geduldet, wie es im | |
Beamtendeutsch heißt. | |
## Aus eigener Anschauung | |
„Wir sind hier, um diesen Stress und diese Angst zu beseitigen“, sagt Akbar | |
Mohammedi, den hier alle Akki nennen. Der Göttinger Aktivist kam selbst als | |
politisch Verfolgter aus dem Iran. Er hat in den 1980ern in Isfahan Häuser | |
besetzt, um Wohnraum für Menschen zu schaffen, die während des ersten | |
Golfkriegs zwischen Iran und Irak flüchten mussten. „Die haben in Zelten | |
gelebt und um sie herum standen die ganzen leeren Häuser“, sagt Akki. Auch | |
er sei in Deutschland nicht sofort als politischer Flüchtling anerkannt | |
worden. | |
Wenn die Geschichten, die er erzählt, besonders schlimm werden, blickt er | |
seinem Gegenüber in die Augen und lächelt, als wolle er es den Zuhörern | |
dadurch leichter machen. Und Akki erzählt heute viele schlimme Geschichten. | |
Es ist nicht seine eigene, die er erzählt, es ist die von Manas Eltern. | |
Oder die von Jamila Farazaie, die vor rund fünf Jahren aus Afghanistan | |
floh, weil sie zwangsverheiratet werden sollte. Jetzt lebt sie in Göttingen | |
mit einem Mann, den sie liebt. Die beiden haben zwei kleine Kinder. Von der | |
Abschiebung bedroht ist die ganze Familie. | |
Nicht alle der Flüchtlinge sprechen so gut Deutsch wie Mana. Aber | |
Journalisten sind gekommen und brauchen Zitate und O-Töne. Im Zelt trinkt | |
sich die schreibende Zunft am Kaffee zittrig, während Akki geduldig | |
übersetzt und Fragen beantwortet. Irgendwann rennt er wieder zurück ins | |
Zelt: „Ich muss was trinken“, der Mund ist trocken vom vielen Reden. | |
Die Geschichten der Menschen, die er erzählt, ähneln sich: Flucht, Trauma, | |
Kettenduldung, permanente Unklarheit, ob sie auch in drei Monaten noch hier | |
sein dürfen oder ob die Behörde sich anders entschließt. Allen geht es | |
schlecht damit. Wie Manas Mutter und Jamila Farazaie sind viele der | |
Menschen im Göttinger Protestzelt in psychologischer Behandlung. Und genau | |
das ist es, sagt Akki. Es gehe hier zwar um die Einzelfälle, aber „ein | |
einzelner zählt für alle“. So verschieden die Fluchtgeschichten sind, so | |
ähnlich sind die Probleme in Deutschland. | |
Ramin Rahini steht vor dem Zelt, hinter einem Campingtisch mit Flyern und | |
Broschüren. Er ist hochgewachsen, trägt Dreitagebart und Brille. Rahini | |
kommt wie Manas Eltern aus dem Iran. Wie bei Manas Eltern bezweifle das | |
Göttinger Verwaltungsgericht, dass er dort gefährdet ist, sagt Akki. Rahini | |
ist Kommunist und war in einer oppositionellen Gruppe organisiert. Der | |
Ingenieur befürchtet, dass er hingerichtet wird, wenn er zurück muss. „Ich | |
lasse mich nicht abschieben“, sagt er. | |
## Bleiben bis zuletzt | |
Akki übersetzt, wenn es zu kompliziert wird. Was er machen würde, wenn sie | |
ihn doch zurückschickten? Es dauert einen Moment, bis die Frage | |
durchgedrungen ist. Dann streckt er seine Handflächen nach vorn, bewegt sie | |
hin und her. Der Schlüssel in seiner Hand klimpert, seine Schultern zieht | |
er hoch, streckt den Kopf nach vorne und antwortet auf Farsi. „Er wird bis | |
zu seinem Tod hier bleiben“, sagt Akki. | |
Akki ist beim Göttinger Arbeitskreis Asyl wie ein paar andere Aktivisten | |
auch. Sie verstehen sich als Linke und treten gegen Rassismus und für | |
Flüchtlinge ein. Aber die Gründe, hier mitzumachen, sind vielfältig. Luzie | |
Rhode läuft vor dem Zelt auf und ab. Die 54-Jährige trägt ein Klemmbrett in | |
der Hand und hat zwei Studenten im Visier: „Hallo, hallo, können Sie | |
unterschreiben?“ Die Unterschriften sollen einen gesicherten | |
Aufenthaltsstatus für die Menschen im Camp erreichen. „Ich unterschreibe | |
grundsätzlich nichts“, meint einer der beiden. Heute schon. Rhode redet auf | |
die beiden ein und am Ende nehmen sie den Stift in die Hand. „Ich mache | |
das, um den Menschen zu helfen. Ich bin katholisch, ich bin Christin“, sagt | |
Rhode, dann zieht sie weiter: „Hallo, hallo!“ | |
## Solidarität zeigen | |
Heute wird das Camp schon um 17 Uhr wieder abgebaut, weil sich auf dem | |
Platz vor der Kirche rund 300 Menschen versammeln und ihre Solidarität mit | |
den Flüchtlingen bekunden wollen. Die Demonstration zieht durch die Stadt. | |
Aus dem Fenster eines Wohnprojekts flattert zu groß geratenes Konfetti auf | |
Mana herab. Auf den Papierschnipseln stehen Parolen wie „No borders – no | |
nation“, „Frontex versenken“ oder schlicht „Bleiberecht!“. | |
Mana führt die Demo mit einer Freundin an. Beide halten Schnüre in der | |
Hand. Daran streben zwei heliumgefüllte Ballons in die Höhe. Zwischen ihnen | |
flattert ein roter Stofffetzen, auf dem steht: „Kein Mensch ist illegal“. | |
6 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Jakob Epler | |
Jakob Epler | |
## TAGS | |
Abschiebung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Prozess gegen Göttinger Abschiebegegner: Blockade vor Gericht | |
2014 versuchten Aktivisten aus Göttingen, eine Abschiebung zu verhindern, | |
und gerieten mit einer Spezialeinheit aneinander. Jetzt stehen sie vor | |
Gericht |