# taz.de -- Stabwechsel beim Musikfestival: Zu viel Glanz vom Übervater | |
> Christian Kuhnt, neuer Intendant des Schleswig-Holstein Musikfestivals, | |
> hat alle Mühe, gegen seinen erfolgreichen Vorgänger Rolf Beck anzukommen | |
> und sich zu profilieren. | |
Bild: Muss sich nun abgrenzen, obwohl das Alte so schlecht nicht war: Nachfolge… | |
HAMBURG taz | „Never change a winning team!“ Der englische Fußballtrainer | |
Alfred Ernest Ramsey hat das einst gesagt. Aber manchmal ändern sich Teams | |
eben doch, und dann fragt sich der Neue bang, was er tun soll mit dem | |
vorgefundenen Glanz. Denn Erbe hin oder her – da ist ja auch noch das | |
Mantra vom „frischen Wind“, so dass es sich quasi moralisch verbietet, | |
weiterzumachen wie bisher. | |
Christian Kuhnt, neuer Chef des Schleswig-Holstein Musikfestivals, steht | |
vor diesem Problem: Vorgänger Rolf Beck, der 2013 nach 14 Jahren ausschied, | |
hat ein florierendes, mit traumhaften 92 Prozent ausgelastetes Festival | |
hinterlassen, das sich durch einen Mix aus Länderschwerpunkten, | |
Klassik-Stars, Nachwuchskünstlern und Weltmusik profiliert und sogar | |
Rücklagen gebildet hatte. Die hat die Kieler Landesregierung allerdings | |
2010 kassiert und zudem die Subventionen von 1,7 auf 1,2 Millionen Euro | |
gesenkt. | |
Beck fuhr daraufhin die aufwändige Bespielung von Scheunen und anderen | |
ländlichen Orten zurück. Damit stellte er zwar eins der Markenzeichen des | |
Festivals zur Disposition. Zugleich aber entdeckte er, mit süffisantem | |
Blick auf den trödeligen Elbphilharmonie-Bau, den Spielort Hamburg und | |
konzertierte zum Beispiel im Flughafen-Hangar. Die Besucher strömten. | |
## Erfolg kaum steigerbar | |
Christian Kuhnt, der Neue, steht also nicht nur vor der Schwierigkeit, den | |
Erfolg des Vorgängers kaum steigern zu können. Er hat auch ein | |
Abgrenzungsproblem, war er doch lange Stellvertreter von Übervater Rolf | |
Beck, gegen den er jetzt anglänzen muss. Und so entstand die absonderliche | |
Situation, dass Kuhnt vor Jahren für Länderschwerpunkte plädierte – und sie | |
jetzt abschafft. | |
Ganz entsagt hat Kuhnt dem Prinzip Schwerpunkt aber nicht – nur, dass er | |
das Ganze jetzt Komponistenschwerpunkt nennt. Das ist schlau und | |
nachhaltig, denn Komponisten gibt es weit mehr als in Frage kommende | |
Länder, und insofern wäre das Programm für die nächsten 100 Jahre | |
gesichert. | |
Warum aber stellt er für sein erstes Festival ausgerechnet den Romantiker | |
Felix Mendelssohn-Bartholdy ins Zentrum? „Auf ihn bin ich durch Wagner | |
gekommen“, sagt Kuhnt. Angesichts der Hymnen zu Wagners 200. Geburtstag | |
2013 habe es ihn geärgert, dass Wagners Antisemitismus kaum erwähnt worden | |
sei. Dabei habe Wagner auch Mendelssohn – den damals berühmteren der beiden | |
– auf sein Judentum reduziert und diffamiert. | |
Dabei sei Mendelssohn nur ein Beispiel: „Wie kam es, dass immer wieder | |
assimilierte Juden auf ihr Judentum hingewiesen wurden?“, fragt sich Kuhnt, | |
der über den jüdischen Komponisten Kurt Weill promovierte. Die Arbeit sei | |
keine Aufarbeitung im engeren Sinne gewesen, sagt der 46-Jährige, aber | |
schon Ausdruck eines Unwohlseins angesichts des großelterlichen Schweigens | |
über die Nazizeit. | |
Allerdings findet er Mendelssohn nicht nur politisch interessant. „Wo ist | |
er geboren?“ fragt Kuhnt unvermittelt. Man rät allerlei: Leipzig, Berlin | |
... „Hamburg“, ruft Kuhnt triumphierend. „Das wissen selbst Musiker | |
selten.“ Und für die lokale Verortung des Festivals sei das prima. | |
Wobei nicht alle Musiker, die er anfragte, Mendelssohn lieben. „Von | |
Erleichterung bis zu Ablehnung war alles dabei.“ Aber so soll es auch sein, | |
die Musiker sollen subjektive Beziehungsskizzen erarbeiten und nicht, wie | |
es gängige Praxis auch für Residenzmusiker ist, ausschließlich für die | |
Konzerte anreisen. „Deshalb haben wir unsere zweite Säule ,Musikerporträt‘ | |
genannt, denn der Musiker soll ein paar Tage hier verbringen.“ In Kuhnts | |
erstem Jahr wird das die argentinische Star-Cellistin Sol Gabetta sein. | |
Wie er das alles vermitteln will? Erstens wird er die Musikfeste auf dem | |
Lande wiederbeleben: Fünf Stück wird es geben, dazu zwei Kindermusikfeste. | |
Außerdem, sinniert Kuhnt, brauche man flexiblere Konzertformate, und er | |
kommt wieder auf Mendelssohn. | |
„Er war Gewandhaus-Kapellmeister in Leipzig und bot nicht das heute übliche | |
Ritual: Ouvertüre – Solistenkonzert – Pause – Sinfonie“, sagt Kuhnt. | |
„Stattdessen gab es eine sehr verspielte erste Konzerthälfte: Zu Beginn ein | |
kurzes Konzertstück, eine Arie, danach setzte sich Mendelssohn selbst ans | |
Klavier. 45 bis 60 Minuten lang unterschiedlichste Genres!“ So etwas | |
begeistert den Hobby-Schlagzeuger Kuhnt. Das könne Hemmschwellen abbauen. | |
## Neuauflage des Bewährten | |
Sein Festival kommt allerdings nicht in die Verlegenheit, das in die Tat | |
umzusetzen, denn die meisten Konzerte sind kammermusikalisch und also im | |
Repertoire begrenzt. Und eins der wenigen Orchesterkonzerte – Geigerin | |
Julia Fischer samt Deutscher Kammerphilharmonie Bremen – besteht aus einer | |
Konzertouvertüre, einem Solokonzert und einer Sinfonie. Solide, | |
berechenbar, keine Revolution. | |
Aber Kuhnt fabuliert nun mal gern, erwähnt auch, dass dem Publikum | |
heutzutage das lange Sitzen schwerfalle. Also während der Tafelmusik | |
herumlaufen, womöglich dabei essen? Kuhnt zögert. „Schwierig.“ Denn man | |
wolle ja nicht in jene Zeiten zurück, in denen Musiker pure | |
Nebenbei-Dienstleister waren. „Wir wollen uns weiterentwickeln.“ Inwiefern | |
sich das Festival weiter entwickelt, offenbart Kuhnts Programm jedoch | |
nicht. Es ist eine solide, leicht modifizierte Neuauflage des Bewährten. | |
## Schleswig-Holstein Musikfestival: 5. 7. bis 31. 8. 2014 | |
11 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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Musikfestival | |
Bremen | |
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